Freiwillige Selbstverpflichtungen der Arbeitgeber bei der Familienpflegezeit reichen bei weitem nicht aus

Caritas und Paritätischer kritisieren fehlende gesetzliche Verankerung eines Rechtsanspruchs auf Familienpflegezeit

Wie heute bekannt geworden ist, hat sich die Koalition auf die Einführung einer Familienpflegezeit verständigt. Diese soll aber nicht gesetzlich verankert, sondern in den Betrieben auf freiwilliger Basis vereinbart werden. „Um dem Unterstützungsbedarf pflegender Angehöriger umfassender als bisher gerecht zu werden, reichen freiwillige Vereinbarungen nicht. Das zeigen alle bisherigen Erfahrungen,“ betont Caritas-Präsident Peter Neher. „Menschen, die sich um einen Angehörigen kümmern, brauchen Rechtssicherheit.“ Die Caritas hatte den Vorstoß von Familienministerin Schröder zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege im Grundsatz begrüßt, den die Ministerin durch einen Rechtsanspruch sicherstellen wollte. Die jetzt getroffene Entscheidung wird der demographischen Entwicklung und dem steigenden Bedarf nach Pflege nicht gerecht. Von 2,25 Millionen Menschen, die Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen, werden aktuell 1,5 Millionen Personen im häuslichen Umfeld gepflegt. Familienangehörige zeigen eine hohe Bereitschaft, sich hier zu engagieren, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Pflegende Angehörige dürften dabei nicht schlechter gestellt werden als Erziehende in der Elternzeit. „In vielen deutschen Unternehmen gibt es noch kein ausreichendes Bewusstsein für diese Problematik“, so Neher. Angesichts der demografischen Entwicklung und der stetigen Zunahme pflegebedürftiger Menschen gewinne das Thema einer beruflichen Auszeit für die Pflege zunehmend an Bedeutung. „So, wie wir Zeiten für die Kindererziehung und Betreuung gesetzlich geregelt haben, brauchen wir gesetzliche Regelungen für die Pflege“, fordert Neher. Im Moment könnten Pflegezeiten nur von Arbeitnehmern übernommen werden, die sich dies finanziell leisten könnten. Als „Luftnummer" kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband die Pläne der Koalition, auf die gesetzliche Einführung einer Familienpflegezeit zu verzichten und stattdessen auf freiwillige Selbstverpflichtungen der Arbeitgeber zu setzen. Es sei eine Brüskierung der Pflegenden, dass man mehr Anerkennung für pflegende Angehörige predige und ihnen dann einen verbindlichen Rechtsanspruch verweigere. Der Paritätische bekräftigt seine Forderung nach der Einführung eines Rechtsanspruches auf eine Familienpflegezeit mit Lohnausgleich analog zum Elterngeld. „Diese Koalitionsentscheidung ist kein Teilerfolg, sondern ein pflegepolitischer Offenbarungseid. Der Pflegegipfel und alle Lippenbekenntnisse von Anfang dieser Woche werden ad absurdum führt. Sollte das das letzte Wort bleiben, hätte sich die Regierung für das Nichthandeln entschieden. Für pflegende Angehörige wäre nichts gewonnen. Sie blieben weiterhin auf das Wohlwollen der Arbeitgeber angewiesen“, kritisiert Dr. med. Eberhard Jüttner, Vorsitzender des Paritätischen. Der Verband bekräftigt seine Forderung nach der Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine zweijährige Familienpflegezeit und fordert eine finanzielle Absicherung pflegender Angehöriger analog zum Elterngeld. „Was pflegende Angehörige brauchen ist dreierlei: einen klaren einklagbaren Rechtsanspruch, Zeit und materielle Absicherung“, fordert der Pflegeexperte Jüttner. Es könne nicht sein, dass pflegende Angehörige deutlich schlechter gestellt werden als junge Eltern. „Wer pflegt, sollte – wie im Falle der Elternzeit – sicher sein, dass er weder sein Arbeitsverhältnis aufgeben, noch sich verschulden muss, um seinen Angehörigen beizustehen“, so der Verbandsvorsitzende.

Hintergrund

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder hat heute in einer Pressemitteilung bekannt gegeben, dass sie am 17. Februar den Bundesministerien ein neues Gesetz zur Einführung einer Familienpflegezeit zur Abstimmung vorlegen wird. Das Fördergesetz soll am 1. Januar 2012 in Kraft treten. Die Familienpflegezeit sieht demnach vor, dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit über einen Zeitraum von maximal zwei Jahren auf bis zu 50 Prozent reduzieren können, wenn sie einen Angehörigen pflegen - und das bei einem Gehalt von in diesem Fall 75 Prozent des letzten Bruttoeinkommens. Zum Ausgleich müssen sie später wieder voll arbeiten, bekommen in diesem Fall aber weiterhin nur 75 Prozent des Gehalts - so lange, bis das Zeitkonto wieder ausgeglichen ist. Um die Risiken einer Berufs- und Erwerbsunfähigkeit gerade für  kleinere und mittlere Unternehmen zu minimieren, muss jeder Beschäftigte, der die Familienpflegezeit in Anspruch nimmt, zu diesem Zeitpunkt eine Versicherung abschließen. Die Prämien sind lediglich gering; die Versicherung endet mit dem letzten Tag der Lohnrückzahlungsphase der Familienpflegezeit. Das Modell der Familienpflegezeit habe auch das Problem der Altersarmut im Blick. Die Untergrenze des Beschäftigungsumfangs in der Familienpflegezeit sei deshalb bewusst auf 50 Prozent gesetzt worden. Beitragszahlungen in der Familienpflegezeit und die Leistungen der Pflegeversicherung zur gesetzlichen Rente bewirken damit zusammen einen Erhalt der Rentenansprüche. Diese Ansprüche steigen mit der Höhe der Pflegestufe. Damit erhalten pflegende Angehörigen trotz Ausübung der Pflege die Rentenansprüche etwa auf dem Niveau der Vollzeitbeschäftigung. Personen mit geringem Einkommen werden sogar besser dargestellt. In der betrieblichen Praxis soll sich die Familienpflegezeit am Modell der Altersteilzeit orientieren. Das bedeutet, Arbeitgeber und Arbeitnehmer schließen eine Vereinbarung zur Familienpflegezeit ab. Der Arbeitgeber beantragt dann eine Refinanzierung beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Nach der Pflegephase behält der Arbeitgeber einen Teil vom Lohn ein und zahlt diesen an das Bundesamt zurück.

Quelle: Pressemitteilung des Deutschen Caritasverbandes e.V. vom 16.02.2011
http://www.caritas.de
Pressemeldung vom 16.02.2011, Gwendolyn Stilling, Referentin für Presse- und Gremienarbeit, Der Paritätische Gesamtverband
http://www.der-paritaetische.de
Pressemitteilung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 16.02.2011
http://www.bmfsfj.de