Betroffene Menschen in den Mittelpunkt der Forschung stellen
Die Fürst Donnersmarck-Stiftung zu Berlin hat erneut ihren renommierten, mit 30.000 Euro dotierten, Forschungspreis für herausragende Arbeiten im Bereich der Neurorehabilitation vergeben. Die festliche Preisverleihung fand in der Französischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt statt und wurde vom Kuratoriumsvorsitzenden Dr. Guidotto Graf Henckel Fürst von Donnersmarck eröffnet. Anschließend richteten Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Dr. Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, sowie Dr. Ina Czyborra, Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege des Landes Berlin, Grußworte an die geladenen Gäste.
Der Forschungspreis würdigt die Entwicklung neuer Maßnahmen und Therapieansätze
„Forschung in der Neurorehabilitation und deren Förderung ist ein wichtiger Bestandteil unseres Stiftungsauftrages“, erklärt Leopold von Bredow, Geschäftsführer der Fürst Donnersmarck-Stiftung. „Die Forschungsergebnisse der Preisträgerinnen und Preisträger leisten einen bedeutenden Beitrag für eine erfolgreiche Rehabilitation in unserem P.A.N. Zentrum für Post-Akute Neurorehabilitation.“
Neurologische Rehabilitation braucht Forscherinnen und Forscher, die mit einem vertieften Verständnis neurophysiologischer Grundlagen innovative Maßnahmen und Therapieansätze entwickeln oder weiterentwickeln und so die Erkennung und Therapie neurologischer Erkrankungen verbessern. Darüber hinaus ist es für den Fortschritt in der neurologischen Rehabilitation eine zentrale Aufgabe, betroffene Menschen in die Forschung einzubeziehen, zu beteiligen und so in den Mittelpunkt zu stellen. Dieser Übergang von Grundlagenforschung zu Anwendungsorientierung ist den diesjährigen Preistragenden in herausragender Art und Weise gelungen.
PD Dr. Dipl. Psych. Jennifer Randerath erhielt den Forschungspreis für ihre Habilitationsschrift „Choosing and using tools: diagnostics, neuroanatomical correlates and therapy of tool-use apraxia“. Ihre Forschung beschäftigt sich mit Gliedmaßenapraxie. Betroffene sind in ihrer Gestik, ihren Bewegungsabläufen und im Umgang mit Werkzeugen beeinträchtigt, sie wählen beispielsweise die Zahnbürste, um sich die Haare zu kämmen oder können Gesten nicht mehr zuordnen. Ursache der Störung sind häufig Schlaganfälle oder neurodegenerative Erkrankungen. Dr. Randeraths Forschung beschäftigt sich sowohl mit neuroanatomischen Grundlagen als auch der Diagnostik und der Übertragung in den therapeutischen Alltag.
Prof. Dr. med. Friedhelm Hummel erhielt den Preis für seine Studie „Noninvasive theta-burst stimulation of the human striatum enhances striatal activity and motor skill learning“. Diese Studie ist eine Weiterentwicklung der transkraniellen Magnetstimulation, einer Technik zur Stimulation des motorischen Lernens und der neuronalen Aktivität. Die Ergebnisse zeigen, dass die Therapie signifikante Verbesserungen in der motorischen Leistungsfähigkeit bewirken kann, was weitreichende Implikationen für die Rehabilitation nach neurologischen Schädigungen hat. Besonders hervorzuheben ist die außergewöhnlich hohe wissenschaftliche Qualität der Arbeit, die neue Möglichkeiten bei der Erforschung neurologischer Einschränkungen und der Entwicklung konkreter Therapieangebote eröffnet.
Förderpreise für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
Neben dem Forschungspreis verleiht die Fürst Donnersmarck-Stiftung bis zu fünf, mit je 3.000 Euro dotierte, Förderpreise. Diese sollen einerseits begabte Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler fördern, andererseits aber auch auf weniger beachtete Themenfelder aufmerksam machen und Forschungen auf diesen Gebieten anregen.
In diesem Jahr gingen die Förderpreise an:
Anne Geßner für ihre Studie: „Sensitive identification of asymmetries and neuromuscular deficits in lower limb function in early Multiple Sclerosis“. Es handelt sich um eine Masterarbeit im Studiengang Physiotherapie aus dem Jahr 2023. Darin beschäftigt sich Geßner mit einem neuen Assessment, das in der Lage ist, sehr früh subtile neuromuskuläre Defizite bei Personen mit Multipler Sklerose zu erkennen, um frühzeitig mit einer individuellen, neurorehabilitativen Therapie zu starten.
Dr. Marion Egger für ihre Doktorarbeit: „Neurorehabilitation and long-term outcomes in critically illpatients“. In ihrer Dissertation befasst sie sich mit dem Post-Intensive-Care-Syndrome (PICS) schwer betroffener Covid-19-Patienten. Dieses äußert sich insbesondere durch anhaltend verminderte Belastbarkeit, Muskelschwäche, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen infolge der intensivmedizinischen Behandlung. Mit ihrer Arbeit weist Marion Egger nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer langfristigen, neurorehabilitativen Versorgung für Betroffene hin.
Dr. Tobias Lohaus, Sally Reckelkamm und Prof. Dr. Patrizia Thoma für ihre Arbeit „SoKoBo – ein Programm zur Behandlung von soziokognitiven Einschränkungen nach erworbenen Hirnschädigungen“. Die Arbeit des Projektteams der Ruhr-Universität Bochum zielte auf die Entwicklung und Evaluation eines internetgestützten Therapieprogramms, mit dem Betroffene unter anderem das Interpretieren von Gesichtsausdrücken, das Einnehmen anderer Perspektiven oder das Lösen sozialer Probleme selbstständig trainieren können.
Dr. Jannik F. Scheffels für seine Dissertation: „The Effects of continuous vs. intermittent prism adaptation protocols for treating visuospatial neglect: A randomized controlled trial “. Die Doktorarbeit beschäftigt sich mitder Weiterentwicklung des Prismen-Adaptionstrainings durch veränderte Einstellung der Prismenbrille. Diese Veränderung verbessert das Therapieergebnis und hat eine hohe praktische Relevanz in der Neglektbehandlung.
Uwe Helbig für die Studie: „Case management-based post-stroke care for patients with acute stroke and TIA (SOS-Care)“. Das in dieser Studie in einem Projektsetting außerhalb der Regelversorgung eingeführte und evaluierte Case Management greift in der ambulanten Phase nach dem Klinikaufenthalt von Schlaganfallbetroffenen an der Stelle, wo professionelle Unterstützung abrupt stoppt. Geboten wird eine strukturierte Nachbetreuung, die die Eigenständigkeit der Betroffenen und deren Genesung bestärkt.
Von der Forschung in die Praxis
Die Verleihung eines Forschungspreises ist eng mit dem ursprünglichen Stiftungszweck verknüpft. Dort ist als ein zentraler Auftrag der Stiftung die „Förderung und Unterstützung von Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Betreuung Körperbehinderter und Mehrfachbehinderter“ festgehalten. Neben der reinen Förderung von Forschung ist es der Fürst Donnersmarck-Stiftung auch ein großes Anliegen, Forschungsergebnisse erfolgreich in die rehabilitative und pädagogische Praxis zu überführen und mit Hilfe des stiftungseigenen Forschungsbereiches wissenschaftlich zu begleiten und zu evaluieren.
Ergebnisse der Forschenden finden in der Stiftung unter anderem Eingang in die Arbeit des P.A.N. Zentrums für Post-Akute Neurorehabilitation. Das Haus in Berlin-Frohnau bietet Menschen mit erworbenen Schädigungen des Gehirns, beispielsweise durch einen Schlaganfall oder ein Schädel-Hirn-Trauma, im Anschluss an die akute medizinische Rehabilitation ein Wohn- und Rehabilitationsangebot. Ein interdisziplinäres Team aus medizinischen, therapeutischen und pädagogischen Fachkräften sowie die herausragende Architektur des Hauses sollen die Rehabilitandinnen und Rehabilitanden befähigen, wieder möglichst selbstbestimmt und unabhängig zu leben.
Mit der Verknüpfung von Forschungspreis, eigenen Forschungsaktivitäten und der praktischen Betreuungsarbeit positioniert sich die Fürst Donnersmarck-Stiftung nicht nur als Motor medizinisch-wissenschaftlicher Innovationen, sondern leistet in erster Linie einen Beitrag zur kontinuierlichen Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben.
Über die Fürst Donnersmarck-Stiftung
„Mittendrin, so wie ich bin“, lautet ihr Stiftungsmotto und der daran geknüpfte Auftrag, die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung in unterschiedlichen Lebensbereichen zu fördern. Sei es selbstständig zu wohnen, die Freizeit nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten oder ungehindert zu reisen.
Seit ihrer Gründung im Jahr 1916 versteht sich die Fürst Donnersmarck-Stiftung zu Berlin als Partnerin und Motor im Prozess zu mehr Inklusion und Selbstbestimmung. Ihr Ziel ist eine vielfältige und bunte Gesellschaft, in der alle Menschen „mittendrin“ sein können. Um das zu erreichen, gestaltet sie mit mehr als 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Angebote mit und für Menschen mit Behinderung in den Arbeitsbereichen Rehabilitation, Freizeit, Bildung, Beratung sowie Touristik.
Quelle: Pressemitteilung der Fürst Donnersmarck-Stiftung zu Berlin vom 06.12.2024