Wenn das Kind mehrfach in den Brunnen gefallen ist - Besuch in der Wärmestube Fürth

11.05.2011 | Soziale Arbeit | Nachrichten

In dem Jahr, in dem sein Vater einer Leberzirrhose erlag, hatte der damals neunjährige Hans (Name geändert) seine erste Alkoholvergiftung. Ein paar Jahre später verstarb seine Mutter und Hans finanzierte mit seinem gesamten Erbe seine Alkohol- und Drogensucht. Irgendwann landete er obdachlos auf der Straße. Heute ist Hans 46 Jahre alt und trinkt keinen Alkohol mehr. „Ohne die Hilfe der Fürther Wärmestube hätte ich das aber nie geschafft“, wird er auf der Webseite dieser städtischen Organisation zitiert. Der Treffunkt und vor allem dessen Leiter Wolfgang Sperber sind eine von mehreren Parallelen, in den Lebensläufen von Hans und drei weiteren Männern, die im Internet-Auftritt Udo, Andreas und Sven genannt werden: Alkohol- und Drogensucht, Gewaltausbrüche und Gefängnisaufenthalte sind ebenfalls  Gemeinsamkeiten der vier – ein Teufelskreis, in dem mancher von ihnen Jahrzehnte gefangen war und der einen der vier zeitweise wohnungslos machte. Bis für alle mit dem regelmäßigen Besuch in der Fürther Wärmestube der Wendepunkt kam. Seit 1992 gibt es die Anlaufstelle in der Fürther Altstadt, erzählte Sozialpädagoge Sperber dem Sprecher der Nationalen Armutskonferenz (nak) Dr. Thomas Beyer. Der lobte „die Effektivität des unbürokratisch organisierten Treffs“. Zunächst sei die Wärmestube so etwas wie ein Ein-Mann-Unternehmen auf 25 Quadratmetern gewesen. „Am Anfang habe ich mir gedacht, hoffentlich werde ich nicht krank“, erzählte Sperber, der ehedem keine Vertretung hatte. Inzwischen verteilen sich jeweils zwei Aufenthaltsräume und Büros, eine Küche und ein Bad auf zirka 100 Quadratmetern. In der etwa sechs Quadratmeter kleinen Schlauch-Küche werden täglich zirka 30 Mittagessen zubereitet.
Das Team umfasst  insgesamt 15 Mitarbeiter. Die meisten von ihnen sind so genannte 1-Euro-Jobber. Manche waren früher sogar selber Klienten in der Wärmestube. Mittlerweile sind sie für andere Bedürftige da; arbeiten in der Nachbarschaftshilfe, dem Tagesaufenthalt, der Sozialberatung und der Wohnungsnothilfe. Gerne würde Sperber seine Leute dauerhaft beschäftigen und besser entlohnen, aber seine Finanzen sind äußerst knapp: „Wir müssen uns hauptsächlich über Spenden finanzieren“, sagte er. Im Gegensatz zum knappen Budget der Wärmestube steht die hohe Zahl derer, die dort Hilfe suchen: Bis zu 60 Menschen besuchen täglich den Treff. „Viele kommen leider erst dann, wenn das Kind mehrfach in den Brunnen gefallen ist“, hat Sperber festgestellt. Beispielsweise wenn sie ihre Arbeit verloren haben, wenn ihnen die Zwangsräumung droht, wenn ihre letzte Chance die Vermittlung eines Entzugsplatzes ist – oder wenn der Magen vor Hunger knurrt. Für alle ist das Frühstück in der Wärmestunde gratis; das Mittagessen kostet 1,50 Euro. „Ohne die Unterstützung der Fürther Tafel wäre beides nicht möglich“, erläuterte Sperber. Auch bei Renovierungen, Entrümpelungen und Umzügen bietet das Team von der Wärmestube buchstäblich kräftig Hilfe an: „Nur wenn es vom vierten Stock ohne Aufzug in den fünften Stock ohne Aufzug geht, müssen wir passen“, erklärte Mitarbeiter Klaus Dauhrer. Ob Möbel- oder Kleiderspenden ― bei vielen Belangen kooperiert die Wärmestube neben der Stadt Fürth auch eng mit den Wohlfahrtsverbänden, Stiftungen sowie privaten Sponsoren und Spendern. Mit Einladungen zum Martiniessen und der Bildung eines Freundeskreises wollen Sperber und sein Team unter anderem die Spendentrommel rühren, denn die Zahl der Klienten wird auch in Zukunft nicht abnehmen. Dass das Verhältnis zu den Nachbarn in der Hirschenstraße gut ist, freut den Leiter. Dass es zu keinen größeren Auseinandersetzungen kommt, liegt auch am strikten Alkoholverbot, das im Treffpunkt herrscht. „Schon seit einem Jahr hatten wir keine Polizei mehr hier“, erzählte Sperber. Vor allem nach einer Trennung geraten laut dem Leiter Menschen in die viel zitierte soziale Schieflage. Und diese betreffe überwiegend Männer: „Heute haben wir ein Verhältnis von 75 zu 25. Früher waren es sogar 90 zu 10.“ Das liege daran, dass Frauen engere Beziehungen zu Verwandten und Freunden haben und deshalb in Krisenlagen dort häufiger Rückhalt fänden. Erfreulich: In Fürth leben über 114.000  Menschen, laut Sperber „machen nur noch vielleicht fünf Platte“. Die meisten Wohnungslosen lebten in Notunterkünften. Wie viele Menschen ohne eigene Bleibe es bundesweit gibt, werde dagegen von der Bundesregierung nicht erfasst. Beyer: „Das ist ärgerlich und muss sich dringend ändern. Schließlich erfassen wir doch sonst alles.“ Auch in einem anderen Punkt waren sich die beiden einig: Die Lebenssituation von bedürftigen Menschen müsse in der Öffentlichkeit bewusster gemacht werden, damit es zu gemeinsamen Lösungen kommt. Häufig hätten die Menschen Berührungsängste, wenn sie auf einen Wohnungslosen treffen: „Weil man Angst hat, selbst einmal davon betroffen zu sein, distanziert man sich lieber“, hat Sperber festgestellt.    Fürther Treffpunkt ― Wärmestube, Hirschenstraße 41, 90762 Fürth
www.fuerther-treffpunkt.de  Öffnungszeiten
Mo., Di., Mi., Fr., 9 bis 13 Uhr, 14 bis 16 Uhr; Sa., So., 10 bis 13 Uhr

Quelle: Pressemitteilung des Sprechers der Nationalen Armutskonferenz (nak) Thomas Beyer vom 10.05.2011
http://www.nationale-armutskonferenz.de