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Bildung und Teilhabe: Bei 85 Prozent kommen die Leistungen nicht an

Die Forschungsstelle des Paritätischen Gesamtverbands hat analysiert, wie und in welchem Umfang Leistungen aus dem sogenannten Bildungs- und Teilhabepaket genutzt werden. Die erschreckende Erkenntnis: Nur jedes achte Kind nimmt überhaupt Leistungen in Anspruch. Der Paritätische Gesamtverband spricht von einer "zynischen" Umsetzungspraxis.

Die Leistungen für benachteiligte Kinder und Jugendliche seien in der bestehenden Form nicht geeignet, Kinderarmut zu bekämpfen, Teilhabe zu ermöglichen und Bildungsgerechtigkeit sicherzustellen, kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband. Wie eine aktuelle Expertise der Paritätischen Forschungsstelle belegt, haben sich die mit dem so genannten „Starke-Familien-Gesetz“ 2019 in Kraft getretenen Reformen des Bildungs- und Teilhabepaketes nach den vorliegenden Statistiken nicht positiv auf die Inanspruchnahme der Teilhabeleistungen durch benachteiligte Schüler*innen ausgewirkt, vielmehr sei sogar ein leichter Rückgang der Quoten zu verzeichnen. Der Paritätische bekräftigt seine Forderung nach der Einführung eines Rechtsanspruchs auf Angebote der Jugendarbeit im Kinder- und Jugendhilfegesetz und die Einführung einer bedarfsgerechten, einkommensabhängigen Kindergrundsicherung.

Schneider: „Das Bildungs- und Teilhabepaket ist und bleibt Murks“

„Das Bildungs- und Teilhabepaket ist und bleibt Murks und geht weiter komplett an der Lebensrealität Heranwachsender und den Strukturen vor Ort vorbei. Was es jetzt braucht, ist den politischen Mut, sich von dem verkorksten Bildungs- und Teilhabepaket endlich zu verabschieden, und den politischen Willen, Kinderarmut wirklich zu stoppen“, fordert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands.

Mit dem Bildungs- und Teilhabepaket wird seit 2011 benachteiligten Kindern und Jugendlichen ein monatlicher Zuschuss in Höhe von 10 Euro (seit dem 1. August 2019: 15 Euro) für Mitgliedsbeiträge in den Bereichen Sport, Spiel, Kultur und Geselligkeit, für Musikunterricht und die Teilhabe an Freizeiten in Aussicht gestellt. Obwohl die Leistungen praktisch nur einem Teil der Jugendlichen zu Gute kommen, wurden Regelsatz-Bestandteile im Gegenzug für alle Kinder und Jugendlichen pauschal gestrichen. Auch knapp zehn Jahre nach Einführung profitieren laut der vorliegenden Studie des Paritätischen nur bis zu 15 Prozent der Schülerinnen und Schüler unter 15 Jahren im Hartz-IV-Bezug von den sogenannten „soziokulturellen Teilhabeleistungen“, 85 Prozent der Leistungsberechtigten wurden in der Praxis dagegen nicht erreicht. „Es ist geradezu zynisch, dass Kürzungen im Regelsatz damit begründet werden, dass theoretisch der Anspruch auf eine Leistung besteht, die in der Praxis aber kaum ein Kind erreicht“, kritisiert Schneider.

Weiterhin Mangel an geeigneten Angeboten vor Ort

Die Studie, die zum dritten Mal in Folge erscheint, belegt dabei auch in diesem Jahr drastische regionale Unterschiede in der Umsetzung des bundesgesetzlich normierten und kommunal administrierten Rechtsanspruchs. Erstmals berücksichtigt wurden qualitative Erkenntnisse auf Basis einer Abfrage bei den Jobcentern mit besonders hohen bzw. niedrigen Quoten im Bundesländervergleich. Als Grund für hohe Bewilligungsquoten werden primär niedrigschwellige Antragsverfahren genannt, aber auch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit sowie Beratung zur Information und Aufklärung der Betroffenen. Schlechte Quoten werden teilweise auf Probleme bei der Datenerfassung zurückgeführt, aber gelegentlich auch auf bestehende kostenfreie Angebote, die sich als geringerer Bedarf an Teilhabeleistungen in den Daten widerspiegeln.

Ein Grundproblem bleibt vielerorts der Mangel an geeigneten Angeboten, weshalb der Paritätische sich für die Einführung eines einklagbaren Rechtsanspruchs einsetzt: „Die bisherigen Teilhabeleistungen sind davon abhängig, dass es vor Ort überhaupt passende Angebote gibt. Nur ein Rechtsanspruch sorgt dafür, dass auch wirklich entsprechende Angebote vorgehalten werden und jedes Kind, unabhängig von seinem Wohnort, bestmöglich in seiner Entwicklung gefördert wird.“

 


Quelle: Pressemitteilung des Paritätischen Gesamtverbands vom 12.11.2020