Angst isst Seele auf

von Dr. Jos Schnurer
11.03.2020

Angst scheint nicht nur in diesen Zeiten eine ständige Begleiterin zu sein. Ein sachlicher Beitrag zu einem Phänomen, das so alt ist wie die Menschheit selbst.

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„Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“, dieses Kinder(fang-)spiel aus dem 17. Jahrhundert wird bis heute im Sportunterricht und in der Freizeit gespielt, wobei, ähnlich wie die Geschichte von den „Zehn kleinen Negerlein“[i], der Titel des Spiels umbenannt wird in: „Wer hat Angst vorm bösen Mann..., weißen Hai...“.  In diesem Unterrichtsbeispiel geht es um die Auseinandersetzung: „Was ist Angst?“ – „Wie entsteht Angst?“ – „Wie kann ich Angst überwinden? – „Kann Angst auch hilfreich sein?

Angst ist ein allgemein menschliches Gefühl

In der Kundenzeitschrift „Apotheken Umschau“ wird beruhigend festgestellt, dass Ängste zum Leben gehören; wenn Angst aber außer Kontrolle gerate, könnten Angststörungen und Krankheiten entstehen[i]. Bei Wikipedia wird dem Stichwort „Angst“ ein langer, differenzierter Artikel gewidmet: „Angst ist ein Grundgefühl, welches sich in als bedrohlich empfundenen Situationen als Besorgnis und unlustbetonte Erregung äußert. Auslöser können dabei erwartete Bedrohungen etwa der körperlichen Unversehrtheit, der Selbstachtung oder des Selbstbildes sein. Krankhaft übersteigerte Angst wird als Angststörung bezeichnet“. Der Begriff leitet sich vom indogermanischen „anghu“ ab, was soviel wie „beengend“ bedeutet. In der Psychologie und Psychoanalyse wird zwischen einer objektunbestimmten Angst (angor, lat.) und einer objektbezogenen Furcht (timor) unterschieden[ii]. Dabei werden Angstgefühle in ihrer Intensität und Wirkung auf das alltägliche Leben der Menschen differenziert und immer bezogen auf Gefühlsregungen und Anlässen, wie z. B.: Verunsicherungen bei bestimmten An- und Herausforderungen, Angst vor Veränderung, vor Nähe, vor Prüfungen, vor Krankheit, Tod...

Zum Erkennen und Bewältigen von Angstzuständen wurden eine Reihe von Therapien und Verhaltensmodelle entwickelt, wie z. B. das „Gesetz der Angst“, das 1908 die US-amerikanischen Verhaltensbiologen und Ethologen Robert Yerkes und John D. Dodson als „Aktivationsmodell“ entwickelt haben. Es verdeutlicht die Auswirkung von bestimmten nervösen Erregungszuständen auf das Lebensgefühl und die Leistungsfähigkeit des Menschen. Im philosophischen Denken wird Angst als ein „Gefühl umfassender Unsicherheit und Bedrohtheit (beschrieben), das sich anders als die Furcht nicht aus etwas bestimmtem Bedrohlichen erklären lässt“. Der dänische Philosoph Søren Aabye Kierkegaard hat Angst als „antipathetische Sympathie“ bezeichnet, weil sich dabei sowohl verlockende als auch bedrohliche Erfahrung menschlicher Freiheit zeige[iv]. Angst haben, soweit können wir bisher schon erkennen, sind nicht nur negative Gefühlsregungen; es können auch lustvolle Erfahrungen und Erlebnisse sein, wie etwa der Thrill. Denken wir dabei an den ersten Fallschirmsprung oder andere Aktivitäten zwischen einem mulmigen, ängstlichen Gefühl und einer extrem-sportlichen Herausforderung, die mit einem Kick als Angstlösung endet. Ebenso kann ein Angstgefühl Menschen vor bedrohlichen Gefahren schützen, was z. B. bedeuten kann, dass nicht Draufgängertum oder unüberlegtes Verhalten als „angstfrei“ bezeichnet werden kann, sondern etwa die Flucht vor einer Gefahr die bessere Lösung darstellt.

Jede Form von Angst kann gelernt und verlernt werden

Jeder Mensch zeigt von Geburt an bestimmte Signale, die Angst zum Ausdruck bringen. So kann etwa einem Kind Angst sowohl anerzogen, als auch genommen werden; etwa wenn Eltern einem Kleinkind eine Spinne als ein gefährliches Tier vorführen, oder selbst panische Angstzustände vor einer Maus zeigen, wird das Kind ebenfalls Angst empfinden und diese weiter entwickeln und erinnern. Als typisch „gemachte Angst“ kann dabei angeführt werden, dass in der Kinderpsychologie lange Zeit davon ausgegangen wurde, dass Kleinkindern quasi Angst vor Fremden in den Genen läge. Diese „natürliche Angstkonditionierung“ wurde z. B. in zahlreichen Experimenten, Tests und Versuchen sogar wissenschaftlich nachzuweisen versucht, so dass dieses Märchen sich bis heute in einigen Erziehungsratgebern findet. Die neuen, neuronalen Forschungen widerlegen diese Auffassung und zeigen auf, dass Ängste menschengemachte, positive und negative Gefühls- und Verhaltensäußerungen sind.

Der Karlsruher Sportwissenschaftler und Didaktiker Siegbert A. Warwitz hat eine Wagnistheorie entwickelt, mit der die Phänomene des Umgangs des Menschen mit der Angst, ihren Gefühlsempfindungen und Risikobereitschaft erklärt und beeinflusst werden können. Er erkennt acht typische Einstellungsmuster, die für Verhaltensmodifikation und  -training hilfreich sind:

  • Vermeidungsverhalten, um Angst verursachenden Situationen auszuweichen;
  • Bagatellisierungsverhalten, um Angstgefühle herunterzuspielen;
  • Verdrängungsverhalten, um Angsterwartungen zu vermeiden;
  • Leugnungsverhalten, um aufkommende Angst nicht wahr zu nehmen;
  • Übertreibungsverhalten, um Sicherheitsvorkehrungen zu ignorieren;
  • Generalisierungsverhalten, um die Besonderheit von Ängsten zu leugnen;
  • Bewältigungsverhalten, um Angst als Realität zu akzeptieren;
  • Heroisierungsverhalten, um sich als Sieger über die Angst zu präsentieren.

Gesichter der Angst

Die Auseinandersetzung mit dem Angstphänomen im Unterricht kann auf vielerlei Weise erfolgen, z. B. indem im Unterrichtsgespräch eigene Angsterfahrungen der Schülerinnen und Schüler zur Sprache kommen oder sich als gestalterische Arbeiten, wie etwa Bildern, Collagen, Rollenspielen, Reportagen oder Erzählungen ausdrücken. Andere Zugangsweisen bieten die Beschäftigung mit der Literatur. Zu allen Zeiten haben Schriftstellerinnen und Schriftsteller über die eigene Angst und Angstphantasien geschrieben; oder die Auseinandersetzung mit filmischen Darstellungen; oder in der Kunst. Der Hamburger Kunsthistoriker hat z. B. 22 Bilder ausgewählt, in denen die Künstler aus dem Mittelalter bis in die Neuzeit „Gesichter der Angst“ dargestellt haben. Diese Abbildungen als Grundlage für die Diskussion über die Gewalt und Bewältigung von Angst zu nehmen, schafft die notwendige Distanz, bietet aber gleichzeitig die Möglichkeit der Identifizierung mit dem Phänomen[v]

Arbeitsanregungen

Das Bild „Der Schrei“ von Edward Munch wird den SchülerInnnen gezeigt. Diese Darstellung vermittelt einen Eindruck von ANGST. Die SchülerInnen finden dazu Ausdrücke, wie z. B.: Hilflosigkeit, Ohnmacht, Ausgeliefertsein...Im Unterrichtsgespräch werden die Fragen diskutiert: Was ist Angst? Wie zeigt sich Angst? Was bewirkt Angst? Wie kann Angst überwunden werden?

Die Stichworte dienen dazu, dass die SchülerInnen in Partnerarbeit eine Definition des Begriffs und des Phänomens erarbeiten. Diese Sammlung bildet die Grundlage für die weitere Partnerarbeit mit der Frage: Sind wir der Angst ausgeliefert? Welche Verhaltensweisen werden angewandt, um Angst zu bewältigen? (die acht Einstellungsmuster nach Siegbert A. Warwitz). Die Partnergruppen wählen eine Methode aus, um ihre eigenen Eindrücke und Erfahrungen über Angst darzustellen: Collage, Erzählung, Rollenspiel, Reportage, Zeitungsbericht, Bildinterpretation. Die Ergebnisse werden in einer Ausstellung im Klassenraum oder in der Schule gezeigt.



[i] Wulf Schmidt-Wulffen, Die "Zehn kleinen Negerlein". Zur Geschichte der Rassendiskriminierung im Kinderbuch, 2010, https://www.socialnet.de/rezensionen/10156.php

[ii] www.apotheken-umschau.de/Angst

[iii] de.wikipedia.org/wiki/Angst

[iv] Martin Gessmann, Philosophisches Wörterbuch, 23. vollst. neu bearb. Auflage, Stuttgart 2009, S. 34

[v] Martin Warnke, Gesichter der Angst, in: Kursbuch Angst, Rowohlt-Verlag, Berlin, März 2005, Heft 159, S. 44ff (die dort abgebildeten, kleinformatigen SW-Fotos werden in die Bereiche „Angstmacher“, Angstzustände“, Angstgebärden“, „Angstschreie“, Angstträume“ und „Angsthasen“ gegliedert; sie sind im Internet abrufbar oder auch in Kunstbildbänden abgebildet)