Große regionale Unterschiede in der Kindertagesbetreuung in Deutschland
DJI-Betreuungsatlas 2010 zeigt starke regionale Disparitäten im Angebot und Niveau der Kindertagesbetreuung
In Deutschland bestehen erhebliche regionale Disparitäten im Angebot und Niveau der Kindertagesbetreuung. Besonders anschaulich wird dies durch die Karten, die das Deutsche Jugendinstitut für den DJI-Betreuungsatlas 2010 erstellt hat. Sie zeigen auf Basis der amtlichen Statistik die aktuelle Inanspruchnahme von Kindertageseinrichtungen, die unterschiedlichen Ausbaudynamiken sowie relevante Qualitätsmerkmale in einer hoch auflösenden regionalen Perspektive. Ab 2013 besitzt jedes Kind mit Vollendung des ersten Lebensjahres einen Rechtsanspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung oder in der Tagespflege. So steht es im Kinderförderungsgesetz (KiFöG) von 2008. Bisher werden rund 23 Prozent der Kinder in dieser Altersgruppe in Kindertageseinrichtungen oder in der Kindertagespflege betreut. Das kann man dem Zweiten Zwischenbericht zur Evaluation des KiföG entnehmen, der am 18. Mai 2011 vom Bundeskabinett verabschiedet wurde. 2013 sollen es bundesweit rund 35 Prozent sein. Allerdings wünschen sich aktuell bereits 39 Prozent der Eltern von Kindern im Alter bis zu drei Jahren ein Betreuungsangebot. Für DJI-Direktor Prof. Dr. Thomas Rauschenbach greift die Diskussion um bundespolitisch durchschnittliche Prozentpunkte beim Ausbauziel jedoch zu kurz. Die politische Debatte um den Gesamtausbau müsse dringend ergänzt werden um ein differenziertes Wissen über den Kita-Ausbau vor Ort. Insofern sei der DJI-Betreuungsatlas 2010 ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Denn in den Kommunen sei das strategische Vorgehen, um mehr Bedarfsgerechtigkeit zu erreichen, noch sehr unterentwickelt. Laut den DJI-Projektverantwortlichen Birgit Riedel und Katrin Hüsken erfolgte der Ausbau der Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige – trotz unterschiedlicher Ausgangslagen – in den Jugendamtsbezirken Ost- und Westdeutschlands in ähnlicher Stärke: „Niedrige Betreuungsquoten von unter 10 Prozent, die 2007 noch in mehr als der Hälfte der Jugendamtsbezirke Westdeutschlands zu verzeichnen waren, kommen 2010 kaum noch vor“.Westdeutsche Universitätsstädte und ostdeutsche Regionen, die auf steigende Kinderzahlen reagieren, liegen beim Ausbau vorn
Für den Ausbau verantwortliche Jugendämter, die heute besonders gut dastehen, haben schon frühzeitig mit dem Ausbau begonnen und auch zwischen 2007 und 2010 kräftig ausgebaut: Sie finden sich zu gleichen Teilen in Ost- und Westdeutschland. In Westdeutschland sind es oft Universitätsstädte wie Heidelberg, Göttingen, Münster oder Gießen, in Ostdeutschland Regionen, die auf die erstmals wieder steigenden Kinderzahlen reagieren. Überdurchschnittlich viele neue Plätze wurden auch von Jugendämtern geschaffen, die den Ausbau an Betreuungsplätzen deutlich später in Angriff genommen haben und dadurch 2007, bezogen auf die Inanspruchnahme, noch im unteren Viertel lagen. Durch verstärkte Ausbauanstrengungen haben sie bis 2010 den Anschluss an das Mittelfeld erreicht. Diese Jugendämter finden sich sehr häufig in Landkreisen und kreisangehörigen Städten Niedersachsens und Nordrhein-Westfalens.Tagespflegeplätze mit niedriger Zuwachsquote von 9 Prozent
Im Jahr 2010 gab es in Deutschland mehr als 40.000 Tagespflegepersonen. Das KiFöG sieht vor, dass ein Drittel der neu zu schaffenden Plätze in Form von Tagespflegestellen entstehen soll. Im Zeitraum 2007 bis 2010 wurde jedoch bundesweit nur knapp ein Fünftel der neuen Betreuungsplätze in der Kindertagespflege geschaffen – und dies mit großen regionalen Unterschieden. Am stärksten setzen Jugendamtsbezirke in Norddeutschland, in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen beim Ausbau auf die Kindertagespflege. Für DJI-Direktor Thomas Rauschenbach ist die Tagespflege auch aufgrund der niedrigen Zuwachsquote von derzeit 9 Prozent eine noch zu instabile Größe, um ein verlässlicher Garant und starker Grundpfeiler des Betreuungssystems sein zu können. Nutzung des weiblichen Erwerbspotenzials ist ein wichtiger Motor für die Schaffung eines gut ausgebauten Kinderbetreuungssystems Als wichtigste positive Einflussgröße für die Betreuungsquote erweisen sich in Westdeutschland die Bedingungen auf dem regionalen Arbeitsmarkt. Sowohl zwischen dem Anteil weiblicher Erwerbstätiger und der Betreuungsquote als auch zwischen der Teilzeitquote bei Frauen und der Betreuungsquote besteht ein starker positiver Zusammenhang. Mit einem hohen Anteil erwerbstätiger Mütter steigt auch der Bedarf an Betreuungsplätzen. Außerdem ist in wirtschaftlich prosperierenden Regionen, in denen viele Hochqualifizierte leben, die Betreuungsquote signifikant höher als in anderen Gegenden. Auch das Stadt-Land-Gefälle spielt eine Rolle: In Kernstädten und dem verdichteten Umland ist die Betreuungsquote deutlich höher als in ländlichen Räumen.In Kreisen mit hoher Geburtenrate werden prozentual weniger Kinder außerhäuslich betreut
Ein interessantes Ergebnis liefert der Blick auf die Fertilitätsrate: In Kreisen, in denen viele Kinder geboren werden, werden prozentual weniger Kinder außerhäuslich betreut als in Regionen mit niedriger Fertilität. Das kann entweder bedeuten, dass die geburtenstarken Kreise beim Ausbau der Betreuungsplätze nicht „hinterher kommen“ oder, dass umgekehrt geburtenschwache Kreise davon profitieren, dass in den Kindergärten Kapazitäten frei werden, die sich in Betreuungsplätze für jüngere Kinder umwandeln lassen. Darüber hinaus zeigen Analysen auf Ebene der einzelnen Familien, dass die Wahrscheinlichkeit, eine Betreuungseinrichtung oder Tagespflege zu besuchen, sinkt, je mehr Geschwister ein Kind hat.DJI-Betreuungsatlas zeigt Segregationstendenzen auf
Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder, die zu Hause nicht Deutsch sprechen, in der Kita überproportional häufig auf Kinder treffen, deren Muttersprache ebenfalls nicht Deutsch ist, ist insgesamt groß, variiert regional aber erheblich. So gibt es einerseits Bezirke mit einem sehr hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund und nicht-deutscher Familiensprache, in deren Kitas aber dennoch vergleichsweise geringe Segregationstendenzen auszumachen sind. Andererseits existieren Jugendamtsbezirke mit einem geringen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, deren Einrichtungen aber eine vergleichsweise hohe Segregation aufweisen.Viele Fachkräfte bald im Rentenalter
In den kommenden Jahren werden viele Fachkräfte altersbedingt ihr Arbeitsfeld verlassen. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sind heute mehr als 40 Prozent der Fachkräfte über 50 Jahre alt. Aber auch in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen gibt es einzelne Bezirke, in denen mehr als 30 Prozent der Fachkräfte 50 Jahre und älter sind. DJI-Direktor Rauschenbach gibt zu bedenken: „Die Frage der Personalquantität wird in ihrer Tragweite noch immer nicht genügend wahrgenommen. Eine Ausbildung zur pädagogischen Fachkraft dauert nun einmal mindestens zwei bis drei Jahre. Die Länder müssen sich mit vereinten Kräften ganz schnell darum kümmern, mehr Personal zu gewinnen und auch auszubilden, um ein dramatisches Szenario 2013 zu vermeiden.“ Weitere Informationen unter:Quelle: Pressemitteilung des Deutschen Jugendinstituts e.V. vom 08.06.2011