Arbeitsmarktinstrumente müssen auch zukünftig auf den Bedarf von Menschen mit Vermittlungshemmnissen zugeschnitten sein!

07.06.2011 | Sozialpolitik | Nachrichten

Stellungnahme des Fachverbandes Sucht e.V. zum neu beschlossenen Gesetz zur Leistungssteigerung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente

Das Bundeskabinett hat am 25. Mai 2011 das „Gesetz zur Leistungssteigerung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente“ beschlossen. Dieses soll im November 2011 in Kraft treten. Bis zum Jahr 2015 sollen demnach ca. 7,5 Mrd. € in der aktiven Arbeitsmarktpolitik eingespart werden. Ein Großteil der Einsparsumme soll hierbei durch Kürzungen beim Zuschuss für Existenzgründer zustande kommen. Wesentliche Kürzungen sind allerdings auch bei weiteren Instrumenten zu erwarten, welche bislang dazu eingesetzt wurden, die Eingliederungschancen von Menschen mit Vermittlungshemmnissen am Arbeitsmarkt zu verbessern. Betroffen sind hiervon sowohl Leistungen der aktiven Arbeitsmarktförderung (SGB III) als auch Eingliederungsleistungen in der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II). Zwar ist es politische Zielsetzung, dass die Arbeitsvermittler und Fallmanager vor Ort mehr Flexibilität und Entscheidungsspielräume für eine passgenaue Förderung erhalten und Arbeitslose durch eine wirksame und zielgenaue Förderung schneller wieder in Beschäftigung kommen. Doch ist zu erwarten, dass es in der Realität aufgrund der erheblichen Budgetkürzungen und der daraus resultierenden Reduktion einzelner Leistungen zu einer deutlichen Verschärfung der Probleme  insbesondere für die Gruppe von Personen mit multiplen Vermittlungshemmnissen kommen wird. Maßgebliche Veränderungen werden im Weiteren aufgeführt.

1. Ein-Euro-Jobs

Es sollen die „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“, die sog. Ein-Euro-Jobs, welche für die am Arbeitsmarkt benachteiligten Arbeitslosen - zu denen auch Menschen mit psychischen Problemen oder ehemals suchtkranke Menschen sowie substituierte Personen gehören - von besonderer Bedeutung sind, konsequent nachrangig ausgestaltet werden. Im Jahr 2010 erhielten insgesamt 300.000 Hartz-IV-Empfänger entsprechende Leistungen, die Kosten lagen hierfür bei ca. 1 Mrd. €. Ziel dieses Instrumentes ist es, die Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen und Personen mit Vermittlungshemmnissen an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Gerade für Menschen, die angesichts der Anforderungen des Arbeitsmarktes und ihres persönlichen Profils kaum Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt haben, ist dieses Instrument von besonderer Bedeutung. Impliziter Bestandteil entsprechender Maßnahmen ist, dass eine zielgenaue und qualifizierte professionelle sozialpädagogische Unterstützung durch die jeweiligen Maßnahmeträger sichergestellt wird. Die Höhe der monatlichen Mehraufwandsentschädigung soll jetzt durch Einführung einer Grundpauschale in Höhe von 30 € und einer Zusatzpauschale für nachweislich betreuungsintensive Fälle in Höhe von bis zu 120 € pro Monat gesetzlich drastisch reduziert werden. Damit ist eine qualifizierte sozialpädagogische bzw. therapeutische Betreuung für diese Personengruppe nicht mehr möglich. Angesichts der politischen Vorgaben, welche auch eine Einschränkung der Einsatzmöglichkeiten von Ein-Euro-Jobs beinhalten, ist davon auszugehen, dass gerade in diesem Bereich eine deutliche Reduzierung der Leistungen erfolgen wird. Personen mit Vermittlungshemmnissen – und hierzu gehören arbeitslose Personen mit einer früheren Suchtproblematik bzw. in Substitution befindliche Personen - benötigen aber häufig eine nachhaltige, d.h. längerfristige und verlässliche Unterstützung. Wichtig ist dabei auch zu berücksichtigen, dass entsprechende arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nicht nur dazu beitragen, die Beschäftigungsfähigkeit zu erhöhen, sondern darüber eine Stabilisierung der betroffenen Personen erfolgt und damit beispielsweise einem Rückfall nach einer erfolgreich abgeschlossenen Entwöhnungsbehandlung entgegen gewirkt wird. Entsprechende Tätigkeiten bieten ferner eine Tagesstruktur, fördern ein positives Selbstwertgefühl und haben eine soziale und sinnstiftende Funktion.

2. Freie Eingliederungsleistungen

Zu begrüßen ist zwar, dass die Jobcenter mehr Gestaltungsspielraum als bisher erhalten sollen, um eigene Förderinstrumente für die Eingliederung von Langzeitarbeitslosen vorzuhalten, bei denen nicht mit Aussicht auf Erfolg auf das Regelinstrumentarium des SGB II oder SGB III zurückgegriffen werden kann, zu entwickeln. Da es sich um Ermessensleistungen handelt, ist angesichts der deutlich reduzierten Budgets allerdings sicherlich nicht damit zu rechnen, dass es zu einer Zunahme entsprechender Leistungen oder sogar einer Aufstockung der Mittel kommen wird.

3. Berufliche Weiterbildung

Des Weiteren müssen auch zukünftig für arbeitsmarktfernere Gruppen Leistungen zur beruflichen Weiterbildung zur Verfügung stehen. Hier dürfen die Ermessensspielräume der Jobcenter und Agenturen für Arbeit angesichts der vorgesehenen Budgetentwicklung nicht dazu führen, dass entsprechende Selektionsprozesse einsetzen und vorrangig Personen ohne weitere Vermittlungshemmnisse entsprechend umfangreiche Leistungen der beruflichen Weiterbildung und Qualifizierung erhalten.

4. Öffentlich geförderte Beschäftigung

Auch sollte das Instrument der öffentlich geförderten Beschäftigung, dessen Zielsetzung die Eröffnung einer Rückkehrperspektive der dadurch beschäftigten Langzeitarbeitslosen in den ersten Markt ist, Flexibilität hinsichtlich des Bewilligungszeitraumes aufweisen. Vorgesehen ist derzeit, dass Arbeitsuchende, ohne unmittelbare Perspektive auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu finden, innerhalb eines Fünf-Jahres-Zeitraums im Rahmen zusätzlicher Arbeitsverhältnisse und Arbeitsgelegenheiten für die Dauer von zwei Jahren beschäftigt werden können. Damit sollen durchgehende Förderketten vermieden werden. Dieser generellen Ausrichtung widerspricht allerdings nicht, dass es gleichwohl sinnvoll sein kann, zusätzliche Arbeitsverhältnisse und Arbeitsgelegenheiten im Einzelfall zu verlängern, um eine drohende dauerhafte Arbeitslosigkeit mit entsprechenden Folgeproblemen zu verhindern.

5. Höhere Qualität der Beratung und Betreuung

Des Weiteren ist zwar zu begrüßen, dass die Qualität von Beratung und Betreuung der Agenturen für Arbeit und Jobcenter erhöht werden soll. Eine wichtige Voraussetzung für eine qualitativ hochwertige Beratung und Betreuung ist allerdings, dass ein entsprechender Personalschlüssel vorgehalten wird und genügend Zeit im Beratungsprozess zur Verfügung steht, um auf die individuellen Problemlagen einzugehen und dafür entsprechende Lösungen zu suchen. Eine aktuelle Erhebung bei den Grundsicherungsstellen (Henke, Henkel, Nägele, Pagels, Wagner [2009]. Erhebung von Ansätzen guter Praxis zur Integration Suchtkranker ins Erwerbsleben – bundesweite Erhebung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit. In: Bundesministerium für Gesundheit [Hrsg.] Forschungsbuch ‚Integration Suchtkranker ins Erwerbsleben im Rahmen des SGB II’) ergab, dass von 323 rückmeldenden Stellen nur 8 % eine Betreuungsrelation im Bereich Betreuung/Vermittlung von 1:75 für die unter 25-jährigen, und 11 % die Zielrelation von 1:150 für die über 25-jährigen erreicht hatten. Zu fordern ist, dass entsprechende personelle Ressourcen vorhanden sind, um gerade Menschen mit Vermittlungshemmnissen adäquat beraten und betreuen zu können. Darüber hinaus hängen die Vermittlungsquoten der Jobcenter und Agenturen für Arbeit natürlich auch mit der Arbeitsmarktnähe bzw. –ferne der Kunden und deren Problembelastungen zusammen. Von daher sind bei entsprechenden aktuellen und zukünftigen Qualitätsvergleichen von Jobcentern bzw. Agenturen für Arbeit im Rahmen eines Benchmarkings entsprechende Risikokonstellationen der jeweiligen Klientel zu berücksichtigen und differenzierte Beurteilungsmaßstäbe zu verwenden.

Fazit:

Angesichts der deutlichen Budgetkürzungen bei der Bundesagentur für Arbeit von 1,49 Mrd. € im Jahr 2012, 1,95 Mrd. € im Jahr 2013, 1,98 Mrd. € im Jahr 2014 und 2,01 Mrd. € im Jahr 2015 ist mit einer deutlichen Verschlechterung gerade hinsichtlich der Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben und der Gesellschaft von Langzeitarbeitslosen und Menschen mit besonderen Eingliederungsproblemen und Unterstützungsbedarf zu rechnen. Vor diesem Hintergrund sollten der im Gesetzgebungsverfahren vorgesehene Instrumentenkasten und die erheblichen Budgetkürzungen kritisch überprüft und entsprechend dem vorhandenen Bedarf abgeändert werden.

Quelle: Pressemitteilung des Fachverbandes Sucht e.V. vom 01.06.2011
http://www.sucht.de