Jahresbilanz 2010 der bayerischen Bahnhofsmissionen

12.04.2011 | Soziale Arbeit | Nachrichten

Immer mehr junge Menschen ohne Obdach Die Bahnhofsmissionen in Bayern fangen immer mehr in Not geratene Menschen auf. Fast 250 000 Hilfesuchende nahmen im vergangenen Jahr die schnelle und unbürokratische Unterstützung in Anspruch, teilte jetzt die Arbeitsgemeinschaft der kirchlichen Bahnhofsmissionen mit. Das ist ein Zuwachs von rund neun Prozent gegenüber 2009. Weit mehr als eine halbe Million Mal leisteten die überwiegend ehrenamtlichen Mitarbeitenden Hilfe – kümmerten sich um Reisende, organisierten Notunterkünfte und hatten ein offenes Ohr für Ratsuchende. Angestiegen ist nach Auskunft der Arbeitsgemeinschaft die Zahl der jungen Menschen, die im vergangenen Jahr die 13 größtenteils ökumenisch getragenen Einrichtungen zwischen Aschaffenburg und Passau aufsuchten: Mehr als 40 000 waren unter 27. „Das entspricht einem Plus von fast 50 Prozent“, so Hedwig Gappa-Langer, Referentin für die katholischen Bahnhofsmissionen beim IN VIA Landesverband Bayern, „2009 hatten wir gut 27 000 Hilfesuchende in dieser Altersgruppe“. In den Bahnhofsmissionen Augsburg, München, Würzburg, Nürnberg und Schweinfurt war diese Entwicklung besonders deutlich. Die Gründe für diesen Anstieg freilich sind von Einrichtung zu Einrichtung verschieden. Allein die Münchner Bahnhofsmission hatte in 2010 fast 12 000 Kontakte mit jungen Frauen und Männern unter 27, doppelt soviel wie noch im Jahr zuvor. Viele dieser Menschen nutzten den Aufenthaltsraum der Bahnhofsmission und kamen zur Tee- und Brotausgabe oder benötigten eine Reisehilfe. 435 Männer und Frauen zwischen 19 und 21 Jahren nutzten das Beratungsangebot der Münchner Bahnhofsmission. Darunter waren einheimische junge Frauen und Männer, die gerade mal volljährig schon ohne Obdach auf der Straße standen. Die Leiterinnen Gabriele Ochse und Andrea Sontheim erläutern, dass  immer häufiger Jugendliche mit ihrem 18. Geburtstag keine weiterführenden Hilfen seitens der zuständigen Kostenträger erhalten würden oder aufgrund familiärer Konflikte das Elternhaus verlassen. Keinen Schulabschluss, kein Geld, kein Platz zum Schlafen, keine Hoffnung. „Sie sind noch so jung und schon perspektivlos, das ist ein schlechter Start ins Erwachsen werden“, sagt Gabriele Ochse. Die Mitarbeitenden helfen beim Kontakt mit den Behörden, vermitteln eine Unterkunft oder raten, falls möglich, zur Rückkehr ins Elternhaus. Auch aus den neuen EU-Staaten Osteuropas kommen viele häufig auch junge Hilfesuchende, deren Traum von einem besseren Leben in Deutschland zerplatzt ist. „Vor allem junge Männer aus Rumänien und Bulgarien kommen nach München, weil ihnen Arbeit versprochen wurde oder sie selbst Arbeit suchen. Diejenigen von ihnen, die keine Deutschkenntnisse haben und ein niedriges Bildungsniveau, finden häufig nur als Tagelöhner Arbeit oder werden von Arbeitgebern ohne Arbeitsvertrag ausgebeutet.  Auch sie stehen vor dem Nichts“, weiß Andrea Sontheim. 2010 half die Münchner Bahnhofsmission vielen Betroffenen unter anderem bei der Rückkehr in ihre Heimat. Ähnlich ist die Situation in Würzburg: Hier hat die Zahl der Hilfesuchenden mit Migrationshintergrund um fast 30 Prozent zugelegt – und oft sind es Osteuropäer, die in der Bahnhofsmission um Unterstützung bitten. „Mit Blick auf die am 1. Mai 2011 anstehenden Gesetzesänderungen rechnen wir mit einer weiteren deutlichen Zunahme“, sagt Bahnhofsmissions-Leiter Michael Lindner-Jung, „gemeinsam mit anderen sozialen Diensten arbeiten wir daher mit Hochdruck an Arbeitsperspektiven, um im Rahmen der eng begrenzten Möglichkeiten Hilfe gewähren zu können“.   Die Zahl der unter 27-Jährigen (2010: 1 470) hat sich in der Augsburger Mission genauso verdoppelt wie die der Hilfesuchenden insgesamt. Vermehrt junge Menschen in Wohnungsnot suchten dort Rat und Hilfe. Fast 10 000 Gäste und über 700 Gespräche – eine Herausforderung für die weitgehend ehrenamtlichen Mitarbeitenden: „Wir kämpfen, um möglichst vielen weiter zu helfen“, so Sozialbetreuerin Dagmar Kunkel-Epple vom Diakonischen Werk.  Viel zu tun hat auch die Nürnberger Bahnhofsmission, wo die Zahl der betreuten jungen Menschen auf über 5 600 kletterte, rund ein Drittel davon wiederum war noch keine 18. Eine Erklärung: „Der Bahnhofsbereich wurde einfach häufiger als Treffpunkt genutzt“, so Einrichtungsleiterin Anita Dorsch vom katholischen Träger IN VIA, „da kommen dann viele mit ihren Problemen auch zu uns.“ Manche brauchen eine Unterkunft und intensive Beratung, andere nur ein Pflaster oder eine Tasse Tee. In Schweinfurt dagegen sind hauptsächlich Schüler, alleinreisende Kinder oder der Nachwuchs bahnreisender Familien dafür verantwortlich, dass deutlich mehr Kinder und Jugendliche registriert wurden als früher. Armut, Krankheit, Obdachlosigkeit, Hilflosigkeit und Verzweiflung – die Helferinnen und Helfer werden tagtäglich mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert. Laut Statistik setzt sich ein besorgniserregender Trend fort: Immer mehr Menschen leiden unter psychischen Auffälligkeiten. „Viele stecken in sozialen und finanziellen Schwierigkeiten“, hat Michael Frank, Referent für die evangelischen Bahnhofsmissionen der Diakonie Bayern, beobachtet: „Die meisten haben mehrere Probleme auf einmal.“ Die Bahnhofsmissionen seien oft der letzte Notanker im Hilfesystem. Nach wie vor stark gefragt sind bayernweit die Hilfen im Reiseverkehr.  Rund 47 500  Mal waren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeite zur Stelle: um betagten Fahrgästen oder Müttern mit Kindern beim Umsteigen zu helfen oder alleinreisende Kindern zu betreuen; um Reisenden, die sich unterwegs verletzten oder in Not gerieten, „Erste Hilfe“ zu leisten oder um einen Platz zum Ausruhen und Aufwärmen anzubieten. Vor allem Frauen über 65 schätzen den Dienst am Gleis: So kamen etwa 10 000 ältere Damen dank der oft zitierten „Engel in Blau“ zum Zug.

Quelle: Pressemitteilung des Diakonischen Werkes Bayern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern - Landesverband der Inneren Mission e.V. - vom 04.04.2011
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