Tafeln sind kein Mittel zur Bewältigung der Armut

08.12.2010 | Soziale Arbeit | Nachrichten

Diakonie Baden-Württemberg GmbH hat Kunden von Tafelläden befragt

Stuttgart - Tafeln helfen Armen bei der Bewältigung ihrer Lebenssituation, sind aber kein Mittel zur Bekämpfung von Armut. Dieses Ergebnis aus ihrer Befragung von Tafelladenkunden hat die Diakonie Baden-Württemberg vorgestellt. In den 134 Tafeln in Baden-Württemberg. werden überschüssige Lebensmittel an Bedürftige günstig verkauft. Rund zwei Drittel der Tafelläden werden unter Mitwirkung von kirchlich-diakonischen Trägern betrieben. „Armut in Baden-Württemberg zeigt in den Tafeln ihr Gesicht: Verschämtheit, Bescheidenheit, Isolation, Angewiesensein. Die Tafelläden können Not lindern, aber nicht beenden“, sagte Oberkirchenrat Johannes Stockmeier, Sprecher der Diakonie Baden-Württemberg GmbH und Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Baden. Mit rund 650 Kundinnen und Kunden in zwölf Tafelläden in Baden-Württemberg und vier in Hessen liege nun eine große Stichprobe vor. Auch wenn die Tafeln nicht als wirksame Strategie gegen Armut gewertet werden könnten, seien sie „ein ermutigendes Zeichen einer solidarischen Gesellschaft“, sagte Stockmeier. Allerdings merkte er an: „Die Wirkungen, die Tafeln im Bereich der Armutsbekämpfung erzielen können, sind im Vergleich zum Auftrag des Sozialleistungssystems marginal. Denn bei Weitem nicht für alle armen Menschen in Baden-Württemberg sind Tafeln erreichbar.“ Mit dem Ergebnis der Tafeluntersuchung lasse sich abschätzen, dass rund ein Drittel (34 Prozent) der baden-württembergischen Siedlungsfläche von den Tafelläden abgedeckt wird, „zwei Drittel also nicht. In ländlichen Gebieten seien sie kaum vertreten. Die Untersuchung zeigt laut Stockmeier, dass rund 108.000 Menschen das Angebot der Tafeln nutzen. Das bedeute, dass nur  7,7 Prozent der Menschen in relativer Armut von den Tafelläden profitieren. Bezogen auf die gesamte Bevölkerung in Baden-Württemberg von 10,8 Millionen sei dies nur ein Prozent. Das Durchschnittsalter der Einkaufenden wird mit 49,6 Jahren angegeben. Der mit 44 Prozent größte Teil der Tafelbesucherinnen und –besucher lebe in Haushalten mit Kindern. Damit liege er deutlich über dem Anteil von Familien mit Kindern in Baden-Württemberg. Ebenfalls deutlich überrepräsentiert seien mit 13 Prozent Alleinerziehende, die nur vier Prozent der baden-württembergischen Gesamtbevölkerung ausmachen. Zwei Drittel der Besucher nutzen seit mehr als einem Jahr ihre Tafel. Armut werde also immer mehr zur „nachhaltigen Lebenslage“. „Das stützt unsere These, dass der Bezug von Hartz-IV-Leistungen nicht aus der Armut herausführt – zumal die Bezugshöhe der materiellen Leistungen deutlich unter der Armutsrisikogrenze liegt“, sagte Stockmeier. Diakonisch werde das Engagement der Tafeln auch dadurch, dass die Tafelläden Möglichkeiten zur Begegnung bieten, sagte Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werks Württemberg und Stellvertretender Sprecher der Diakonie Baden-Württemberg GmbH. Beim Gespräch über die Ladentheke oder bei einer Tasse Kaffee könnten Kundinnen und Kunden auf Angebote der Beratung und Unterstützung hingewiesen und auf Wunsch vermittelt werden. Die Umfrage zeige, dass die meisten Kunden auch deshalb sehr zufrieden sind weil sie als Kunden und nicht als Hilfeempfänger behandelt würden. 80 Prozent seien mit dem Angebot der Läden zufrieden. Ihren täglichen Bedarf an Backwaren und an Obst und Gemüse decken jeweils ca. drei Viertel der Befragten ausschließlich in den Tafelläden. „Aber wir müssen unterscheiden“, sagte Kaufmann, „die Zufriedenheit der Menschen gilt dem hohen Engagement der Ehrenamtlichen und der Tafelorganisation. Aber die Zufriedenheit bezieht sich nicht auf die persönliche Situation und dem Zwang, auf die Tafel zurückgreifen zu müssen.“ Die Tafeln stünden ständig in Gefahr, vor allem durch die Politik als das Instrument zur Armutsbekämpfung funktionalisiert zu werden. „Das aber sind sie nicht, sondern lediglich eine Form der individuellen Armutsbewältigung, die aber nur einen geringen Teil der Bedürftigen erreicht.“ Nach dem Ergebnis der Befragung geben Alleinstehende monatlich durchschnittlich 20 Euro im Tafelladen aus, berichtete Kaufmann. Weil beim Einkauf im kommerziellen Handel mehr als drei Mal so viel bezahlt werden müsse, stellten die Einkäufe im Tafelladen einen Wert von mindestens 66 Euro dar. Zusammen mit den 96 Euro, die in anderen Läden ausgegeben werden, beliefen sich die monatlichen Ausgaben für Lebensmittel auf  insgesamt 162 Euro. Derzeit beträgt der Ernährungsregelsatz 129,50 Euro. Das bedeute: Damit bestehe mindestens eine Deckungslücke von 33 Euro. „Das stützt die Forderung der Diakonie, dass der Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger insgesamt dringend erhöht werden muss“, sagte Oberkirchenrat Kaufmann. Stipo Augustinov und Ellen Schneider waren lange Zeit arbeitslos, bis sie einen 1,50-Euro-Job in der Fildertafel bekamen. Übereinstimmend sind sie dankbar für die sinnvolle Aufgabe und den strukturierten Arbeitstag. „Das Schlimmste war, isoliert zuhause zu sitzen.“ Beide lobten sie die gute Atmosphäre im Laden. Bei Augustinov ist die Beschäftigung ausgelaufen, jetzt kommt er als Ehrenamtlicher – mit 150 Euro monatlich weniger auf dem Konto. Ellen Schneider ist froh, sich als Diabetikerin gesund und günstig in der Tafel ernähren zu können, zumal sie Medikamente auch selber bezahlen muss. Ihre Vermittlung in eine Beratungsstelle der Diakonie habe ihr psychische Stabilität gegeben. Wenn im Februar ihre Beschäftigung ausläuft, will auch sie wiederkommen – „dreimal die Woche“. Ehrenamtlich, wie in Baden-Württemberg weitere rund 9.000 Menschen.

Quelle: Pressemitteilung des Diakonischen Werkes der evangelischen Kirche in Württemberg e.V. vom 06.12.2010
http://www.diakonie-wuerttemberg.de