Bundesregierung lehnt Wohnungsnotfallstatistik ab
BAG Wohnungslosenhilfe: Regierung ignoriert zunehmende Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit
Die Bundesregierung verweigert sich ohne glaubwürdige Argumente der Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik, die Umfang und Entwicklung der Räumungsklagen und Wohnungslosigkeit abbilden soll. Dabei wird eine solche Statistik von der gesamten Fachwelt seit mehr als dreißig Jahren gefordert. Dies erklärte die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W), der Dachverband der Wohnungslosenhilfe, anlässlich der Antwort der Bundesregierung auf eine gemeinsame Kleine Anfrage der Oppositionsfraktionen im Bundestag (Drucksache 17/10114).Repräsentative Aussagefähigkeit bundesweiter Wohnungsnotfallstatistik möglich
Die Bundesregierung behauptet, die so genannte Machbarkeitsstudie des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 1998 sei zu dem Ergebnis gekommen, die Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik sei problematisch und kaum realisierbar. Demgegenüber muss festgestellt werden, dass die Studie zu dem gegenteiligen Ergebnis kam: Eine solche Statistik ist durchführbar. Eine Wohnungsnotfallstatistik zielt im Kern auf die jährliche Erfassung der unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen und der wohnungslos gewordenen Menschen ab. Dies ist nach Auffassung der BAG W für beide Gruppen in einem Umfang von mindestens 90 % erreichbar, eine statistisch völlig ausreichende Größe. Wenn man auf jede Statistik verzichtet, weil eine kleine Teilgruppe nicht erfasst wird, kann man zahlreiche Statistiken in Deutschland einstellen. Die BAG W kritisiert, dass die Regierungsfraktionen CDU/CSU und FDP ohne weitere fachliche Begründung aus einer fraktionsübergreifenden Initiative aller Bundestagsparteien vom Februar 2011 ausgestiegen sind. Der Geschäftsführer der BAG W, Thomas Specht: „Angesichts zunehmender Wohnungsnot, immer häufiger von Räumungsklagen bedrohter Familien und mehr wohnungslosen jungen Menschen, ist die Haltung der Bundesregierung nicht nachvollziehbar.“ Während sich die Bundesregierung einerseits auf Erhebungen und Schätzungen der BAG W beruft, stellt sie im gleichen Atemzug fest, dass „deren Repräsentativität von der BAG W selbst nicht abschließend beurteilt werden kann.“ Genau aus diesem Grund fordert die BAG W allerdings eine repräsentative Wohnungsnotfallstatistik, während die Bundesregierung offensichtlich bereit ist, vor dem tatsächlichen Umfang von Armut und Wohnungsnot weiter die Augen fest zu verschließen.Zusammenhang von Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit belegt
Der Auffassung der Bundesregierung, dass Wohnungslosigkeit heute nicht mehr in erster Linie auf einem Fehlbestand an Wohnungen, sondern in der Regel auf einer Reihe anderer sozialer bzw. psycho-sozialer Ursachen beruhe, wies die BAG W entschieden als unhaltbar zurück: „Die Entwicklung am Wohnungsmarkt, insb. schnell steigende Preise für Mietwohnungen im Zusammenwirken mit zurückbleibender Mietzahlungsfähigkeit durch Zunahme der Armut in Deutschland, ist eindeutig der entscheidende Treiber für zunehmende Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot“, so Specht. Wer Wohnungslosigkeit in die „Psychokiste“ entsorgen wolle, der brauche offenbar eine Ablenkung von den jahrelangen Versäumnissen in der Wohnungspolitik. Bis zum Jahr 2017 werden in Deutschland über 800.000 Mietwohnungen, insbesondere in Ballungszentren, Groß- und Universitätsstädten fehlen, wenn nichts getan wird – so der Deutsche Mieterbund. Da diese fehlenden Wohnungen nicht über Nacht gebaut werden können, zumal der soziale Wohnungsbau praktisch abgeschafft worden ist, werden sich Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit weiter verschärfen.Bund hat Kompetenz und Pflicht zur gesetzlichen bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik
Die Bundesregierung behauptet eine Nicht-Zuständigkeit des Bundes und verweist auf Kommunen, die die notwendigen Daten doch erheben könnten. Demgegenüber stellt die BAG W klar, dass der Bund für zunehmende Wohnungsnot und Wohnungslosigkeit maßgeblich mitverantwortlich ist. Schließlich bestimmt er mit den Sozialgesetzbüchern II („Hartz IV“) und SGB XII (Sozialhilfe) über den Regelsatz, mit der geplanten Verschärfung des Mietrechts und der absehbaren Verteuerung der Wohnkosten durch die Energiewende als Gesetzgeber die Rahmenbedingungen des Wohnungsmarktes entscheidend mit. Auch wenn die Föderalismusreform die Zuständigkeit in der Wohnungspolitik vom Bund auf die Länder verlagert hat, kann daraus keinesfalls eine Nicht-Zuständigkeit für Bundesstatistiken abgeleitet werden. Im Gegenteil: Nur der Bund ist in der Lage für bundeseinheitliche und vergleichbare Statistiken im gesamten Bundesgebiet zu sorgen: „Schon innerhalb eines Landkreises oder eines Regierungsbezirkes sind heute die wenigen verfügbaren Zahlen unvergleichbar. In vielen deutschen Gemeinden und Kommunen fehlen sogar aussagekräftige Zahlen“, so Specht. Die seit dem 1.11.2011 erneuerte landesweite Wohnungsnotfallstatistik des Landes Nordrhein-Westfalen zeigt, dass auch eine bundesweite Wohnungsnotfallstatistik möglich ist. Dennoch verweist die Bundesregierung unter dem Vorwand der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsverteilung nur auf die Bundesländer. Wie aber die Bundesregierung ohne ein Rahmengesetz, wie die BAG W es fordert, eine bundeseinheitliche Statistik der Bundesländer garantieren möchte, bleibt ihr Geheimnis. „Es ist Zeit mit dem Schwarzen Statistik-Peter in Sachen Wohnungsnotfallstatistik aufzuhören. Ich fordere Bundesbauminister Ramsauer auf, sich mit uns zusammenzusetzen und gemeinsam mit allen Bundesländern den Weg zu einer überfälligen Reform zu gehen, die den Staat wenig kostet, aber hilft, zukünftige Kosten der Wohnungsnot einzusparen“, so Thomas Specht.Quelle: Pressemitteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) vom 09.08.2012