Eckpunkte für das erste Psychiatriegesetz in Baden-Württemberg vorgelegt

22.02.2013 | Gesundheitswesen | Nachrichten

Psychisch Kranke im Südwesten sollen mehr Rechte und Hilfen erhalten. Nach etwa einjähriger Vorarbeit hat Sozialministerin Katrin Altpeter die Eckpunkte für ein Gesetz zur Hilfe für psychisch kranke Menschen vorgelegt (PsychKHG). Erstmals in Baden-Württemberg werden damit nach den Worten der Ministerin Hilfen und Schutzmaßnahmen für diese Menschen zusammengeführt und gesetzlich geregelt.

„Wir wollen die Rechtsstellung psychisch Kranker bei der Behandlung, Pflege und Betreuung gesetzlich stärken sowie ihre Teilhabe an der Gesellschaft und eine selbständige Lebensführung fördern“, so die Ministerin. Auch die freiheitsentziehenden Maßnahmen bei der Unterbringung von psychisch kranken und sucht- oder drogenkranken Straftätern im Maßregelvollzug erhalten nun eine umfassende gesetzliche Grundlage. In den Eckpunkten wird ein dichtes Netz von Diensten und Einrichtungen vorgeschlagen, damit die Hilfen für psychisch kranke Menschen umfassend gewährleistet werden können. Dazu gehören der verpflichtende Ausbau bestehender Strukturen ebenso wie die Etablierung neuer Anlaufstellen, insbesondere zur Sicherung der Patienten- und Angehörigenrechte. Konkret sehen die Eckpunkte vor, dass die Sozialpsychiatrischen Dienste (SpDi) die ambulante Grundversorgung gewährleisten sollen und in allen Stadt- und Landkreisen Gemeindepsychiatrische Verbünde (GPV) eingerichtet werden. Auf Kreisebene sollen Informations-, Beratungs- und Beschwerdestellen (IBB-Stel­len) geschaffen werden und auf Landesebene eine Ombudsstelle. Neu aufgebaut werden soll ein zentrales, standardisiertes und anonymisiertes Melderegister über freiheitsentziehende und andere (Zwangs-)Maßnahmen. Für Personen, die gegen ihren Willen in psychiatrischen Einrichtungen untergebracht wurden, sollen Besuchskommissionen als neutrale Kontrollinstanz eingerichtet werden. Entstanden sind die vom Kabinett gebilligten Eckpunkte nach Angaben der Ministerin in einem offenen Dialogverfahren mit allen Beteiligten. „Eine Gruppe von insgesamt rund 100 Personen aus Psychiatrie-Erfahrenen/Angehörigen, der Bürgerhilfe, der Sozialverbände, der Medizin, Wissenschaft, kommunalen Ebene und der Leistungsträger hat an den Eckpunkten mitgearbeitet.“

Wesentlicher Inhalt der Eckpunkte im Überblick

1. Verpflichtender Ausbau bestehender Strukturen
  • Einrichtung von Gemeindepsychiatrischen Verbünden (GPV) inallen Stadt- und Landkreisen (derzeit in rund 75% der 44 Stadt- und Landkreise)
  • Gewährleistung der ambulanten Grundversorgung durch die
    Sozialpsychiatrischen Dienste „SpDi“
  • Bessere Verzahnung von ambulanten und stationären Angeboten

2. Neue Anlaufstellen zum Schutz der Patienten- und Angehörigenrechte
  • Einrichtung von sog. Informations-, Beratungs- und Beschwerdestellen (IBB-Stellen) aufKreisebene, die unabhängig und niederschwellig Beschwerden bearbeiten, aber auch kostenlose Beratung für Betroffene und Angehörige im Sinne allgemeiner Informationen zum Hilfesystem sowie zu juristischen Fragen anbieten sollen
  • Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle mit juristischer Kompetenz aufLandesebene, welche die IBB-Stellen beraten und gegenüber dem Landtag berichtspflichtig sein soll
  • Einrichtung von Besuchskommissionen als neutrale Kontrollinstanz für alle Kliniken und sonstigen psychiatrischen Einrichtungen. Denkbar sind landesweit zehn Besuchskommissionen (entsprechend der Versorgungsgebiete der Zentren für Psychiatrie, ZfP)
  • Einrichtung eines zentralen, standardisierten, anonymisierten Melderegisters über freiheitsentziehende und andere (Zwangs-) Maßnahmen
Bei der Sicherstellung der psychiatrischen Grundversorgung nimmt die Arbeit der SpDi nach den Worten von Ministerin Altpeter einen zentralen Stellenwert ein. Die ab den Haushaltsjahren 2013/2014 im Staatshaushaltsplan hierfür vorgesehenen Finanzmittel in Höhe von jährlich 4 Millionen Euro seien zur Umsetzung des Hilfegesetzes von ganz wesentlicher Bedeutung. Das Land wolle aber die Kommunen für eine verbindliche komplementäre Finanzierung gewinnen. 3. Unterbringung psychisch Kranker Die Unterbringung psychisch Kranker, die bisher im baden-württembergischen Unterbringungsgesetz geregelt war, wird künftig vollständig im neuen Landesgesetz zur Hilfe für psychisch Kranke (PsychKHG) gesetzlich normiert. Nachdem die derzeit laufende Novellierung der Vorschrift zur Zwangsmedikation in § 8 des Unterbringungsgesetzes (UBG) aus verfassungsrechtlichen Gründen vorgezogen werden musste, würden nun die übrigen Vorschriften des UBG überprüft und in das neue Psychiatriegesetz überführt. Das UBG werde dann aufgehoben, so die Ministerin. 4. Änderungen im Maßregelvollzug Auch im Maßregelvollzug sollen Besuchskommissionen eingerichtet werden. Die Eckpunkte zielen aber auch auf neue finanzielle Regelungen ab. Gedacht ist beispielsweise an finanzielle Anreize im Zusammenhang mit der Arbeitstherapie, bei Erhalt eines Arbeitsentgelts soll die untergebrachte Person jedoch auch zur Entrichtung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung verpflichtet sein. Ministerin Altpeter kündigte an, dass nun auf der Basis der Eckpunkte der Refe­rentenentwurf für das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz ausgearbeitet wird. „Was am Ende vom Parlament beschlossen wird, ist  - wie immer, wenn Neuland betreten wird - vermutlich nicht die 1:1-Übernahme der Eckpunkte.“ Trotzdem dürften alle Beteiligten schon jetzt „stolz darauf sein, dass die erste und wohl schwierigste Etappe dieses Prozesses erfolgreich abgeschlossen werden konnte.“

Quelle: Pressemitteilung des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren des Landes Baden-Württemberg vom 21.02.2013
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