Universität Kassel erforscht Geschichte der Kinder- und Jugendheime des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen (LWV)
Am ersten September ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt an den Start gegangen, das zum Ziel hat, die Situation in den Kinder- und Jugendheimen des LWV zu untersuchen. Daraus soll eine Ausstellung zum Thema hervorgehen. Der Fokus richtet sich dabei auf die Jahre 1949 bis 1973.In dieser Zeit sind Kinder und Jugendliche in Heimen physisch und psychisch gedemütigt worden. Proteste von Vertretern der außerparlamentarischen Opposition (Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Astrid Proll) und Kritik von Wissenschaftlern lösten ab 1969 in ganz Deutschland Reformen aus. Die Jugendheime Steinmühle und Weilmünster sowie das geschlossene Mädchenheim Fuldatal in Hessen wurden ab 1974 geschlossen. „Das Forschungsprojekt markiert einen weiteren Schritt in der Aufarbeitung der Geschehnisse“, betont die Erste Beigeordnete des LWV, Evelin Schönhut-Keil. „Uns ist es dabei außerordentlich wichtig, den Blick von außen zu gewinnen. Deshalb haben wir die Forschungsarbeit ausgeschrieben und externe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um ihr Konzept gebeten.“ Mit der Universität Kassel wurde schließlich ein Vertrag geschlossen. Prof. Dr. Mechthild Bereswill (Soziologie) und Prof. Dr. Theresia Höynck (Rechtswissenschaften) leiten das Forschungsprojekt, an dem vier Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beteiligt sind. Sie werden außerdem mit Prof. Gabriele Franziska Götz und Prof. Joel Baumann vom Studienbereich Visuelle Kommunikation der Kunsthochschule in der Universität Kassel kooperieren. „Unser Ziel ist es, herauszufinden, ob man Strukturen und Mechanismen erkennen kann, die zu den Missständen und Menschenrechtsverletzungen in der Geschichte der hessischen Heimerziehung von Kindern und Jugendlichen geführt haben“, sagt Prof. Dr. Theresia Höynck. „Auch wenn wir heute in einer anderen Zeit leben, gibt es Strukturen, die Ungerechtigkeiten immer wieder ermöglichen.“ Das Projekt gliedert sich in drei Teile: 1. Auswertung der Akten
Von den 14.000 Fallakten (1,4 Kilometer Akten), über die der LWV verfügt, werden 1.400 exemplarisch ausgewertet. Die Akten erhalten auch Dokumente aus den Jahren 1949 bis 1953, also aus jener Zeit, bevor der LWV die Trägerschaft übernahm. Die Forscherinnen und Forscher werden Erhebungsbögen entwickeln, mit denen sie die Akten unter bestimmten Kriterien untersuchen. Wiederkehrende Ereignisse werden registriert. Während dieser Tätigkeit werden sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler regelmäßig austauschen und persönliche Eindrücke reflektieren. Auf dieser Basis werden die Erhebungskriterien weiter entwickelt. 2. Zeitzeugenbefragung
Zeitzeugen werden nach der Methode des narrativen Interviews befragt. Darunter sind ehemalige Heimkinder, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LWV sowie Kritiker der Heimerziehung. 3. Wanderausstellung
Die Ergebnisse werden in Zusammenarbeit mit dem Studienbereich Visuelle Kommunikation der Kunsthochschule in der Universität Kassel in eine Wanderausstellung einfließen. Der LWV hat mit seiner Gründung 1953 die Trägerschaft für neun Kinder- und Jugendheime in Hessen übernommen und ab 1970 Reformen umgesetzt. Er hat ab 2004 den Dialog mit ehemaligen Heimkindern aufgenommen. 2006 hat sich die Verbandsversammlung als höchstes Gremium des LWV dafür entschuldigt, „dass Kinder und Jugendliche in unseren Heimen alltäglicher physischer und psychischer Gewalt ausgesetzt waren.“ „Der LWV hat sich schon früh zu seiner Verantwortung bekannt“, unterstreicht LWV-Landesdirektor Uwe Brückmann. „Mit dem Forschungsprojekt und der Ausstellung erkennen wir das Leid der ehemaligen Heimkinder noch einmal öffentlich an.“ Der LWV Hessen hat die Trägerschaft für jene Jugendhilfeeinrichtungen, die nicht geschlossen wurden, abgegeben. Die Kosten in Höhe von 190.000 Euro werden vom LWV und aus Drittmitteln aufgebracht. Der LWV Hessen und die Heimkinder - eine kurze Chronik
Quelle: Pressemitteilung des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen (LWV) vom 19.09.2011
http://www.lwv-hessen.de