Ausbau von gemeinsamen Unterricht kommt nicht voran

Studie: Inklusive Bildung endet oft in Grundschule - Situation an weiterführenden Schulen noch unbefriedigender

Gemeinsamer Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf ist in Deutschland noch oft die Ausnahme. Das gilt insbesondere für weiterführende Schulen: Im Bundesdurchschnitt gehen nur knapp 15 Prozent der Schüler mit Förderbedarf (ohne Schwerpunkt geistige Entwicklung) in der Sekundarstufe I auf eine Regelschule - die große Mehrheit besucht separate Förderschulen. Dies zeigt eine Studie der Bertelsmann Stiftung, die der Bildungsforscher Klaus Klemm durchgeführt hat. Er kommt darin zu dem Schluss, dass der Ausbau des so genannten inklusiven Unterrichts, zu dem sich Deutschland in internationalen Abkommen verpflichtet hat, insbesondere an weiterführenden Schulen nur langsam voran kommt. Der Untersuchung zufolge hatten 480.000 Schüler im Jahr 2009 einen sonderpädagogischen Förderbedarf - das sind sechs Prozent aller Schüler in Deutschland. Hinzu kamen rund 85.000 Kinder in Kindertageseinrichtungen. In den einzelnen Bundesländern fällt der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit einem bescheinigten Förderbedarf allerdings bemerkenswert unterschiedlich aus - die Spannweite reicht von 4,5 Prozent in Rheinland-Pfalz bis hin zu 11,7 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern. Die inklusive Bildung der Kinder endet meist nach der Kita: Während in Kindertageseinrichtungen 60 Prozent der Kinder mit Förderbedarf gemeinsam mit anderen spielen und lernen, sind es in der Grundschule nur noch 34 Prozent. Beim Übergang in die weiterführende Schule müssen dann viele weitere Kinder aus Mangel an inklusiven Bildungsangeboten an eine Förderschule wechseln. Dr. Jörg Dräger, für Bildung zuständiges Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, fordert daher: "Deutlich mehr weiterführende Schulen müssen inklusiv unterrichten - es kann nicht sein, dass Kinder mit Förderbedarf bis zum Ende der Grundschule gemeinsam mit anderen lernen, dann aber auf getrennte Förderschulen gehen müssen." Dass der Ausbau des gemeinsamen Unterrichts auch an Schulen der Sekundarstufe sehr wohl möglich ist, aber regional sehr unterschiedlich voran kommt, zeigt der Bundesländervergleich: In Schleswig-Holstein können immerhin über 40 Prozent der Schüler mit Förderbedarf weiterführende Regelschulen besuchen, in Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Hessen sind es dagegen weniger als zehn Prozent. Im Grundschulbereich erhalten in Bremen bereits 90 Prozent aller Kinder inklusiven Unterricht, in Hamburg nur 13 Prozent. Betrachtet man einzelne Förderschwerpunkte, verstärkt sich dieses Bild noch. So besuchen in Bremen über 60 Prozent der Schüler mit Förderschwerpunkt Lernen inklusiven Unterricht, in Hamburg, Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt liegt der Inklusionsanteil bei unter fünf Prozent. Dabei sind die Lernerfolge im getrennten Unterricht offenbar nur unzureichend: Über 76 Prozent der Förderschüler erreichen keinen Hauptschulabschluss, mehr als zwei Drittel von ihnen stammen aus dem Förderschwerpunkt Lernen. Zwar können die Jugendlichen spezielle Förderschulabschlüsse erwerben. Ob ihnen das bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz weiterhilft, ist aber fraglich. Dräger fordert daher: "Notwendig ist der konsequente Umbau in Richtung inklusive Schule." Vom gemeinsamen Unterricht profitierten nicht nur die schwächeren Schüler: "Wissenschaftliche Untersuchungen zum Förderschwerpunkt Lernen zeigen, dass gute Schüler in der Leistung nicht abfallen, aber ihre sozialen Kompetenzen stärken." Dräger mahnt, den Ausbau inklusiver Bildungsangebote jetzt in allen Bundesländern entschieden voran zu treiben: "Politisches Ziel in Deutschland ist es, die Zahl der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss zu halbieren. Das geht nur, wenn wir das Förderschulsystem reformieren, denn über die Hälfte dieser Jugendlichen kommt aus Förderschulen. Der nötige Umbau zieht für alle Schulen Veränderungen nach sich und kostet Geld, er wird sich für unsere Gesellschaft aber schnell auszahlen."

Quelle: Pressemitteilung der Bertelsmann Stiftung vom 29.11.2010
http://www.bertelsmann-stiftung.de