Alzheimer: Stau im Lipidtransport des Gehirns?
Studie rückt neuen Krankheitsmechanismus in den Focus
An Alzheimer-Demenz erkranken vor allem ältere Menschen. Es gibt jedoch Varianten, die sich bereits bei 20-Jährigen ausprägen. Ursache sind Mutationen der so genannten Präsenilin-Gene. Wissenschaftler aus Deutschland, Belgien, Kanada und den USA haben nun herausgefunden, wie sie wirken. Ihre Ergebnisse könnten auch erklären, warum bestimmte Therapieansätze nicht fruchten. Die Studie stand unter Federführung der Universität Bonn; ihre Ergebnisse sind jetzt im Journal of Neuroscience nachzulesen.
Im Gehirn gibt es eine Art molekulares Taxi, das Cholesterin zwischen verschiedenen Zellen transportiert - das so genannte Apolipoprotein. Eine Mutation der Präsenilin-Gene hat für dieses Taxi vergleichbare Folgen wie ein Verkehrsstau: Die Beförderung des Cholesterins in die Nervenzellen wird empfindlich gestört. "Das scheint die Funktion dieser Zellen so zu behindern, dass sie letztendlich absterben", erläutert Professor Dr. Jochen Walter.
Der Bonner Neurobiologe hat ein internationales Forscherteam geleitet, das diesen Mechanismus aufgeklärt hat. Präseniline kommen in der Membran vor, die die Nervenzellen umhüllt. Zusammen mit anderen Molekülen bilden sie dort eine Art Schere, die Proteine in der Membran zerschneidet. Funktioniert die Schere nicht, häufen sich Proteine in der Membran an und verstopfen diese. Die Forscher konnten zeigen, dass dann auch weniger Cholesterin in die Zelle gelangen kann.
Die Präsenilin-Schere steht schon längere Zeit im Focus der Alzheimer-Forscher. Allerdings aus einem ganz anderen Grund: Sie zerschneidet nämlich unter anderem ein Protein namens APP. Eines der Fragmente, die dabei entstehen, ist das so genannte beta-Amyloid. Es wird in den Raum zwischen den Hirnzellen abgegeben und bildet dort große Ablagerungen, die Alzheimer-typischen Amyloid-Plaques. Viele Wissenschaftler vermuteten bislang, dass diese Plaques den Nervenzellen in ihrer Umgebung den Todesstoß versetzen.
"Man hat daher unter anderem versucht, die Präsenilin-Schere in ihrer Funktion zu stören", erklärt Walters Kollege Professor Dr. Dr. Dieter Lütjohann. So wollte man die Bildung von beta-Amyloid und damit auch der gefährlichen Ablagerungen verhindern. Erstaunlicherweise ging der Schuss aber nach hinten los: Wenn man die Präseniline ausschaltete, führte das zu erheblichen Hirndefekten. "Wir liefern nun eine Erklärung für dieses Phänomen", erläutert der Lipidexperte vom Institut für Klinische Chemie und Pharmakologie: "Die Präsenilin-Schere ist einfach zu wichtig für die Nervenzell-Funktion."
Entsorgung von Eiweiß-Belägen
Vielleicht bilden sich Alzheimer-Plaques sogar gerade dann, wenn die Präsenilin-Schere nicht scharf genug ist. Dasselbe "Taxi", das für den Cholesterin-Transport verantwortlich ist, befördert nämlich auch beta-Amyloid in Gehirnzellen hinein. Wenn die Präsenilin-Schere nicht richtig funktioniert, entsteht zwar weniger beta-Amyloid. Da aber gleichzeitig die Zellmembran verstopft, wird es nun auch nicht mehr "weggeräumt". "Vielleicht zeigen die Plaques nur, dass bei Alzheimer-Patienten im Alter die Präsenilin-Schere nicht richtig arbeitet", sagt Walter. "Zum Untergang von Nervenzellen könnten dann auch die festgestellten Störungen im Cholesterin-Stoffwechsel beitragen."
Kontakt:
Professor Dr. Jochen Walter
Abteilung für Neurologie der Universität Bonn
Telefon: 0228/287-19782
E-Mail: Jochen.Walter@ukb.uni-bonn.de
Professor Dr. Dr. Dieter Lütjohann
Institut für Klinische Chemie und Pharmakologie, Universität Bonn
Telefon: 0228/287-15272
E-Mail: dieter.luetjohann@ukb.uni-bonn.de
Quelle: Universität Bonn, Abt. 8.2 - Presse und Kommunikation