Die anderen haben viel mehr
In den Zeitungen sehe ich seit Wochen nur Bilder vom Krieg. Ein Jahr der Zerstörung. Und ich gebe zu, dass mir der Krieg in der Ukraine vom ersten Tag an mehr Angst machte als andere Kriege, er war und ist einfach näher. Und die Angst ist nicht weg, sie begleitet mich täglich.
Meine Freundin hat ausgerechnet am 24. Februar Geburtstag, und sie ist eine, die gern feiert. Letztes Jahr hat sie die geplante Feier abgesagt. In diesem Jahr wird sie fünfzig. Vor zwei Jahren hat sie noch erzählt, dass sie eine Riesenparty veranstalten wird, mit Tanz und Spaß und allerlei Überraschungen. Und jetzt – ist sie verreist, mit ihrer Liebsten. Sie will es ruhig angehen, hat sie gesagt. Wir werden einfach nur einen Spaziergang machen, wenn sie wieder da ist. Schade – und traurig ist das.
Die Familien, mit denen ich arbeite, haben andere Themen. In Schule und Kita wurde Fasching gefeiert und die meisten Kinder hatten viel Spaß. Jule ging eine ganze Woche lang als Giraffe in die Kita. Momo wollte als Pokemon gehen, fand kein passendes Kostüm und dann blieb er zu Hause, wegen Bauchweh, erfahre ich, als ich zum Hausbesuch komme.
Eine Familienrunde war geplant und ich frage, was ansteht. Momo möchte heute nicht zu uns an den Tisch kommen, er liegt auf der Couch und kuschelt sich fest in eine Wolldecke ein. Am 15. März hat er Geburtstag. Acht Kinder möchte er einladen und außerdem will er endlich mehr Taschengeld. Er ist sauer, weil seine Eltern ihm nicht alles kaufen, was er seiner Meinung nach braucht. Alle seine Freunde haben viel mehr. Mehr Geld, mehr Sachen, mehr Spiele, mehr – Alles, und „alle haben sie einen eigenen Fernseher im Zimmer“, sagt Momo und, „Spielekonsolen haben sie auch. Warum wollt ihr, dass es mir schlecht geht?“ Dabei schaut er erst seiner Mutter und dann seinem Vater fest in die Augen.
Die Eltern stehen finanziell nicht so gut da und selbst wenn, dann würden sie den Medienkonsum nicht ausufern lassen. Aber der Vorwurf, sie wollen, dass es ihrem Sohn schlecht geht, der trifft. Sie haben allerdings andere Vorstellungen davon, was gut ist für ihr Kind. Mehr Sport zum Beispiel. Aber Momo wird immer schwerfälliger in den letzten Monaten und nun hat er sich auch noch mit seinen beiden besten Freunden zerstritten. „Weil es hier langweilig ist, kommt mich niemand besuchen“, behauptet er. Und die Eltern überlegen laut, ob es ihn wirklich beliebter machen würde, wenn er andere Kinder zum Konsolespielen und Fernsehen einladen könnte. „Wenn ich wenigstens mehr Geld hätte, dann könnte ich ganz viele Pokemonkarten kaufen und in der Schule verschenken. Dann hätte ich auch wieder neue Freunde“.
Ich versuche, die Eltern zu unterstützen, ohne dass ich es mir mit Momo verscherze, bringe meine Kenntnisse über die Forschung zum Medienkonsum ein und denke, das wird ein größeres Thema. Für heute kommen wir wenigstens mit der Taschengeldfrage ein Stück weiter und zu einem Ergebnis mit dem alle zufrieden sind.
Zum Schluss spielen wir noch eine Runde UNO und Momo sitzt auch wieder mit uns am Tisch, genauer gesagt, rechts von mir. Immer wenn ich 2 oder 4 Karten ziehen muss, bedanke ich mich bei ihm, weil ich ja dann länger im Spiel bleiben kann, und ich bin die letzte, die noch Karten in der Hand hält. Als ich mich verabschiede, fragt er mich, ob ich zu seinem Geburtstag komme. In der neuen großen Trampolinhalle möchte er feiern, und ich bin sicher, die Eltern werden ihm diesen Wunsch gern erfüllen.
Ihre Katja Änderlich