Angehörige in ihrer Funktion als rechtliche Betreuer mehr unterstützen
KVJS-Fachtag „Querschnittsarbeit“ tagte in Stuttgart
Stuttgart. Rund 107.000 Frauen und Männer können in Baden-Württemberg wegen Krankheit, Behinderung oder Altersdemenz ihren Alltag nicht mehr bewältigen. Oft sind es Angehörige, die ihre Verwandten als rechtliche Betreuer in allen rechtlichen Angelegenheiten vertreten. Doch immer wieder klemmt es zwischen Angehörigen, Behörden und Gerichten. Knapp 100 Fachkräfte aus Betreuungsvereinen und -behörden diskutierten am 14. Juli 2010 beim fünften KVJS-Fachtag „Querschnittsarbeit“ in Stuttgart, wie sie Angehörige noch mehr unterstützen können. „Mit dem Fachtag bieten wir eine Plattform, um die Probleme aus Sicht aller beteiligten Gruppen darzustellen und zu analysieren“, sagte Carola Dannecker, stellvertretende Leiterin der überörtlichen Betreuungsbehörde beim KVJS. Die Fachleute aus Justiz und Betreuungswesen waren sich einig: Rechtliche, von einem Gericht eingesetzte Betreuer aus dem Familienkreis benötigen mehr Unterstützung. Angehörigen sind die Angebote von Betreuungsvereinen und -behörden oft nicht bekannt. Erforderlich sind deshalb die Vernetzung von Betreuungsgerichten, -vereinen und -behörden, eine flächendeckende Information über die Angebote durch verstärkte Medienpräsenz und intensivere Verteilung von Info-Material an neu bestellte familienangehörige Betreuer und Betreuerinnen. Auch sollten Gerichte verstärkt die Möglichkeiten von Tandem-Betreuungen und psychosozialen Beratungsangeboten prüfen. Mit dem für 2011 geplanten KVJS-Fachtag zur Netzwerkarbeit gibt der KVJS weitere Impulse. Zudem bietet der KVJS Fortbildungen zur Öffentlichkeitsarbeit und sozialen Methodenkompetenz. Rechtliche Betreuer aus dem Familienkreis hätten einen hohen Beratungsbedarf, berichtete beim diesjährigen Fachtag Christopher Tänzel vom Betreuungsverein „Netzwerk Diakonie“ in Emmendingen. „Es ist schwierig für sie, sich in den komplexen Lagen der sozialen Landschaft zurechtzufinden“, sagte der Berufsbetreuer. Die Gesetze seien kompliziert. Zudem sei sich die Familie zuweilen über die richtige Hilfe für den Vater oder die demente Mutter nicht einig. Gefragt seien fachlicher Rat und emotionale Unterstützung. Wie man als Behörde Angehörige gut unterstützen kann, schilderte Wiebke Kuhn von der Betreuungsbehörde in Heidelberg. In der Universitätsstadt können betreuende Eltern, Kinder oder Geschwister drei Mal wöchentlich in eine Sprechstunde kommen, es gibt Telefonberatung, Info-Pakate, Einführungen und Tagungen.Probleme mit Formalien
Dabei findet der Notar und Betreuungsrichter Wolfgang Sorg aus Stuttgart solche Unterstützungen wichtig, erfuhren die Tagungsgäste. Zum Beispiel entstünden durch zunehmend komplizierte Vorschriften bei den Angehörigen Missverständnisse und Versäumnisse. „Noch mehr als andere haben Frauen und Männer mit Migrationshintergrund Probleme mit den Formalien.“ Der Stuttgarter Konrad Stolz griff am Fachtag schließlich Widersprüche im Betreuungsrecht auf: So gibt es laut dem Professor für Familien- und Betreuungsrecht höchst komplizierte Vorschriften. Hinzu kämen Patientenverfügungen, Entscheidungen über den Umzug ins Pflegeheim oder lebensbedrohliche Operationen – „dennoch sollen laut Gesetz vor allem Ehrenamtliche eine rechtliche Betreuung übernehmen.“ Und es gäbe es keine Vorschrift zur Weiterbildung, monierte der Professor. Er forderte für Ehrenamtliche eine Pflicht zur Einführung, Beratung und Weiterbildung. Die Qualität einer ehrenamtlichen rechtlichen Betreuung dürfte nicht vom zufälligen Willen eines Angehörigen oder der zufälligen Hilfestruktur vor Ort abhängen.Fit in der Praxis
Praxiserfahrungen steuerten drei ehrenamtliche Betreuerinnen bei. Mit Hilfe von professioneller Beratung ließen sich Probleme lösen, erfuhr das Fachpublikum etwa von der betreuenden Angehörigen Angelika Weingartner aus Bad Schönborn. Zudem sprachen die Frauen an, dass eine rechtliche Betreuung durch Angehörige zwar wünschenswert, aber nicht immer sinnvoll sei. Lore Schütz von der Selbsthilfegruppe Angehöriger psychisch Kranker aus Heidelberg etwa hat sich entschieden, die rechtliche Betreuung ihres erwachsenen, psychisch kranken Sohnes nicht zu übernehmen. Betreuerin und Mutter zu sein, wäre zu widersprüchlich: Als Mutter solle sie ihren Sohn ins Leben entlassen, als Betreuerin solle sie für ihn entscheiden. Fremde Ehrenamtliche können auch zum Einsatz kommen, wenn die Angehörigen zu weit entfernt wohnen. Einen solchen Fall schilderte die ehrenamtliche Betreuerin Lisa Poetter. Die Konstanzerin ist die Nachbarin eines behinderten Mannes und regelt seine rechtlichen Angelegenheiten. Poetter hatte die Betreuung für den 77-Jährigen nach dessen Unfall übernommen, erfuhren die den Zuhörenden. Die entfernt wohnenden Nichten seien froh, dass Poetter nun über Einkäufe oder Lymphdrainagen entscheide. „In jede größere Entscheidung beziehe ich sie ein.“ Der KVJS veranstaltete die Tagung zusammen mit dem SKM (katholischer Verein für soziale Dienste) und SkF (Sozialdienst katholischer Frauen) in Freiburg, dem Diakonischen Werk Württemberg sowie der Interessengemeinschaft der Betreuungsvereine in Baden-Württemberg.Information
Rechtliche Betreuerinnen und Betreuer unterstützen die Betroffenen im Auftrag des Betreuungsgerichts. Sie sind persönliche Ansprechpartner/innen der Betroffenen, sorgen für ein menschenwürdiges Lebensumfeld, verwalten das Einkommen und Vermögen der Betreuten, treffen notwendige Entscheidungen bei medizinischen Maßnahmen oder organisieren andere Hilfen. Rechtliche Betreuer treffen nur in jenen Bereichen Entscheidungen, die das Gericht festgelegt hat. Rechtliche Betreuungen werden zu 70 Prozent von Ehrenamtlichen geführt. Die meisten sind Angehörige. Die Ehrenamtlichen werden in Baden-Württemberg von hauptamtlichen Mitarbeitern der 77 anerkannten Betreuungsvereine unterstützt. Die überörtliche Betreuungsbehörde beim KVJS ist zuständig für die Anerkennung und Förderung von Betreuungsvereinen und berät die örtlichen Betreuungsbehörden und -vereine in fachlichen Fragen. Die überörtliche Betreuungsbehörde ermittelt und plant zudem den Bedarf an Betreuer/innen im Land und bietet Berufsbetreuern eine breite Palette von Fortbildungen.Quelle: Pressemitteilung des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) vom 15.07.2010
http://www.kvjs.de