Behinderte sind zu beteiligen

von Dr. phil. Carsten Rensinghoff
31.07.2012 | Behinderung & Inklusion | Nachrichten

Im Zusammenhang mit der Lektüre von zwei 2012 erschienen Herausgeberbänden erlaube ich mir als behinderter Wissenschaftler Kritik zu üben. Ich wage diese Kritik, weil sie einem wissenschaftlichem Feld entspringt, dem ich:
  1. in meinem Sosein, eben als Behinderter und somit Experte in eigener Sache, angehöre
    und
  2. welchem ich nach dem Erhalt meiner allgemeinen Hochschulreife meine Studien intensiv gewidmet habe. Ich verfüge hier also über eine erlernte Kompetenz, die durch die erlebte Kompetenz (vgl. Punkt 1) bereichert wird.
Es geht einmal um die von Vera Moser und Detlef Horster bei der W. Kohlhammer GmbH Stuttgart herausgegebenen Ethik der Behindertenpädagogik, die sich als Grundlagenwerk mit Menschenrechten,  Menschwürde und Behinderung befasst. Wenn man sich das Verzeichnis der hierin publizierenden Autorinnen und Autoren ansieht so fällt auf, dass keine behinderte Autorin und kein behinderter Autor mit einem Beitrag in Erscheinung treten. Man fragt sich, ob behinderte Autorinnen und Autoren bewusst ausgespart oder nicht angefragt wurden. Oder wird für das Fehlen behinderter Autorinnen und Autoren verantwortlich gemacht, dass dieselben für ethische Fragestellungen, die vor allem sie betreffen, inkompetent sind. Und das ist fatal, wenn doch Vera Moser, so wie ich es verstehe, bereits in ihrer Antrittsvorlesung an der Humboldt-Universität zu Berlin [Download: 29.04.2012] für die Inklusion gesprochen hat. Unverständlich ist daher die Äußerung, dass die Autorinnen und Autoren dazu „in der Lage sind, ihren Gegenstand in verständlicher, rational-logischer Argumentation darzustellen, den jede/r Leser/in problemlos erfassen kann. Zur Nachvollziehbarkeit gehört auch, dass die Argumente klar und zugespitzt vorgebracht werden“ (S. 20). Dazu sind behinderte Autorinnen und Autoren als Experten in eigener Sache also nicht in der Lage! Diese Tatsache ist als sehr unsolidarisch und der Inklusion in keinster Weise zuträglich aufzufassen. Moser/Horster haben scheibar unzureichend nach qualifizierten Autorinnen und Autoren gesucht. Behinderte Autorinnen und Autoren müssen weiter in der Isolation ausharren. Oben und Letztgenanntes verdeutlicht dann auch die Kurzansprache Pfarrer Michael Dettmanns im Konfirmationsgottesdienst am 29. April 2012 in der Evangelischen Kirche zu Witten-Heven. Dettmann sagte das Einsamkeit auf Dauer krank macht. Wir sind auf Beziehung hin geschaffen. Mit Blick auf die Buchbeiträge, die sich auf Anerkennung, Integration und Inklusion beziehen, ist aus Rezensentensicht dieser einseitige Blick – einseitig aus Nichtbehindertensicht – auf die Ethik der Behindertenpädagogik unverständlich. In diesem Zusammenhang sei auf die erste Fußnote in dem Beitrag von Quante/Schweikard verwiesen. Hier heißt es mit Bezug auf die Zustände, nämlich der Verhinderung einer Veranstaltung an der Universität Duisburg im Wintersemester 1989/90, in der die Praktische Ethik Peter Singers besprochen werden sollte: „[…] in der zweiten deutschen Ausgabe seines Buches hat Peter Singer unter der Überschrift „Wie man in Deutschland mundtot gemacht wird“ die Vorgänge dieser Jahre aus seiner Sicht dargestellt […]. Das Buch Singers, 1979 in englischer Sprache erschienen und 1984 in deutscher Sprache veröffentlicht, war in den Jahren zuvor bereits in Philosophieseminaren behandelt worden, ohne dass es zu derartigen Vorfällen gekommen war“ (S. 91). Wahrscheinlich waren die Behinderten schon in den dem Wintersemester 1989/90 vorausgehenden Jahren ein Graus. Erst zu diesem relativ späten Zeitpunkt, also 1989/90, haben sich die Verantwortlichen ihrer ethischen Verpflichtung besonnen. Eine andere Kritik erlaube ich mir an dem von Cornelius Breyer u.a. beim ATHENA-Verlag herausgegebenen Band, der sich mit Sonderpädagogik und Inklusion befasst, zu üben. Sonderpädagogik und Inklusion sind doch zwei Termini technici die sich widersprechen. Hierzu habe ich im Zusammenhang mit dem Inklusionsantrag der nordrhein-westfälischen Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 26. Juni 2012 Stellung bezogen. Diese Stellungnahme ist über die URL http://www.lokalkompass.de/witten/politik/kurze-replik-zum-antrag-zusammen-lernen-zusammenwachsen-eckpunkte-fuer-den-weg-zur-inklusiven-schule-in-nrw-d183978.html [Download: 11.07.2012] abrufbar. Eine Kommentierung der Hamburger Verhältnisse ist unter der URL http://www.lokalkompass.de/witten/politik/stellungnahme-zur-drucksache-203641-der-buergerschaft-der-freien-und-hansestadt-hamburg-vom-27032012-inklusive-bildung-an-hamburgs-schulen-d188737.html [Download: 30.07.2012] nachzulesen. Schließlich sei auf den offenen Brief von Professorin Dr. Doris Elbers verwiesen, der unter der URL http://www.lokalkompass.de/witten/politik/offener-brief-an-die-fraktionen-der-spd-und-buendnis-90die-gruenen-in-nrw-d191801.html [Download: 30.07.2012] abrufbar ist. Autor
Dr. phil. Carsten Rensinghoff
Web: www.rensinghoff.org 
Mail: info@rensinghoff.org