Werden Kinder mit Behinderung volljährig, brauchen sie medizinische Versorgungsstruktur

Kinder mit schweren Behinderungen brauchen spezielle medizinische Versorgung, die sie in bundesweit 150 sozialpädiatrischen Zentren erhalten. Mit dem 18. Geburtstag bricht ihre medizinische Betreuung in der Regel ab. Es droht eine Unterversorgung. Mit dem medizinischen Fortschritt der vergangenen Jahre ist auch die Lebenserwartung für Menschen mit Behinderung gestiegen. Doch während Kinder und Jugendliche optimal und in enger Zusammenarbeit von Ärzten, Psychologen, Physiotherapeuten und anderen Experten in speziellen Zentren betreut werden, verschlechtert sich die Gesundheitsversorgung für Betroffene, die 18 Jahre und älter sind. Bereits seit vielen Jahren fordern Fachverbände und der Deutsche Ärztetag deshalb den Aufbau medizinischer Behandlungszentren für Erwachsene. Im 2015 in Kraft getretenen Versorgungsstärkungsgesetz wurde unter anderem festgelegt, dass für diese Betroffenengruppe eine ambulante Struktur geschaffen werden soll. Bundesweit sind 70 medizinische Zentren vorgesehen. Doch der Aufbau der sogenannten „Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen“ (MZEB) kommt nicht so recht voran. Wie Roland Stahl, Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), bestätigt, lagen bis zum 26. Februar 41 Anträge von Krankenhäusern, Stiftungen und Rehabilitationszentren vor. Genehmigt wurden bisher aber nur einige wenige Behandlungszentren. „Der Aufbau geht viel zu langsam“, bemängelt Ulla Schmidt, Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe. „Es ist nicht erkennbar, dass die Beteiligten hoch motiviert wären. Ich habe den Eindruck, es geht den Ärzten und Krankenkassen mehr um Formalien als um die Lösung des Problems.“ Für die Prüfung zur Errichtung eines MZEB sind die kassenärztlichen Vereinigungen zuständig. Die regionalen Zulassungsausschüsse sind zu gleichen Teilen mit Vertretern der Ärzte und der Krankenkassen besetzt. „Eine Genehmigung geht nicht von jetzt auf gleich“, so KBV-Sprecher Roland Stahl. In Bayern beispielsweise müssen die Antragsteller ein Konzept vorweisen, das die fachliche Ausrichtung, die zu behandelnden Patienten, den Einzugsbereich, das interdisziplinäre Ärzte-Team und die ärztliche Leitung nennt.

Mehr Zeit, höhere Kosten

„Das sind keine Fünf-Minuten-Patienten“, sagt Dr. Helmut Peters, Ärztlicher Leiter des Kinderneurologischen Zentrums in Mainz. Menschen mit einer geistigen oder Mehrfachbehinderung sind nicht zuletzt wegen des hohen Zeitaufwands auch kostenintensiv. „Ein Arzt kann täglich nur wenige Patienten behandeln“, berichtet er. Es brauche viel Erfahrung, denn die Beschwerden dieser Menschen seien oft sehr speziell und manchmal schwer zu diagnostizieren. Seit Jahren setzt sich Peters dafür ein, dass seine Patienten auch nach Erreichen der Volljährigkeit eine adäquate medizinische Versorgung erhalten. Der Ausbau der MZEB ist seiner Meinung nach auch deshalb notwendig, weil sich niedergelassene Ärzte mit diesen Patienten oft schwertun. Viele Menschen mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen können kaum mitteilen, wo es weh tut, benötigen zur Kommunikation Leichte Sprache, Bilder, Hilfsmittel oder eine Assistenz. Ein Problem stellen auch Arztpraxen dar, von denen nur etwa jede fünfte barrierefrei zu erreichen ist. Die Bundesregierung hat nach eigenen Angaben „großes Interesse an einer möglichst schnellen Umsetzung der gesetzlichen Regelung“. Die Schaffung bundeseinheitlicher Vorgaben oder Richtlinien sei derzeit jedoch nicht geplant. „Diese gleichgültige Hinnahme fehlender medizinischer Versorgung von Menschen mit Schwerstbehinderungen durch Kassen und Ärztevereinigungen ist Ausdruck sozialer Kälte und eine Missachtung der Rechte von ohnehin benachteiligten Menschen“, kritisiert Armin Lang, Bundesausschussvorsitzender des VdK Deutschland und saarländischer VdK-Landesvorsitzender. Die Bundesregierung dürfe diesen Stillstand nicht hinnehmen. Sie müsse handeln und schnellstens ermöglichen, dass schwerstbehinderte Menschen über das 18. Lebensjahr hinaus weiterbehandelt werden können. „Auch die Rechtsaufsichten der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Kassen sind gefordert“, so Lang. „Die Landesministerien und das Bundesversicherungsamt müssen die untätigen Akteure der Selbstverwaltung zum Handeln zwingen.“

Vorreiter Rheinland-Pfalz

Es geht auch anders: In Rheinland-Pfalz ist die flächendeckende Versorgung mit Behandlungszentren in der Regierungserklärung festgelegt. Bereits jetzt sind vier Zentren zugelassen. Offene Fragen bleiben: Ein wichtiger Aspekt ist die Kostenübernahme in den MZEB, die noch zu regeln ist. Denn die Patienten haben wenig Nutzen von diesen Zentren, wenn die Behandlung nicht vergütet wird. Autorin: Annette Liebmann, Sozialverband VdK
Quelle: VdK Zeitung, mit freundlicher Genehmigung