Kommentar zu Markus Rückert: „Die Kultur des Dritten Weges“
In der SZ vom 30. 9. 2011 findet sich eine Kommentierung des Dritten Weges von dem evangelischen Theologen Markus Rückert, die nicht nur Unrichtigkeiten und Einseitigkeiten in der Argumentation aufweist, sondern in der Gesamttendenz der Aussage so nicht unkommentiert bleiben sollte.
Mit der Einführung von Wettbewerb im sozialen Dienstleistungssektor ist tatsächlich die alte „Leitwährung“, der BAT, aufgelöst worden und durch eine Vielzahl von Tarifverträgen und arbeitsrechtlichen Vereinbarungen abgelöst worden. Dies ist nicht das automatische Ergebnis des Wettbewerbs, sondern verdankt sich dem Tatbestand, dass die sog. Sozialunternehmen im gemeinnützigen Sektor, insbesondere in der Diakonie, an passgenauen tariflichen Systemen Interesse gewinnen, die helfen, die betriebswirtschaftliche Situation des Unternehmens angesichts immer stärkeren Kostendrucks zu verbessern. Es ist kein Geheimnis, dass seitdem insbesondere die Personalkosten einer dauerhaften Überprüfung unterzogen werden und der soziale Dienstleistungssektor in verschiedenen Bereichen (insbesondere für Frauen in den sog. Leichtlohngruppen) als Niedriglohnsektor bezeichnet werden kann. Teilzeitarbeit und befristete Tätigkeiten nehmen im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen überproportional zu und gerade die diakonischen Einrichtungen haben sich dadurch ausgezeichnet, den Dritten Weg als Wettbewerbsvorteil in der Konkurrenz zu anderen Sozialunternehmen einzusetzen. Der Präses der evangelischen Kirche in Deutschland hat sich über die Anzahl von Ausgründungen mit schlechteren tariflichen Zahlungen bereits beklagt und viele Mitarbeitervertretungen in der Diakonie wollen den Weg der sog. Dienstgemeinschaft nicht mehr länger mitgehen. Dass für den Theologen Rückert, der selbst an der Spitze eines großen Sozialuntenehmens in der Diakonie steht, all dies kein Nachteil sondern ein Vorteil ist, ist verständlich. Aber die in dem Kommentar deutlich werdende Argumentation, das Konzept einer Dienstgemeinschaft, in dem Arbeitnehmer das Streikrecht als Kampfmittel versagt wird, als Vorbild von Interessenauseinandersetzungen und Sinnbild einer neuen Aushandlungskultur darzustellen, zeugt von der arbeitnehmerfeindlichen Ignoranz, die inzwischen immer stärker mit pseudo-theologischen und auf den Dienst am Nächsten verweisenden und dabei nichts als das eigene unternehmerische Interesse kaschierenden Argumentationen unterlegt wird. Warum wehrt sich die Diakonie gegen einen Tarifvertrag soziale Dienste, der inzwischen von immer mehr Verbänden (auch Unternehmensvertretern) in der freien Wohlfahrtspflege gefordert wird? Warum findet sich bei Herrn Rückert kein Wort zu dem ruinösen Personalkostenwettbewerb im sozialen Dienstleistungssektor, der unternehmerisch in Konkurrenz zu privaten Anbietern gar nicht gewonnen werden kann? Weshalb wird mit keinem Wort auf die gängige Praxis von Ausgründungen, Nutzung von Leiharbeit (nicht nur zur Abdeckung von „Spitzen“ der Auftragslage) und Haustarifen mit Sonderregelungen Bezug genommen? Der fast schon zynisch zu nennende Hinweis darauf, dass „viele Dienstleistungsbranchen ….keine Flächentarife mehr“ haben, müsste doch gerade zu dazu herausfordern, diese herbeiführen zu wollen. Nichts dergleichen in der unternehmerisch-theologischen Einlassung. Der dritte Weg, der Arbeitnehmern mühsam erkämpfte „zivilisatorische“ Rechte vorenthält, wird als ein „Vorbild zivilisatorischer Überlegenheit“ dargestellt, nur weil die Kirche das ihr einmal zugestandene Recht auf Setzung der eigenen Arbeitsbedingungen nun dazu nutzt, dieses für ihre unternehmerischen Interessen in Konkurrenz stehender Sozialunternehmen auszunutzen. Wer der Öffentlichkeit weis machen will, dass in der Diakonie „Dienstnehmer und Dienstgeber.. auf alle Kampfszenarien“ verzichten, der will wohl vorsätzlich die Information vorenthalten, dass inzwischen die Gerichte sich mit der Praxis solcher Kampfmaßnahmen in der Diakonie beschäftigen und jüngst das Hammer Landesarbeitsgericht der Gewerkschaft verdi das Streikrecht in diakonischen Einrichtungen zugestanden hat (und im Übrigen nachlesenswerte Kommentierungen zum „zivilisatorischen“ Charakter des Dritten Wegs ins Urteil eingeschrieben hat). Es fragt sich, wie lange sich ein Verband wie das Diakonische Werk der EKD in der Gestaltung seiner Arbeitsbedingungen und ihrer öffentlichen Begründung noch hinter den Aussagen von Unternehmensvertretern verschanzt, die zu den tatsächlichen Problemen, die den sozialen Dienstleistungssektor gegenwärtig beherrschen, kein Wort finden. (Der Verfasser ist Kirchenbeamter und arbeitet an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe).