Symbolbild: Mehrere Pfeile zeigen vorwärts
Jungwoo Hong / Unsplash

Offene Fragen: Definition, Beispiele und Tipps

von Rebekka Sommer
04.06.2024 | Dossier

Offene Fragen sind die grundlegende Frageform in systemischer Beratung oder Therapie. Im Gegensatz zu geschlossenen Fragen regen sie die Befragten zur Selbstexploration an und über ein Thema vertiefend nachzudenken. Offene Fragen eignen sich, um dem Gegenüber zu helfen, sich selbst und seine Umwelt neu zu reflektieren, Entscheidungen zu treffen oder eigene Lösungen zu finden. Aber sie sollten bewusst und sorgsam eingesetzt werden.

Was sind offene Fragen?

Offene Fragen lassen sich nicht mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Sie können daher weniger direktiv wirken als geschlossene Fragen, die nur eine einfache Antwort erfordern. Offene Fragen beginnen mit Wörtern wie „Was“, „Wie“ oder „Warum“.

 Beispiele für offene Fragen sind:

  • Wie denken Sie darüber?
  • Worauf legen Sie besonderen Wert?
  • Was hat Ihnen dabei früher schon geholfen?
  • Wie würde Ihre Partnerin darauf antworten?

Wann benutzt man offene Fragen?

Offene Fragen sind gut geeignet, um Menschen zum Erzählen zu bringen. In der Sozialforschung wird diese Strategie beispielsweise angewandt, wenn man noch auf der Suche nach einer Fragestellung ist oder herausfinden möchte, welche Deutungsmuster Menschen haben, um ein bestimmtes Phänomen zu verstehen.

Im Qualitätsmanagement gibt es die 5W-Methode. Dabei wird systematisch so lange nachgehakt, bis durch die Antworten aufgedeckt ist, wieso bestimmte Fehler im Prozess passieren: „Für welches Problem wird eine Lösung gesucht?“, „Was passiert? Und wie?“ „Wo und wann passiert es?“ „Wo, wann und wie genau?“ „Warum passiert es?“, und „Wie können wir die Ursache beseitigen?“

Offene Fragen sind die Basis für systemische Fragetechniken. Sie kommen sowohl in der systemischen Therapie und Beratung zum Einsatz, aber u.a. auch in der Mitarbeiterentwicklung. Systemische Fragen richten sich einerseits nach innen, sollen die Exploration der Wahrnehmung der Befragten anregen, aber gleichzeitig auch die Wechselwirkung zwischen Individuen und ihrer Umgebung verdeutlichen. Das heißt, es geht nicht um Definitionen, Beschreibungen oder Bezeichnungen, sondern darum, welchen Sinn ein Mensch ihnen zumisst. Also nicht: „Wie würden Sie die Situation einschätzen?“ (mögliche Antwort: „Als sicher“), sondern: „Was muss gegeben sein, damit Sie eine Situation als sicher einschätzen?“ Die erste Frage kann aber natürlich eingesetzt werden, um auf die zweite (offene) Frage hinzuleiten.

Offene Fragen an Kinder sollten deren Entwicklungsstand berücksichtigen, um sie nicht zu überfordern. Im Unterschied dazu können Fragen an Erwachsene auch abstrakter werden und mehr in die Tiefe gehen, um komplexere Zusammenhänge offenzulegen.

Welche Tipps gibt es beim Formulieren offener Fragen?  

Respektieren Sie Grenzen

Eine offene Frage legt nahe, dass Sie an ausführlichen Antworten persönlich interessiert sind. Die Teilnehmer:innen Ihres Gesprächs oder Ihrer Beratung könnten unweigerlich mehr erzählen, als sie möchten, und sich damit später unwohl fühlen. Achten Sie daher auf nonverbale Äußerungen. Die Selbstbestimmung Ihres Gegenübers können Sie auch unterstützen, indem Sie zu Beginn klare Gesprächsregeln definieren und in einem Beratungsgespräch einen konkreten Rahmen setzen.

Ermutigen Sie durch Nachfragen

Kinder wissen, wie’s geht: „Und dann?“ „Wie ging es weiter?“ „Wie haben Sie sich dabei gefühlt?“ Legen Sie sich im Vorfeld ein paar gute Nachfragen zurecht – und weichen Sie nicht zu schnell von ihrem Fokus ab, wenn eine Erzählung nicht gleich in Fluss kommt. Dabei behutsam aufzugreifen, was Ihr Gegenüber zuvor gesagt hat, kann helfen, Gedankengänge zu vertiefen, und bestätigt, dass Sie aktiv zuhören.

Seien Sie neutral

Vermeiden Sie implizite Meinungen und Bewertungen. Die schleichen sich öfter als wir wollen in den Satzbau ein: „Was denken Sie, weshalb er überreagiert hat?“ beinhaltet etwa eine Wertung, „Wie haben Sie seine Reaktion wahrgenommen?“, nicht. Reflektieren Sie nachträglich Ihre Wortwahl, aber auch Tonfall und Körpersprache, damit sich Ihr Gesprächspartner frei fühlen und seine Gedanken äußern kann.

Vor- und Nachteile von offenen Fragen

Die Vorteile von offenen Fragen liegen vor allem darin, ihr Gegenüber ins Nachdenken und Erzählen zu bringen. So können Sie indirekt Denkanstöße geben, die dennoch mit den Deutungsmustern der reflektierenden oder erzählenden Person einhergehen. Mögliche Lösungsansätze sind damit kreativer und ihr Erfolg wahrscheinlicher. Andererseits können offene Fragen zu unstrukturierten Antworten führen und es ist wichtig, durch gute Vorbereitung und gezieltes Nachfragen den Reflexionsprozess zu strukturieren.

Wenn Sie schnell an bestimmte Informationen gelangen wollen, sind geschlossene Fragen besser geeignet als offene Fragen. Bedenken Sie auch, dass Menschen, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, durch offene Fragen an ihre Grenzen kommen können. Setzen Sie sich mit traumasensibler Kommunikation auseinander, bevor Sie eine tiefe Auseinandersetzung mit persönlichen Themen anstoßen.

Wer mitten in einer Krise steckt oder aus psychosozialen oder gesundheitlichen Gründen belastet ist, kann durch offene Fragen überfordert sein. In solchen Situationen sind klare, prägnante Fragen oder gezielte Empfehlungen manchmal besser geeignet. Für Beratungs- und Therapiekontexte hilft es dann, auf subtilere Methoden zur Exploration zurückzugreifen.