DVSG: Pflegereform darf keine neuen Beratungsstrukturen schaffen
Qualifizierte Beratung für pflegebedürftige Menschen muss gezielt ausgebaut werden
Berlin (dvsg). Neben grundlegenden Schwächen beinhaltet das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes (PNG) Regelungen, die für pflegebedürftige Menschen den Zugang zu notwendigen Sozialleistungen verbessern können. Dazu gehören aus Sicht der Deutschen Vereinigung für Soziale Arbeit im Gesundheitswesen e. V. (DVSG) unter anderem die Stärkung der Beratung von Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen sowie die Stärkung der Ziels „Rehabilitation vor Pflege". Bei diesen Punkten sind die konkreten Umsetzungsvorschläge im Detail jedoch kritisch zu bewerten. Die Einführung eines Anspruchs auf Beratung für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen innerhalb von zwei Wochen nach Antragstellung auf Leistungen aus der Pflegeversicherung stellt eine richtige Weichenstellung dar. Allerdings werden durch das vorgesehene Beratungsgutscheinsystem neue Beratungsstrukturen initiiert, die nicht ziel-führend sind. Stattdessen schlägt der Fachverband vor, die schon bestehenden Beratungsstrukturen - wie Pflegestützpunkte und Sozialdienste in Kliniken - für eine qualitative Beratung, auch im Hinblick auf die Umsetzung des Prinzips „Rehabilitation vor Pflege", systematisch zu stärken. Die an sich positiven Ziele der „Stärkung der Beratung Pflegebedürftiger und ihrer Angehöriger" und der Stärkung des Prinzips „Rehabilitation vor Pflege" sind nach Meinung von Heike Ulrich, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der DVSG, in der Umsetzung im Detail nicht überzeugend. „Die Einführung eines Anspruchs auf Beratung für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen innerhalb von zwei Wochen nach Antragstellung auf Leistungen ist hilfreich. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen neuen Beratungsinstitutionen, die von den Kassen mit der Aufgabe der Pflegeberatung betraut werden sollen, halten wir aber für kontraproduktiv. Nicht nur das Gesundheitswesen ist für Laien schwer zu durchschauen, inzwischen verlieren die Bürger auch bei der Vielzahl der Beratungsstellen den Überblick" so Heike Ulrich. Die DVSG fordert deshalb den eingeschlagenen Weg des Ausbaus und der Stärkung der Pflegestützpunkte weiterzugehen. Heike Ulrich weiter: „Dazu braucht es mehr als eine kleinteilige Ergänzung des Beratungsspektrum. Wir wünschen uns, dass Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam mit den Kassen an einem großen Wurf zur weiteren Verbesserung der ambulanten Beratungsstruktur auf Basis des Konzepts ‚Pflegestützpunkte‘ arbeiten". Ambulante Beratungsstrukturen erreichen im Vorfeld einer Antragstellung allerdings nur einen kleineren Teil der pflegebedürftigen älteren Menschen, da die überwiegende Zahl der Erstanträge aus dem Krankenhaus heraus erfolgt, beispielsweise wenn ältere Menschen auf Grund eines Unfalls oder einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes stärkere gesundheitliche und funktionale Einschränkungen erleben. Anzustreben ist aus Sicht der DVSG daher eine enge Verzahnung der ambulanten Pflegestützpunkte mit den stationären Strukturen der psychosozialen Beratung in den Sozialdiensten der Akutkrankenhäuser und Rehabilitationskliniken. In den Krankenhäusern beraten qualifizierte Sozialarbeiter/Sozialpädagogen schon seit jeher auch zu allen psychosozialen und sozialrechtlichen Fragenstellungen im Zusammenhang mit Pflegebedürftigkeit. Diese Stellen könnten als Kristallisationskerne für den Aufbau von Pflegestützpunkten an oder in Krankenhäusern dienen, die sowohl die Beratung von stationär versorgten Patienten übernehmen, als auch ambulante Beratungsleistungen als Pflegestützpunkt anbieten. Weiterhin ist die Intention des Gesetzgebers zur Stärkung des Grundsatzes „Rehabilitation vor Pflege" aus Sicht der DVSG außerordentlich begrüßenswert. Die Beratung zu Maßnahmen der Rehabilitation sind ein fester Bestandteil der gesetzlich garantierten Pflegeberatung und können dazu dienen, die Versicherten bei der Beantragung und Organisation einer Rehabilitationsmaßnahme weiter zu unterstützen. Die regelhafte Einbeziehung der Pflegeberatung in den Pflegstützpunkten oder den Pflegekassen ist zur Umsetzung des Grundsatzes „Rehabilitation vor Pflege" erforderlich, um die Nachhaltigkeit der eingeleiteten und durchgeführten Maßnahmen zu sichern. Weiterhin ergeben sich gerade bei gelungener Vermeidung oder Minderung von Pflegebedürftigkeit nach einer Rehabilitationsmaßnahme Ansätze zu einer gesundheitsorientierten und präventiven Beratung, die helfen kann, den Gesundheitsstatus der Betroffenen weiter zu verbessern oder zu erhalten, so dass der Eintritt von Pfle-gebedürftigkeit oder eine Verschlimmerung hinausgezögert werden kann. Da der überwiegende Teil der Erstanträge durch den Eintritt eines gesundheitlichen Ereignisses (z.B. Oberschenkelhalsbruch, Schlaganfall) erfolgt, das mit einem Krankenhausaufenthalt verbunden ist, entscheidet sich an der Schnittstelle Krankenhausentlassung in welche Richtung die zukünftige Ver-sorgung geht. „Daher muss an dieser Stelle eine gezielte Steuerung in die Rehabilitationsmaßname erfolgen, um Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder zu vermindern. Im Akutkrankenhaus sind alle Professionen zur Beurteilung der Rehabilitationsfähigkeit und der Pflegebedürftigkeit vorhanden und können dort zeitnah begutachten. Die Sozialarbeiter der Krankenhaussozialdienste können umfassende Pflegeberatung direkt an der Schnittstelle durchführen und entsprechende Maßnahmen einleiten, erläutert Heike Ulrich. Zur schnellen und lösungsorientierten und konkreten Umsetzung des Grundsatzes "Rehabilitation vor Pflege" schlägt die DVSG vor, ein standardisiertes Verfahren mit dem Medizi-nischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) zu vereinbaren, der nach dem Erhalt umfassender Informationen eine Empfehlung zur Rehabilitation oder zur weiteren Versorgung in stationären Kurz- oder Dauerpflegeeinrichtungen ausspricht. Diese kann dann ohne Verzögerung von den Sozialdiensten eingeleitet und umgesetzt werden. Die DVSG hat diese Vorschläge zur Verbesserung der Beratung pflegebedürftiger Menschen und ihrer Angehörigen in einer weitergehenden Stellungnahme zum Gesetzesentwurf in die weitere Diskussion eingebracht. Nach der grundsätzlichen Einschätzung des Fachverbandes werden die wesentlichen Herausforderungen zur Verbesserung der Pflege in Deutschland durch das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz nicht angepackt, die positiven Ziele des Entwurfs werden zu zögerlich umgesetzt, im Detail finden sich dazu problematische Regelungen, die gute Absichten konterkarieren. Positiv bewertet die DVSG den Einstieg in Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige und die neuen Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Inanspruchnahme von Leistungen. Die geplanten Differenzierungsmöglichkeiten bei der Vergütung der Pflegesachleistung nach Zeitaufwand oder nach Leis-tungsinhalten verschafft den Pflegebedürftigen mehr Auswahl bei der Zusammenstellung und ist begrüßenswert. Für die DVSG liegt die Schwäche des vorgelegten Gesetzentwurfs aber darin, dass notwendige Reformschritte zur Verbesserung der Versorgung von an Demenz erkrankten Menschen hinter dem Machbaren zurückgeblieben sind. Das notwendige Projekt der Umsetzung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs, der zu einer grundlegend besseren Berücksichtigung der Bedarfe Demenzkranker führen soll, wurde gar nicht erst angegangen. Auch zu einer nachhaltigen Finanzierung der Pflegeversicherung finden sich keine Vorschläge im Gesetz.Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Vereinigung für Sozialarbeit im Gesundheitswesen (DVSG) vom 18.05.2012
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