Billigpflege im Ausland: Offener Brief von bpa-Präsident Bernd Meurer
„Wenn wir ernsthaft die Versorgung unserer pflegebedürftigen Menschen in Billiglohnländern diskutieren, ist das eine Bankrotterklärung für unseren Sozialstaat“
Sehr geehrte Damen und Herren, seit einigen Wochen wird in den Medien engagiert und kontrovers über Möglichkeit der Pflege unserer Pflegebedürftigen in ausländischen Pflegeheimen diskutiert. Niemand weiß bis heute, wie viele alte und ältere Menschen mit einer schweren oder schwersten Pflegebedürftigkeit in einem anderen Land als der Bundesrepublik untergebracht sind. Niemand kennt die Qualität der ärztlichen Betreuung, niemand die Qualitätder dortigen Pflege, niemand weiß, was mit den alten Menschen passiert, wenn sie plötzlich in ein Krankenhaus müssen. Was zu lesen ist, sind einzelne Berichte und das berühmt-berüchtigte „vom Hörensagen“. Eine Ausnahme bilden Auswanderer, die bewusst und auf eigenen Wunsch vor vielen Jahren z. B. nach Spanien gingen und seither dort leben. Sie haben dort Freunde und eine neue Heimat gefunden und wollen dort ihren Lebensabend verbringen – ggf. auch in einer Pflegeeinrichtung. Aber das ist etwas anderes als die Idee, einen Angehörigen in ein völlig fremdes Land zu bringen. Dennoch scheint die Idee, die Großmutter, den Großvater, Mutter oder Vater in Thailand oder anderswo weit weg von daheim unterzubringen, eine beträchtliche Attraktivität zu haben. Das Argument: Die Pflege im Ausland sei billiger als in Deutschland. Das mag so sein. Wenn aber die Preise in Deutschland, verglichen mit denen anderer Länder, darüber entscheiden, welche soziale Leistung zählt und gewählt wird, dann können wir bei uns den Sozialstaat einmotten. Das beste Beispiel dafür, dass die Preisfrage nicht allein entscheiden kann, geben jene Ärzte ab, die im Ausland arbeiten, die aber gern nach "good old Germany" zurückkommen, wenn sie selber einer Behandlung bedürfen. In der Pflege ist es nicht anders. Wird aus dem einfachen Pflegefall ein komplizierterer, der modernste Behandlung verlangt, dann geht es nach Deutschland zurück. Eine reine „Sonnenschein-Pflege“ gibt es nicht. Und so gesehen ist dieses „Hopping“ aufgrund der entstehenden Kosten unsolidarisch. Für den Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste ist diese Idee eine Kapitulation vor der eigenen Situation in Deutschland. Mit der absurden Diskussion wird ein Thema aufgebaut, ohne konkreten Bezug zur tatsächlichen Versorgungswirklichkeit von über zwei Millionen pflegebedürftiger Menschen in Deutschland. Jeder Pflegebedürftige, ob alt oder jung, ob physisch oder psychisch beeinträchtigt, wird in Deutschland aufgenommen. Was die Pflegeversicherung nicht leistet und der Einzelne nicht mehr bezahlen kann, übernimmt der Steuerzahler bzw. die Sozialhilfe. Um diese Regelung werden wir in vielen anderen Ländern beneidet. Das ist keine gewährte „Vergünstigung“ nach Lust und Laune, sondern dahinter steht ein Rechtsanspruch. Manchmal sollten wir uns wieder klar machen, welch zivilisatorische Errungenschaft das ist. Wir haben in Deutschland genug Probleme in der Pflege zu bewältigen. Die beginnen mit der ungenügenden Finanzierung durch die Pflegekassen. Hier liegt ein Schlüssel für die bessere Bezahlung der Pflegekräfte. Die Probleme setzen sich fort in der ungenügenden und auch in der Perspektive inakzeptablen personellen Ausstattung der Pflegeeinrichtungen. Die Pflegeeinrichtungen – ambulant wie stationär – bekommen einfach keine gut qualifizierten Fachkräfte mehr. Der Markt ist leer gefegt und die nötigen Maßnahmen zur effektiven Gegensteuerung bleiben bisher aus. Probleme gibt es bei der Bereitstellung der Mittel durch die Sozialhilfe, bei der Bereitstellung von Mitteln für die häusliche Krankenpflege. Derzeit gut ausgestattete Kassen nutzen ausgerechnet jetzt die Gelegenheit, die Ausgaben für die häusliche Krankenpflege zu verringern. An den Schnittstellen zwischen ärztlicher Behandlung und Pflege, zwischen Prävention und Pflege, Pflege und gesundheitlicher Rehabilitation, Krankenhausaufenthalt und Pflege und zwischen Diagnose, Behandlung und Pflege gibt es noch genügend Effizienzreserven, die wir bisher liegen lassen. Aber all diese Probleme sind grundsätzlich lös- und beherrschbar, wenn wir gemeinsam handeln und politisch wie gesellschaftlich Klarheit darüber schaffen, was uns eine angemessene Pflege wert ist und entsprechend tätig werden. Mein Fazit: Wir haben viel Zeit verloren, die kaum noch aufzuholen ist. Wir müssen einen Gang höher schalten, damit die Pflege noch besser wird und abenteuerliche Ideen ihre Anziehungskraft verlieren. Und wenn eine Versorgung unserer pflegebedürftigen Menschen in Billiglohnländern ernsthaft diskutiert würde, wäre das eine Bankrotterklärung für unseren Sozialstaat. IhrBernd Meurer
bpa-Präsident
Quelle: Pressemitteilung des bpa - Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e.V. vom 07.11.2012