Studie zu Zwangsheiraten: über den Diskurs nicht die Opfer vergessen

16.11.2011 | Soziale Arbeit | Nachrichten

Wer Zwangsheiraten mit dem Islam begründet, spielt den Tätern in die Hände.

Köln – Am 09.11.2011 hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) eine Studie vorgestellt unter dem Titel: „Zwangsverheiratung in Deutschland - Anzahl und Analyse von Beratungsfällen“. Hierin wird die Bedrohung junger Frauen (und Männer) durch erzwungene Ehen, teilweise mit ihnen vollständig fremden Menschen und unter Androhung von Strafen bis hin zu Mord, analysiert und mit erhobenen Fallzahlen untermauert. Die Studie basiert auf Informationen, die über Beratungsstellen wie Frauenhäusern gewonnen wurden. Die Medien haben das Thema bereits aufgegriffen. Dabei tendieren einige nach wie vor dazu, Zwangsehen quasi automatisch mit dem Schlagwort „Islam“ zu assoziieren – auch wenn immerhin vielfach darauf hingewiesen wird, es sei ein „kulturell verklärtes Islamverständnis“ und theologisch nicht zu untermauern. In der Tat hat die Studie ergeben, dass von den erfassten Opfern ein hoher Prozentsatz muslimischen Glaubens ist. Dennoch darf weder eine Religion noch eine andere Begründung dazu verleiten, den Blick auf die Opfer zu verstellen und realere Hintergründe zu vernebeln. Hierzu Hasan Karaca, Leiter des forege – Forschungszentrum für Religion und Gesellschaft: „Beginnt man Zwangsheirat aus der Religion – in diesem Falle dem Islam – heraus zu verstehen, agiert man bereits innerhalb der Rhetorik der Täter. Denn auch diese verweisen in der Argumentation ihres Vorgehens, ihres Vergehens auf die Religion.“ Die Einschränkung, das vorgeschobene Islamverständnis habe mit der „eigentlichen“ Religion nichts zu tun, reiche nicht aus, so Karaca. Der Soziologe Karaca gibt als Gründe für Zwangsheiraten vor allem Imagefragen innerhalb quasi-dörflicher Gemeinschaften an. Ihm zufolge werden junge Menschen deshalb unter Zwang verheiratet, weil „beispielsweise die Tochter droht, jemanden zu heiraten, der – aus Sicht des Vaters – nicht passend ist, weil man die Tochter an eine einflussreiche Familie 'geben' will, weil man von der Heirat wirtschaftlichen Nutzen erhofft, oder weil die Tochter bereits etwas verbockt hat, das aus Sicht der Älteren dem Ruf der Familie schadet.“ Auch junge Männer seien von dem Phänomen betroffen, erklärt Karaca. Hier versuchten die Eltern mit einer Zwangsheirat unter anderem zu verhindern, dass etwa „der Sohn mit einer Andersgläubigen ankommen könnte oder weil man verhindern will, dass das eigene Kind als Homosexueller 'entlarvt' wird“, berichtet Karaca. Das forege begrüßt die Initiative des BMFSFJ, dieses nach wie vor bedrohliche Thema anzugehen, und zwar auf Basis wissenschaftlich erhobener Zahlen. Es warnt jedoch davor, die Debatte zu verfälschen oder durch eine zu starke Fokussierung auf falsch verstandene Gründe die Schwere jedes einzelnen dieser Verbrechen zu verharmlosen. Die ausführliche Stellungnahme des forege finden Sie als PDF-Datei im Anhang.

Quelle: Pressemitteilung des forege – Forschungszentrum für Religion und Gesellschaft vom 14.11.2011
http://www.forege.de