Wiebke Schär
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Rechtsgutachten zur Assistenz im Krankenhaus beleuchtet Ungleichbehandlung

Drei Fragen an Wiebke Schär, Bildungsreferentin der Interesssenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland, zur Sicherstellung von Betreuungsleistungen, unabhängig von der Organisationsform

Wenn Menschen mit Behinderung ins Krankenhaus müssen, stellt sich oftmals die Frage nach der dortigen Sicherstellung von Unterstützungs- und Assistenzleistungen. Eine Assistenzperson ins Krankenhaus mitnehmen können in Deutschland bisher nur diejenigen, die diese Form der Unterstützung im Arbeitgebermodell organisieren. Nach Angaben der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland sind das aber nur 3.000 Menschen. 

Diejenigen, die ihre Assistenz über einen Assistenz- oder anderen Pflegedienst sicherstellen und auch diejenigen, die in einer stationären Einrichtung leben, profitieren nicht von der Regelung, die im Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus 2009 getroffen wurde.

Die bundesweite Selbstvertretungsorganisation hatte sich nun in einem Rechtsgutachten mit der Ungleichbehandlung in der pflegerischen Versorgung von Menschen mit Behinderung im Krankenhaus und zur Mitnahme der gewohnten Assistenzpersonen während eines Krankenhausaufenthalts auseinandergesetzt.

Krankenkassen und andere Leistungsträger argumentieren vor Gericht, dass alle notwendigen pflegerischen Leistungen von den Krankenhäusern sicherzustellen seien, heißt es im Rechtsgutachten. Und weiter: Die bisher zum Thema vorliegenden Gerichtsentscheidungen beziehen sich ausschließlich auf den Bereich der medizinischen Pflege. Berichte aus der Praxis und dem Alltag der Betroffenen zeigen allerdings, dass ein Krankenhausaufenthalt ohne die Mitnahme der eigenen persönlichen Assistenzperson nicht möglich, gesundheitsschädigend, oder im Falle benötigter rund um die Uhr Betreuung lebensbedrohlich sein kann. Sozial.de hat nachgefragt.

Frau Schär, was genau wollten Sie mit dem Rechtsgutachten erreichen?

Das Rechtsgutachten dient dazu, dieses sehr komplexe Thema von allen rechtlichen Seiten zu beleuchten. Es macht deutlich, dass die bisherige (gesetzliche) Realität weder vereinbar ist mit den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention noch mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Artikel 3 unseres Grundgesetzes, der da heißt "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden". Mit dieser Ausarbeitung soll einfach deutlich gemacht werden, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt und Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung endlich einen gleichberechtigten Zugang zu nötiger Unterstützung bekommen, wenn ein Krankenhausaufenthalt bevorsteht.

Wer ist jetzt vor allem gefragt, zu handeln?

Gefragt sind jetzt vor allem der Bund und die Länder, denn sie sind verantwortlich für die Änderung entsprechender Gesetze. Im Sozialgesetzbuch V darf es nicht bei der bisherigen Regelung bleiben, dass es nur jenen Menschen möglich ist ihre Assistenz mit ins Krankenhaus zu nehmen, die selbst als Arbeitgeberinnen bzw. Arbeitgeber ihre Assistenzen organisieren!

Ein weiterer großer Handlungsbedarf besteht auch auf Ebene der Kranken- und Pflegekassen sowie der Krankenhäuser und ihres Personals. Denn an dieser Stelle bedarf es zu allererst eine Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung für das Thema an sich und die gesetzlichen Vorgaben.

Was hilft heute bereits, Assistenz im Krankenhaus finanziell abzusichern?

Bevor gesetzliche Veränderungen in Kraft treten, hilft betroffenen Menschen vor allem der Rückhalt von ihren Assitenzdiensten, mit denen gemeinsam sie eine zum Beispiel eine "Mustervereinbarung für Assistenzleistungen" im Falle eines Krankenhausaufenthaltes verfassen, die klar die Zuständigkeiten für die Bedarfe regelt zwischen Klinikpersonal und Assitenzpersonal. Helfen kann betroffenen Personen auch - gerade wenn es sich um eine spontane, nicht planbare Aufnahme ins Krankenhaus handelt, konkrete Angaben zu den persönlichen Bedarfen und zu Assistenzpersonen entweder auf der Gesundheitskarte oder aber in Form eines "Assistenzbedarfsausweises" bei sich zu tragen. Natürlich gibt es auch weitere Empfehlungen.

Herzlichen Dank!

Die Interessenvertretung hat umfassende Informationen auf den Seiten ihres Projektes „Keine Angst vor dem Krankenhaus" zusammengestellt. Dort sind unter anderem das Rechtsgutachten und die Ergebnisse einer nicht repräsentativen Befragung zu Problemen von Patientinnen und Patienten mit Behinderung oder chronischen Erkrankung im Krankenhaus, sowie weitere Handlungsempfehlungen herunterzuladen.

Auch die Mustervereinbarung ist dort zu finden. http://isl-ev.de/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog&id=170&Itemid=524