Soziale Pflegeversicherung heute und morgen

Deutsches Institut für Altersvorsorge analysiert Reformvorschläge und stellt Karenzzeit-Modell als neue Variante vor

In den nächsten Jahrzehnten wird sich die Zahl der Pflegefälle in Deutschland verdoppeln, die Zahl der erwerbstätigen Beitragszahler um fast ein Viertel sinken. Die jetzige umlagefinanzierte Soziale Pflegeversicherung (SPV) wird die entstehende Schieflage nicht auffangen können. Eine aktuelle DIA-Untersuchung analysiert den Finanzbedarf der vorliegenden Reformvorschläge und bringt ein nachhaltiges Alternativmodell in die Diskussion ein. „Die Zahl der Pflegefälle wird von heute 2,3 Millionen auf 4,4 Millionen im Jahr 2050 steigen“, so die Berechnungen von Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen und  Tobias Hackmann vom Forschungszentrum Generationenverträge der Universität Freiburg. Der demografisch bedingte Rückgang der Beitragszahler, eine überdurchschnittliche Kostensteigerung im personalintensiven Pflegesektor und der Rückgang des familiären Pflegepersonals wird die Finanzierungslast verdoppeln und zu erheblichen Problemen in der SPV führen.

Pflegekosten: Gesamtvolumen von 50 Milliarden Euro

Schon heute müssen Pflegebedürftige und ihre Angehörigen je nach Pflegestufe im bestehenden „Teilkaskomodell“ über die Hälfte der Pflegekosten selbst finanzieren. Für den „durchschnittlichen Pflegefall“ bedeutet dies insgesamt:
Pflegedauer Gesamtpflegekosten SPV Eigenanteil
Männer 48,4 Monate91.192 € 41.052 €50.140 €
Frauen60,3 Monate116.368 €52.717 €63.650 €
Für den formellen Pflegesektor ergibt sich daraus ein Gesamtvolumen von 32,1 Mrd. Euro. Hinzu zu rechnen sind informelle Leistungen durch  Familienangehörige oder Freunde außerhalb der SPV in Höhe von 18,5 Milliarden Euro (geschätzt), was zusammen 2,1 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung des Jahres 2009 entspricht.

Reformvorschläge auf dem Prüfstand

Bisher wurden vor allem vier Reformvorschläge als Auswege aus der Krise der SPV diskutiert. Die Bürgerversicherung versteht sich als Pflichtversicherung – auch für Beamte, Selbständige und Arbeitnehmer oberhalb der Versicherungspflichtgrenze – bei der zusätzlich die Beitragsbemessungsgrenze angehoben und weitere Einkommensarten in die Beitragspflicht einbezogen werden können. Das sogenannte Einfriermodell schlägt hingegen eine Fixierung der Pflegeleistungen auf dem heutigen Niveau vor. Die realen Leistungen der SPV würden dann bis 2060 auf etwa 50 Prozent des heutigen Levels abfallen. Im dritten Modell, der Ausgliederung der Pflegestufe I, könnte sich die SPV auf die schweren Pflegefälle konzentrieren. 55 Prozent der gegenwärtigen Leistungsbezieher würden damit aus der Versorgung herausfallen. Der vierte Vorschlag, eine Ausgliederung der Pflegestufe III, würde nach heutigem Stand zwölf Prozent der Leistungsfälle ausgliedern. Die Effekte dieser Modelle im Hinblick auf den Beitragssatz sind sehr unterschiedlich: Würde die SPV nicht reformiert, müsste bei gleichbleibenden Leistungen der heutige Beitragssatz von 1,95 Prozent (Kinderlose 2,2 Prozent) bis zum Jahr 2060 auf fünf Prozent steigen. Eine Bürgerversicherung bringt kleinere Einsparungen (Beitragssatz 4,7 Prozent), das Einfriermodell (Beitragssatz 2,5 Prozent) oder die Ausgliederung der Pflegestufe I (Beitragssatz 3,6 Prozent) bzw. III (Beitragssatz 3,9 Prozent) schlagen deutlich zu Buche. Allerdings resümiert Professor Raffelhüschen die bisherige Reformdiskussion: „Alle Modelle sind entweder nicht nachhaltig oder politisch nicht mehrheitsfähig.“

Karenzzeit-Modell als neue Variante

Die Demografieanfälligkeit der umlagefinanzierten SPV und die gleichzeitige Kostenexplosion im Pflegesektor können seiner Überzeugung nach nur durch ein zusätzliches kapitalgedecktes System aufgefangen werden. Die Ziele einer nachhaltigen Reform sollten konstante lohnbezogene Beiträge, ein real gleiches Leistungsniveau und eine Konzentration der SPV auf ihre Kernkompetenz sein. Das von ihm entwickelte Karenzzeit-Modell wird diesen Vorgaben gerecht, beteiligt möglichst viele Jahrgänge an den Kosten und federt die  Mehrbelastungen bei den älteren Versicherten deutlich ab. Das Karenzzeit-Modell sieht vor, dass leichtere Pflegefälle für ein, zwei bzw. drei Jahre keine Leistungen erhalten, die anfallenden Kosten aber in einer privatwirtschaftlich organisierten, kapitalgedeckten Pflichtversicherung abgesichert werden. Schon bei einer einjährigen Karenzzeit könnten die Beitragssätze bis 2029 konstant bleiben. Bei zwei- oder dreijähriger Karenzzeit blieben die Beitragssätze bis 2046 bzw. 2070 gleich. „Die Leistungszahlungen können bei der dreijährigen Variante bis 2070 um 740 Milliarden Euro gesenkt werden“, so die Berechnungen von Raffelhüschen.

Pflegerunden verschweigen Kosten

DIA-Sprecher Bernd Katzenstein konstatiert, „dass trotz des vom Gesundheitsminister ausgerufenen Reformjahres der Pflege bisher über die Kosten möglicher Reformen eisern geschwiegen wird.“ Deswegen sei die DIA-Studie mit ihren Kosten- und Nachhaltigkeitsbewertungen der Reformvorschläge ein wichtiger Diskussionsbeitrag. „Die Leistungen und Kosten der zukünftigen Pflegeversicherung müssen für den Einzelnen gut kalkulierbar und zumutbar sein“, so Katzenstein. Die aktuelle DIA-Studie „Soziale Pflegeversicherung heute und morgen“ kann unter www.dia-vorsorge.de angefordert werden.

Quelle: Pressemitteilung des Deutschen Instituts für Altersvorsorge vom 02.05.2011
http://www.dia-vorsorge.de