Psychologie der Ökonomie: Ernst Fehr und seine Thesen
Wie verhalten wir uns im täglichen Leben unter unseresgleichen und den Bedingungen des Wirtschaftslebens? Welche Kategorien und Werte lenken uns dabei?
Wie verhalten wir uns im täglichen Leben unter unseresgleichen und den Bedingungen des Wirtschaftslebens? Welche Kategorien und Werte lenken uns dabei? Steht Fairness immer gegen Selbstinteresse? Belohnt der Markt kurzfristige oder längerfristige Investitionen? Wie weit gehen wir rein rational vor, wie weit lassen wir uns von Instinkt und Reiz beeinflussen? - Solche Fragen stehen im Zentrum des NZZ Podiums, dessen Referent als weltweit führend auf seinem Gebiet gilt: der Wirtschaftswissenschafter Ernst Fehr, der 2008 den als «Schweizer Nobelpreis» bezeichneten Marcel-Benoist-Preis erhalten hat. Ernst Fehr, der seit 1994 an der Universität Zürich lehrt, ist über sein Kerngebiet der Ökonomie hinaus innovativ geworden, indem er die konventionellen Wege der Wirtschaftsforschung verlassen und sich mit Psychologen, Soziologen, Neurowissenschaftern und Evolutionsbiologen zusammengetan hat. So konnte er unter anderem den Nachweis führen, dass viele Individuen ein ausgeprägtes Sensorium für Gerechtigkeit haben und zu freiwilliger Zusammenarbeit bereit sind. Selbst wenn es sie etwas kostet, willigen sie ein, egoistisches Verhalten zu bestrafen und kooperatives Verhalten zu belohnen. Fehr hat herausgearbeitet, unter welchen Bedingungen diese «Reziprozitätsmotive» wirtschaftliches Verhalten massgeblich beeinflussen. Auszug aus den Thesen des „NZZ Podium vom 14. Mai 2009: Die Psychologie der Ökonomie – 10 Thesen“ von Prof. Dr. Ernst Fehr, Lehrstuhl für Mikroökonomik & experimentelle Wirtschaftsforschung der Universität Zürich:- Um das wirtschaftliche Verhalten von Menschen zu verstehen, muss man ein realistisches Menschenbild haben. Leider hat die traditionelle Wirtschaftswissenschaft zu lange an einem unrealistischen Menschenbild festgehalten, welches von folgenden Grundannahmen ausgeht: (i) Die Menschen sind unbeschränkt eigennützig. (ii) Sie sind rational, und (iii) sie besitzen unbeschränkte Willenskraft.
- Die traditionelle Wirtschaftswissenschaft hat zudem unterstellt, dass wenn eine der Annahmen (i) bis (iii) verletzt ist, das für das gesamte Funktionieren der Wirtschaft eine vernachlässigbare Rolle spielt. In den letzten 20 Jahren hat allerdings ein «Reformprozess» in den Wirtschaftswissenschaften eingesetzt, welcher diese Annahmen zunehmend in Frage stellt. In dieser Zeit haben auch Wissenschaftler der Universität Zürich maßgeblich an diesem Prozess mitgewirkt.
- Die empirische Forschung hat mittlerweile klargestellt, dass alle drei Annahmen der traditionellen Wirtschaftswissenschaft in wichtigen Fällen systematisch verletzt sind: (i) Vielen Menschen sind Fairness und soziale Werte – auch im Wirtschaftsleben – wichtig. Sie sind also nicht bloß von Eigennutz getrieben. (ii) Viele Menschen weichen systematisch vom Rationalverhalten ab, und (iii) es gibt auch willensschwache Menschen, welche Versuchungen nicht leicht widerstehen können.
- Es lassen sich zahlreiche Beispiele für diese Behauptung finden: das Überschätzen kleiner und das Unterschätzen von grossen Wahrscheinlichkeiten; exzessive Verschuldung bei Kreditkartenkonten; exzessiv häufiges Tauschen auf den Finanzmärkten; fehlende Ersparnisse nach Pensionsantritt; die übermässige Wirksamkeit des Status quo bei individuellen und kollektiven Entscheidungen; übermässiges Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten; die Existenz von Geldillusion und Verlustaversion usw.
Hier finden Sie alle 10 Thesen zur «Psychologie der Ökonomie» von Prof. Ernst Fehr in deutscher und englischer Sprache sowie seine Präsentationscharts vom 14. Mai 2009: http://www.nzzpodium.ch/programm/thema4.shtml
Quelle: Neue Züricher Zeitung, Podium vom 14.05.2009, http://www.nzzpodium.ch/programm/thema4.shtml