Ausgerechnet im Strafrecht: Auf Augenhöhe?

09.05.2012 | Soziale Arbeit | Nachrichten

14. Forum für Täter-Opfer-Ausgleich und Konfliktschlichtung in Münster

Münster (lwl). Oft begegnen sich Konfliktparteien in Schlichtungsgesprächen: Bei Trennung und Scheidung, in der Wirtschaft, im Sport oder bei Streitigkeiten zwischen Bürgern und Staat. Ein Prinzip ist allen gemein: Die Parteien begegnen sich "Auf Augenhöhe". Aber funktioniert das auch im Strafrecht? Können Opfer und Täter mit Hilfe eines Vermittlers ihren Konflikt außergerichtlich regeln und sich auch über eine Versöhnung und Wiedergutmachung verständigen? Unter dem Titel "Auf Augenhöhe" beschäftigen sich in der Zeit vom 9. bis 11. Mai in Münster 250 Sozialarbeiter, Polizistinnen und Juristen beim 14. Forum für Täter-Opfer-Ausgleich auf Einladung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippes (LWL) und des Servicebüros für Täter-Opfer-Ausgleich und Konfliktschlichtung (Köln) mit diesen Fragen. "Für die Opfer hat der Täter-Opfer-Ausgleich den Vorteil, dass sie nicht nur als Zeugen gehört werden, sondern ihre Vorstellungen und Wünsche in Sachen Wiedergutmachung aktiv einbringen können. So erhalten sie schnell und unbürokratisch eine Entschädigung und fühlen sich gerechter behandelt", nennt LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch einen Vorteil des Täter-Opfer-Ausgleiches. Der Täter-Opfer-Ausgleich ist für Opfer und Täter ein Weg, Ursachen, Emotionen und Auswirkungen einer Straftat außergerichtlich, eigenständig und gemeinsam zu bearbeiten. Dabei können sie einen neutralen Vermittler in Anspruch nehmen, der sie dabei unterstützt, die Tat aufzuarbeiten, den Konflikt zu beenden und eine Wiedergutmachung auszuhandeln, die für beide Seiten akzeptabel ist. "Der Täter-Opfer-Ausgleich vertraut auf die Fähigkeiten der Beteiligten, dass sie den durch die Straftat entstandenen Konflikt selber adäquat lösen können. Dabei geht es weniger um Bestrafung, sondern darum, den Rechtsfrieden wieder herzustellen, also um eine Justiz, die auf sozialen und humanen Werten basiert", erklärt Gerd Delattre, Leiter des Servicebüros für Täter-Opfer-Ausgleich und Konfliktschlichtung in Köln.

Der Ablauf

Die Teilnahme an einem Ausgleich ist freiwillig. In getrennten Vorgesprächen klärt der Vermittler die Bedürfnisse und Ziele der Beteiligten. Wenn diese dann den Ausgleich fortführen wollen, führen sie gemeinsame Gespräche. Hier besprechen sie offene Fragen und handeln eine Wiedergutmachung aus. Neben einem finanziellen Ausgleich ist auch jede andere Form der Wiedergutmachung denkbar wie eine persönliche Entschuldigung, ein Geschenk, Arbeitsleistungen oder auch eine gemeinsame Aktivität. Was gewählt wird, hängt von den Vorstellungen und Möglichkeiten der Betroffenen ab. "Die Justiz bewertet das Ergebnis des Ausgleiches für das weitere Vorgehen im Strafverfahren. In vielen Fällen ist an dieser Stelle eine Beendigung des Verfahrens möglich", erklärt der Strafrechtexperte Prof. Dr. Dieter Rössner von der Universität Marburg.

Fallbeispiel: Jugendlicher verletzt Rentner mit einem Messer

Ein 16-jähriger Jugendlicher spricht aus einer Gruppe heraus einen 62-jährigen Rentner an und verlangt Geld von ihm. Als der ältere Mann den Täter zurückweist, zieht dieser ein Taschenmesser und verletzt ihn an der Hand. Daraufhin flieht der Jugendliche. Die Polizei kann den Täter nicht ermitteln, der sich bald selbst bei der Polizei meldet, weil er ein schlechtes Gewissen hat. Er bittet um eine milde Beurteilung. Die Staatsanwaltschaft übergibt den Fall zur Konfliktschlichtung an die Fachstelle für Täter-Opfer-Ausgleich. Der Jugendliche kommt auf schriftliche Einladung in das Büro der Konfliktschlichtungsstelle. Schnell wird deutlich, dass er den Vorfall bereut. Er erzählt, den Rentner zunächst nur angesprochen zu haben, weil dieser einige Tage zuvor einen kleinen Jungen, mit dem er befreundet ist, zurückgedrängt habe. Im Beisein der anderen Jugendlichen habe er sich stark gefühlt und dabei sei es zu dem versuchten Raub gekommen. Ihm selbst sei sein Handeln nicht bewusst gewesen, auch wollte er eigentlich kein Geld von seinem Opfer. In den nachfolgenden Tagen habe er ein starkes Schuldgefühl verspürt und sich auf Anraten eines guten Freundes schließlich der Polizei gestellt. Er sagt, dass er sich gerne bei dem Geschädigten entschuldigen möchte und stimmt einem gemeinsamen Gespräch sofort zu. Auch das Opfer erscheint auf die schriftliche Einladung zu einem Vorgespräch im Büro der Fachstelle für Täter-Opfer-Ausgleich. Der Rentner schildert den Vorfall aus seiner Sicht. Dabei macht er deutlich, dass er die Situation als furchterregend erlebt habe und in der Folgezeit sehr bedrückt gewesen sei. Er ist an der Person des Täters interessiert und stimmt einer Begegnung spontan zu, als er hört, dass der Jugendliche sich bei ihm entschuldigen möchte. Der Jugendliche kommt eine Viertelstunde vor dem vereinbarten Termin. Er ist sehr nervös und sagt, dass er gar nicht richtig wisse, wie er sich bei dem Geschädigten entschuldigen solle. Dieser erscheint und sie begrüßen sich mit einem Händedruck. Nachdem der Vermittler beide Seiten ermutigt hat, sich frei zu äußern, beginnt der Jugendliche, den Vorfall nochmals aus seiner Sicht zu schildern. Im Nachhinein sei ihm sein Handeln nicht mehr erklärbar. Er spricht dann darüber, wie sehr ihn die ganze Sache in den darauf folgenden Tagen belastet habe, so dass er sich schließlich der Polizei gestellt habe. Der Jugendliche entschuldigt sich bei seinem Opfer und bietet ihm eine finanzielle Wiedergutmachung an. Der Rentner, erkundigt sich nach seinen persönlichen Verhältnissen und seiner schulischen Situation. Er schildert den Vorfall aus seiner Sicht und stellt dabei klar, dass er sich sehr bedroht gefühlt und auch in der Folgezeit noch Ängste verspürt habe. Schließlich geht er auf den Vorschlag des Jugendlichen ein und akzeptiert die Entschuldigung. Auf einen finanziellen Schadensersatz verzichtet er und schlägt stattdessen vor, der Jugendliche solle 300 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen und eine zusätzliche Wiedergutmachung für die Allgemeinheit leisten. Damit ist der Jugendliche einverstanden. Er vereinbart mit dem Vermittler, dass er zusätzlich an zwei Tagen sozialen Hilfsdienst leistet. Nachdem der Vermittler den wesentlichen Inhalt des Gesprächs an die Staatsanwaltschaft zurückgemeldet und der Jugendliche die Auflagen erfüllt hat, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Jugendlichen ein.

Der LWL im Überblick

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 13.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 17 Museen und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 101 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.

Quelle: Pressemitteilung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe e.V. vom 09.05.2012
www.lwl.org