Integrationsdebatte??!
Ein ärgerlicher Kommentar aus aktuellem Anlass
Seit Wochen tobt in Politik, Zeitungen und Talkshows eine Debatte darüber, welche Rolle zugewanderte Menschen in unserer Gesellschaft spielen sollen, und wie dies zu begründen ist. Den Anstoß dazu boten Thesen auf Stammtischniveau, die große Aufmerksamkeit bekamen, weil sie von einem angesehenen Leistungsträger vorgetragen wurden. Originell waren die Thesen nicht – schon immer gab es Menschen, die anderen angesichts ihrer vermeintlichen Herkunft oder Zugehörigkeit pauschal ihre Fähigkeiten oder Berechtigung absprachen. Mit dem "Man wird doch noch sagen dürfen…" wurde dabei geschickt der Eindruck erweckt, es sei in unserer Gesellschaft untersagt, in Worte zu fassen und öffentlich zu vertreten, was man wahrnimmt, denkt und will. Das ist selbstverständlich Quatsch. Dagegen wäre es für die öffentliche Debatte sehr nützlich, wenn alle, die gegenwärtig das Wort erheben, deutlich machen würden, was sie wollen. Denn bei dieser Debatte geht es nicht um Integration – also die konstruktive Frage, wie alle hier lebenden Menschen "ein Ganzes werden" können und wie dieses Ganze, unter Berücksichtigung aller beteiligten Menschen, aussehen sollte. Leider geht es vor allem darum, mit welchen - vermeintlich wissenschaftlichen - Argumenten Menschen ausgeschlossen werden können. Darum, an welchen Grenzlinien "Wir" – also diejenigen, die über Wohlstand, Arbeit, Einflussmöglichkeiten, angestammte Rechte verfügen - die "Anderen" zurück zu weisen berechtigt sind. Die Debatte dient der Polarisierung, nicht der Integration. Genau deshalb wird sie so bereitwillig begrüßt, ja willkommen geheißen. Denn sie unterstreicht "unsere" Vorrechte und entlastet von der Zumutung, auf mühsamen demokratischen Wegen Gesellschaft auf der Grundlage von Vielfalt und Verschiedenheit zu organisieren. Alle vorgetragenen Argumente – von "Kopftuchmädchen" über "Gene" bis hin zu jüngst "Kulturkreisen, wie der Türkei…" behaupten, Eigenschaften von Menschen seien die Ursache dafür, dass sie ausgeschlossen werden. Solange die Debatte darum kreist, solche Argumente zu beweisen oder zu widerlegen, lässt sie sich nicht versachlichen, denn geht sie an der eigentlichen Frage vorbei. Die eigentliche Frage ist, ob wir tatsächlich mit den Menschen, die hier sind, zusammen leben wollen. Falls wir diese Frage mit Ja beantworten, falls wir trotz aller dann unvermeidlichen Verunsicherungen und Zumutungen eine Gesellschaft auf der Grundlage von Respekt und Augehöhe organisieren wollen, gibt es viel zu tun. Dann ist es an der Zeit, dass Regierende, Medien und Institutionen verlässliche Strukturen schaffen, in denen Vielfalt gelebt und ausgehandelt werden kann. Falls wir diese Frage mit Nein beantworten, sollten wir die aktuelle Debatte ganz einfach so weiter führen wie bisher.Hintergrund
Jede neunte Eheschließung in Deutschland ist heute eine binationale Verbindung. Jedes dritte Kind, das hier geboren wird, hat Eltern unterschiedlicher Nationalitäten. Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften, setzt sich seit 1972 ein für die Interessen binationaler/bikultureller Paare und Familien sowie von Menschen, die in interkulturellen Zusammenhängen in Deutschland leben. Ziel des Verbandes ist es, das interkulturelle Zusammenleben in Deutschland gleichberechtigt und zukunftsweisend zu gestalten. In 24 Regionalstellen berät der Verband jährlich rund 16 000 Menschen in allen Fragen des binationalen/bikulturellen Alltags. Der Verband ist unter anderem Mitglied im Bundesforum Familie, im Paritätischen Wohlfahrtsverband, im Deutschen Frauenrat, in der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF e.V), im Forum Menschenrechte, im Forum gegen Rassismus des Bundesministeriums des Inneren sowie im Netz gegen Rechts des DGB. Er vertritt Deutschland in der Coordination Europèenne pour le droit des étrangers à vivre en famille.Quelle: Pressemitteilung des Verbandes binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V. vom 11.10.2010
http://www.verband-binationaler.de/