Berlin: Senatorin Bluhm zum Wohnteilhabegesetz
Der Mensch steht im Mittelpunkt - mehr Rechte für alte, pflegebedürftige und behinderte Menschen
Ältere und Pflegebedürftige sowie Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen oder Wohngemeinschaften leben, bekommen mehr Schutz und mehr Rechte. Das Abgeordnetenhaus wird am Donnerstag abschließend ein entsprechendes Gesetz beraten. Mit dem Wohnteilhabegesetz (WTG), das am 1. Juli 2010 in Kraft treten soll, nutzt das Land Berlin die Chance, in allen Wohnformen, in denen ältere, pflegebedürftige oder behinderte Menschen zusammenleben und gepflegt oder betreut werden, eine neue Kultur des Helfens und des Mitgestaltens zu etablieren. Das Gesetz löst das Bundesheimgesetz ab. Die Zuständigkeit dafür war im Zuge der Föderalismusreform 2006 auf die Länder übergegangen. Das Besondere in Berlin: während sich das bisherige Bundesheimgesetz auf stationäre Einrichtungen beschränkte, umfasst das WTG auch betreute Wohngemeinschaften für pflegebedürftige oder behinderte Menschen. So wird es in den Wohngemeinschaften erstmals Kontrollen durch die Aufsichtsbehörden geben können. Das Wohnteilhabegesetz ist in erster Linie ein Schutzgesetz für die Bewohnerinnen und Bewohner. Es regelt die Kontrollen durch die Aufsichtsbehörden, aber auch qualitative Anforderungen an die Betreuungseinrichtungen und -dienste. Darüber hinaus beinhaltet es Informationspflichten von Anbietern sowie Beteiligungs- und Beschwerderechte der betreuten Menschen. Sozialsenatorin Carola Bluhm: "Wir werden alle älter, jeder kann auch unabhängig vom Alter pflegebedürftig werden. Und viele von uns sind schon heute oder in Zukunft auf gemeinschaftliche Wohnformen sowie Hilfe und Betreuung angewiesen. Wir alle wünschen uns, gut versorgt zu werden und dabei so weit wie irgend möglich dennoch das eigene Leben selbst zu bestimmen und zu gestalten. Ich freue mich sehr, wenn wir mit dem Wohnteilhabegesetz dabei nun ein großes Stück vorankommen. Gerade in Berlin haben sich in den vergangenen Jahren viele verschiedene Wohn-, Pflege- und Betreuungsformen entwickelt. Mit dem neuen Gesetz haben wir eine gute Mischung gefunden, für mehr Transparenz zu sorgen, dort wo nötig mehr Kontrolle und Schutz zu gewährleisten und dabei Raum für Selbstgestaltung und Mitbestimmung zu öffnen. Ich finde es sehr gut, dass Betreuungseinrichtungen hier künftig zu mehr Angeboten verpflichtet sind, etwa, was Aktivitäten oder Einbindung in das Wohnumfeld betrifft. Und dass die Beteiligung der Bewohner verpflichtend ist. Der Mensch im Mittelpunkt - das wollen wir hier konsequent umsetzen." In Berlin leben derzeit rund 27.000 Pflegebedürftige in Einrichtungen, es gibt darüber hinaus etwa 300 betreute Wohngemeinschaften für pflegebedürftige Menschen sowie etwa 400 Wohngemeinschaften für Menschen mit einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.Die Neuregelungen im Einzelnen:
Das "Gesetz über Selbstbestimmung und Teilhabe in betreuten gemeinschaftlichen Wohnformen" (Wohnteilhabegesetz - WTG) soll am 1. Juli 2010 in Kraft treten und löst dann im Land Berlin den ordnungsrechtlichen Teil des Bundesheimgesetzes ab. Mit der Bezeichnung "Wohnteilhabegesetz" wird der Grundgedanke des Gesetzes unterstrichen, dass Menschen in stationären Betreuungseinrichtungen wie auch in Wohngemeinschaften möglichst selbstbestimmt wohnen und am Leben in der Gesellschaft teilnehmen können.Schutz vor Beeinträchtigungen
Als Nachfolgegesetz zum bisherigen Heimgesetz ist das Wohnteilhabegesetz ein Schutzgesetz, das Menschen in betreuten gemeinschaftlichen Wohnformen vor Gefahren und Beeinträchtigungen schützt. Es regelt die ordnungsrechtlichen Kontrollmöglichkeiten der Aufsichtsbehörde (bisher Heimaufsicht) und wie die Behörden durchsetzen können, dass Mängel beseitigt werden. Es sind sowohl angemeldete als auch unangemeldete Prüfungen zulässig. Wie schon bisher im Heimgesetz werden im WTG die Anforderungen an den Betrieb von Betreuungseinrichtungen und -diensten festgeschrieben. Neu ist, dass das Recht auf Selbstbestimmung und Teilhabe ausdrücklich festgeschrieben wird und die Bewohnerinnen und Bewohner dadurch in ihrer Verbrauchersouveränität gestärkt werden. Kosten und Leistungen sollen darüber hinaus transparenter werden. Damit können künftig auch Verstöße gegen Verbraucherrechte ordnungsrechtlich verfolgt und die Rechte auf Selbstbestimmung und Teilhabe in betreuten gemeinschaftlichen Wohnformen besser durchgesetzt werden.Neue Kontrollmöglichkeiten auch in betreuten Wohngemeinschaften
Während sich der Anwendungsbereich des bisherigen Bundesheimgesetzes auf stationäre Einrichtungen ("Heime") beschränkte, umfasst das Berliner WTG auch betreute Wohngemeinschaften für pflegebedürftige oder behinderte Menschen. Damit geht das Berliner WTG weiter als die vorliegenden Gesetze und Entwürfe der meisten anderen Bundesländer und ermöglicht auch Mängelprüfungen in betreuten Wohngemeinschaften. Es wird eine Meldepflicht der Leistungserbringer in Pflegewohngemeinschaften eingeführt. Ferner kann die Aufsichtsbehörde anlassbezogene Prüfungen durchführen, wenn Beschwerden bzw. Hinweise auf eine mangelhafte Pflege oder Betreuung bekannt werden. Die Möglichkeit von ( z. B. jährlichen) Regelprüfungen ist weiter nur bei stationären Einrichtungen vorgesehen.Neue Kultur des Helfens und der Betreuung
Für die meisten Menschen, die sich in eine betreute gemeinschaftliche Wohnform begeben, ist dies für viele Jahre der Lebensmittelpunkt und oft das letzte Zuhause. Das WTG schafft den Rahmen dafür, dass sich die betreuten Menschen dort auch wohlfühlen und ihr Leben möglichst nach ihren individuellen Wünschen und Bedürfnissen gestalten können. Damit wird eine Kultur des Helfens und der Betreuung vorgegeben, die den Ansprüchen der meisten Menschen an eine qualifizierte Pflege und Betreuung entspricht.Achtung der Würde des Menschen und seiner Freiheitsrechte
Dies kommt schon in der Präambel des WTG zum Ausdruck, die ein modernes Leitbild für die Betreuungsarbeit umschreibt. Danach haben die Leistungserbringer bei ihrer Arbeit die Würde der anvertrauten Menschen und deren Freiheitsrechte zu achten, deren Selbständigkeit und Selbstbestimmtheit zu wahren und zu fördern und ihnen eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Dabei soll der Kontakt zu Menschen außerhalb der Wohnform verbessert und gemeinsam mit bürgerschaftlich engagierten Menschen eine bessere Kommunikation erreicht werden. Die kulturelle Vielfalt ist zu wahren und zu respektieren; dazu gehört auch, dass in der Wohnform kulturelle und religiöse Wertvorstellungen gelebt werden können. Ferner soll die geschlechtliche und sexuelle Identität und Selbstbestimmung im Lebensalltag angemessene Berücksichtigung finden. Diese Grundsätze müssen zukünftig in der Konzeptionen von Einrichtungen und Diensten ihren Niederschlag finden und können damit aufsichtsrechtlich überprüft werden.Mitsprache- und Einsichtsrechte
In vollstationären Einrichtungen wird ein Mitspracherecht der Bewohnerinnen und Bewohner bei der Gestaltung und Belegung der persönlichen Wohn- und Schlafräume eingeführt. Ferner wird klargestellt, dass bei der individuellen Pflege-, Hilfe- und Förderplanung ein Recht auf Mitsprache und Einsicht in die persönlichen Unterlagen besteht.Rechtsanspruch auf personenbezogene Pflege und Betreuung
Das WTG schreibt weiter vor, dass die Pflege und Betreuung personenbezogen und mit festen Bezugspersonen zu erfolgen hat. Dem Wunsch nach gleichgeschlechtlicher Betreuung muss nach Möglichkeit entsprochen werden.Teilhabe am Leben in der Gesellschaft
Um einer möglichen Isolation von Menschen in stationären Einrichtungen ("Heimen") entgegen zu wirken, sind Träger zukünftig verpflichtet, ihre Einrichtungen in das Gemeinwesen, den Bezirk oder den Kiez zu öffnen und einen regen Austausch auch mit Menschen außerhalb der Einrichtung zu fördern. Gemeinsam mit Angehörigen, Nachbarn oder bürgerschaftlich engagierten Menschen soll eine bessere Kommunikation erreicht werden. Dies kann durch deren Einbeziehung in die Alltagsgestaltung in der Einrichtung geschehen, indem gemeinsame Aktivitäten im Haus ermöglicht werden, etwa Bastelnachmittage, Vorlesestunden, Musikabende, Spiele, Sommerfeste usw. Es sind aber auch Aktivitäten außerhalb des Hauses denkbar, zu denen die Betroffenen eventuell begleitet werden müssen, zum Beispiel Marktbesuche, Einkaufen, kulturelle Veranstaltungen, Ausflüge, Spaziergänge, Arztbesuche usw.Mehr Verbraucherschutz
Ein zentrales Anliegen des Gesetzes ist die Stärkung des Verbraucherschutzes. Mit dem Gesetz werden daher die Informations- und Mitgestaltungsrechte der Bewohnerschaft gestärkt und mehr Transparenz über das Leistungsangebot, seine Qualität und über die Kosten geschaffen.Informations- und Beratungspflichten durch die Aufsichtsbehörde
Der Aufsichtsbehörde werden spezielle Informations- und Beratungspflichten zu den verschiedenen Formen betreuten gemeinschaftlichen Wohnens auferlegt. Insbesondere soll bei Bedarf verdeutlicht werden, unter welchen Voraussetzungen eine Wohnform als selbstbestimmte, private betreute Pflegewohngemeinschaft anzusehen ist, die im Vergleich zu einer stationären Einrichtung ("Heim") weniger strengen Anforderungen unterliegt. Die Aufsichtsbehörde wird verpflichtet, über die Ergebnisse ihrer Aufsichtsprüfungen anonymisierte, leicht verständliche Prüfberichte zu erstellen und diese insbesondere im Internet zu veröffentlichen. Dadurch können die Verbraucherinnen und Verbraucher sich einen besseren Überblick über die Qualität der angebotenen Betreuungsleistungen verschaffen. Gleichzeitig werden die Vergleichsmöglichkeiten auf dem Pflege- und Betreuungsmarkt für Interessenten verbessert.Offenlegungspflichten durch die Leistungserbringer
Die Leistungserbringer (Einrichtungen und Dienste ) werden verpflichtet, Informationen über Art, Inhalt, Umfang und Preis ihrer Leistungsangebote allgemein zugänglich zu machen, so dass alle wichtigen Informationen bereits vor der Entscheidung für oder gegen eine Wohnform vorliegen; auf weitere externe Informations- und Beratungsstellen muss hingewiesen werden. Ferner bestehen Offenlegungspflichten im Hinblick auf die Prüfberichte der Aufsichtbehörde.Beschwerdemanagement und Vorschlagswesen
Um die Position der betreuten Menschen als Verbraucher zu stärken, müssen die Leistungserbringer künftig ein Beschwerdemanagement und Vorschlagswesen vorhalten. Über die Erledigung der Beschwerden ist der Betroffene zu unterrichten. Alle zwei Jahre müssen die Einrichtungen die Zufriedenheit der Bewohner erfragen.Bewohnerbeiräte
In allen stationären Einrichtungen können Bewohnerbeiräte gewählt werden. Nach dem bisherigen Heimrecht stand dieses Recht Bewohnerinnen und Bewohnern von Kurzzeitpflegeeinrichtungen, stationären Hospizen und teilstationären Pflegeeinrichtungen nicht zu. Diese Beschränkung wurde als verfassungsrechtlich bedenklich aufgegeben. Der Träger der Einrichtung muss aktiv darauf hinwirken, dass die Wahl zum Beirat in seinem Haus zustande kommt.Quelle: Pressemitteilung des Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales vom 20.05.2010
http://www.berlin.de/landespressestelle/archiv/2010/05/20/296213/