Besonders betroffene Patientengruppen profitieren kaum
Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Patientenrechte bleibt aus Sicht der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen (DVSG) hinter den Erwartungen zurück
Berlin (dvsg) Die Situation von besonders betroffenen Patientengruppen, wie hochaltrige Patienten, Menschen mit Behinderung, kognitiven Einschränkungen oder psychischen Erkrankungen, sozial Benachteiligte oder Migranten, erfordert grundsätzliche Ergänzungen des Gesetzentwurfs zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten. Die im Gesetzentwurf enthaltene Annahme, dass allen Patientengruppen Informationen, Beratung und im Schadensfall zivilrechtliche Mittel in gleichem Maß zugänglich sind, ist eine Fiktion, die in der Praxis so nicht besteht. Aus der Praxis der sozialarbeiterischen Beratung im Gesundheitswesen ist die gesetzliche Regelung der Beziehung zwischen Ärzten / Therapeuten und Patienten im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) kritisch zu sehen, da dies suggeriert, dass es sich um eine normale Kunden-Dienstleister-Beziehung handelt. Die Praxis der Patientenberatung zeigt, dass regelungsbedürftige Konflikte häufig bei Patientengruppen auftreten, die sich in einer extrem belasteten Situation befinden, beispielsweise auf Grund einer generell sozial-benachteiligten Situation, einer durch Krankheit oder Behinderung ausgelösten besonderen Schutzbedürftigkeit oder bedingt durch einen Behandlungsfehler oder einen vermuteten Behandlungsfehler. Hier kann allein auf Grund der ungleichen Verteilung der Informationen und des Handlungspotentials nicht von einem Verhältnis „auf Augenhöhe“ zwischen den Vertragsparteien ausgegangen werden. Die besondere Schutzbedürftigkeit von Patienten muss in größerem Maß festgeschrieben und stärker durch kompensatorische Maßnahmen für die Patienten flankiert werden. Aus Sicht der DVSG fehlt im Gesetz eine Regelung, die im Schadensfall nach einer medizinischen Behandlung eine patientenorientierte Lösung für typische Problemfälle des rechtlichen Verfahrens anbietet. Dazu gehören beispielsweise Konstellationen, in denen die Kausalität eines eingetretenen Schadens nach fehlerhafter Behandlung nicht geklärt werden kann, die Durchsetzung eines Schadensersatzes vor Gericht eine unverhältnismäßig lange Zeit in Anspruch nimmt, eine gerichtliche Klärung ohne Unterstützung unterbleiben müsste oder andere soziale Gründe vorliegen. Hierzu sollte, wie bereits von den Patientenorganisationen vorgeschlagen, ein öffentlicher Härtefall-Fonds geschaffen werden, aus dem den Patientinnen und Patienten im Bedarfsfall Leistungen gewährt werden können. Insgesamt schenkt der Gesetzesentwurf den vorgerichtlichen Strukturen der Schadensanerkennung und Regulierung zu wenig Beachtung. Vorgerichtliche Schlichtungen bieten Patientengruppen, die ein gerichtliches Verfahren scheuen, Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Rechte. Zudem kommen diese Verfahren den Bedürfnissen vieler geschädigter Patienten entgegen, denen es nicht primär um monetäre Kompensationen, sondern um die Anerkennung von Fehlern bzw. erlittenem Unrecht geht. Die Einbeziehung von Patienten- und Krankenkassenvertretern in solchen Gremien zur vorgerichtlichen Klärung sollte obligatorisch sein. Weiterhin müssen alle beteiligten Konfliktparteien zur Mitwirkung verpflichtet werden und die unterschiedlichen Verfahren und Kompetenzen zwischen bereits bestehenden Institutionen, aber auch neu zu schaffenden Schlichtungsstellen, müssen einander angeglichen werden. Daneben sollten die Verfahren zur Untersuchung struktureller Risiken für Patienten systematisch ausgewertet werden. Diese Ergebnisse sollten für die (Fach-)Öffentlichkeit aufbereitet werden und zugänglich sein. Niedrigschwelligen Maßnahmen zur Wahrnehmung und Durchsetzung von Patientenrechten werden im Gesetzentwurf nicht angesprochen. Der Zugang zu guten Versorgungsleistungen für Patienten wird nicht nur durch das gesetzlich festgelegte Recht auf eine Leistung bestimmt, sondern hängt in der Praxis auch von der Unterstützung der Patienten bei der Leistungserschließung ab. Dazu zählen beispielsweise die Bereitstellung von Informationen über Versorgungsangebote, die Beratung zu alternativen Behandlungs- und Versorgungsleistungen sowie zu Leistungsvoraussetzungen und die Unterstützung bei der individuellen Klärung von Behandlungspräferenzen und bei der Beantragung und Durchsetzung spezifischer Leistungen. Die DVSG unterstützt die Zielstellung des Gesetzentwurfs, die „Fehlervermeidungskultur“ zu fördern und ein „patientenorientiertes Beschwerdemanagements“ zu stärken sowie „Mindeststandards für Risikomanagement und Fehlermeldesysteme“ zu schaffen. Insbesondere die Aktivitäten zur Schaffung von einrichtungsübergreifenden Fehlermeldesystemen sind positiv zu bewerten. Institutioneninterne Fehlermelde- und Beschwerdesysteme erlauben es, die Hinweise auf Risiken, Behandlungs- und Dienstleistungsmängel auszuwerten und daraus Verbesserungsmöglichkeiten für die Abläufe innerhalb eines Krankenhauses oder einer Praxis abzuleiten. Einrichtungsübergreifende Fehlersysteme erfassen darüber hinaus Fehler, die in einer Behandlungskette nicht einem Krankenhaus ursächlich zugeschrieben werden können. Neben der Erfassung von medizinischen Fehlern sieht der Fachverband der Sozialen Arbeit im Gesundheitswesen aber auch die Notwendigkeit für ein System, das Koordinations- und Kooperationsprobleme zwischen Versorgungsakteuren und zwischen den Sektoren systematisch erfasst, da sie den Behandlungserfolg gefährden und die gesellschaftlichen und beruflichen Teilhabechancen von Patienten beeinträchtigen. Diese Probleme sind aus Sicht der Patienten und in ihrer Bedeutung für ein effizientes Versorgungssystem ebenfalls hoch relevant. Die DVSG regt daher an, dass sowohl Patientenbeschwerden, Risiken und Fehler in der medizinischen Behandlung als auch Koordinationsprobleme und Versorgungsbrüche zwischen Versorgungsakteuren sowie Zugangsbarrieren zu Versorgungsleistungen einrichtungsübergreifend erfasst und berichtet werden. Dazu sollten auch die Erfahrungen im stationären Entlassungs- und Versorgungsmanagement sowie in ambulanten Beratungsstellen ausgewertet werden. Seit Jahren sind Defizite bei der zielgruppenspezifischen Unterstützung von sozial benachteiligten Patienten, Menschen mit Behinderung und kognitiv beeinträchtigten Personen sowie Menschen mit Migrationshintergrund bekannt. Diese Gruppen werden von vorhandenen Beratungs- und Unterstützungsangeboten nur unterdurchschnittlich erreicht, kennen kaum ihre Rechte und sind oft nicht in der Lage, sie ohne Unterstützung einzufordern. Die DVSG erwartet von einem Patientenrechtegesetz, dass davon starke Impulse für die Verbesserung der Beratungsinfrastruktur und für die Weiterentwicklung der Beratungsansätze ausgehen, die auch diesen Gruppen zu Gute kommt. Im Patientenrechtegesetz müssen hier unbedingt Ergänzungen vorgenommen werden, um die Situation dieser besonders betroffenen Patientengruppen zu verbessern.Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen e.V. (DVSG) vom 02.10.2012
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