Größte Verbundstudie zu Sozialunternehmertum in Deutschland: Innovationsimpulse, Verbreitungsschwächen, Kooperationspotentiale
Gründungen von Sozialunternehmen sind medial präsent, können aber angesichts des schwachen Wachstums, der geringen Kooperationsaktivitäten und der Mittelvergabe der öffentlichen Hand nicht zu den etablierten Wohlfahrtsverbänden und staatlichen Angeboten aufschließen. Das Wohlfahrtssystem hat dagegen ein Innovationsproblem, Social Entrepreneure können hier wichtige Innovationsimpulse setzen. Bei der Verbreitung ihrer innovativen Ideen stoßen sie jedoch regelmäßig auf Schwierigkeiten. Kooperationen der Sozialunternehmer untereinander sowie mit den großen Wohlfahrtsorganisationen sollten noch ausgebaut werden. Das sind die zentralen Ergebnisse der bisher größten Verbundstudie zum Thema Social Entrepreneurship in Deutschland, die am 29.06.2012 auf einer Konferenz an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen vorgestellt wird. Die Wissenschaftler des „Mercator Forscherverbund innovatives soziales Handeln – Social Entrepreneurship“ haben in mehreren Teilprojekten rund 150 Interviews geführt und über 2.400 Fragebögen ausgewertet. Der Forscherverbund ist vor zwei Jahren von der Stiftung Mercator initiiert und mit knapp einer Million Euro gefördert worden.
Die Umfrageergebnisse zeigen erstmals für Deutschland systematisch: Sozialunternehmen gibt es in vielen Branchen, ihre Gründer kommen aus allen Altersstufen und 80 Prozent von ihnen verfügen über einen Hochschulabschluss. Die Mehrheit der Social Entrepreneure arbeitet in kleinen Organisationen mit lokalem Schwerpunkt. Mehr als 50 Prozent der Sozialunternehmen erzielen Einnahmen von weniger als 250.000 Euro. Sozialunternehmer sind dann besonders erfolgreich, wenn sie mit den etablierten wohlfahrtsstaatlichen Akteuren zusammenarbeiten. 58 Prozent der innovativen Projekte werden in Kooperation zwischen neuen und traditionellen Akteuren entwickelt. Eine weitere wichtige Quelle für innovative Projekte (61 Prozent) sind Mitarbeiter etablierter Einrichtungen, die ihre innovativen Ideen innerhalb der bestehenden Organisationsstrukturen umsetzen – sogenannte Social Intrapreneure. Bernhard Lorentz, Geschäftsführer der Stiftung Mercator: „Als wir uns vor einigen Jahren erstmals mit Social Entrepreneurship auseinandergesetzt haben, war es ein umstrittenes Thema, ein mediales Phänomen, das aber in Forschung und Lehre an den deutschen Universitäten noch nicht wirklich verankert war. Die Erforschung der Bedingungen für sozialunternehmerisches Handeln war bis dahin von der angelsächsischen Sichtweise auf das Thema geprägt. Wir wollten aber wissen, welche Wirkungsmacht die Sozialunternehmer hier in Deutschland haben. Wir sehen nun: Social Entrepreneurship ist ein Nischenphänomen. Nicht nur die Entrepreneure, sondern auch die Intrapreneure verdienen mehr Aufmerksamkeit und Förderung. Hier sind vor allem die etablierten Wohlfahrtsinstitutionen gefragt, geeignete interne Anreizstrukturen zu setzen." Ein unmittelbar verwertbares Ergebnis der Forschungsarbeiten sind konkrete Handlungsempfehlungen für Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Sozialunternehmer. Die Wissenschaftler raten zu stärkeren Aktivitäten in den Bereichen Vernetzung sowie Finanzierung und Wachstum. Stephan A. Jansen, Präsident der Zeppelin Universität und als Leiter des dortigen „Civil Society Centers (CiSoC): „Wohlfahrtsverbände haben im Zuge ihres Wachstums die Herausforderung des Innovationssystems, die Sozialunternehmen brauchen im Zuge ihrer Innovationen ein Wachstumssystem. Wachsende Innovation geht offenbar nur gemeinsam. Unsere Ergebnisse zu Organisation, Kommunikation, Finanzierung und Märkten zeigen Bedarfe auf, wie die Einführung eines Sozialunternehmerkodex, eines Verbandes, die Einrichtung einer Transferagentur zur Vernetzung von Sozialunternehmern und Intermediären oder die Schaffung von Innovationsschnittstellen zu großen Wohlfahrtsorganisationen.“ Rolf Heinze und Martin Burgi, Professoren an der Ruhr-Universität Bochum: „Unsere Empfehlung ist, die staatliche Förderpraxis von einer rein monetär ausgerichteten Betrachtungsweise zu einem wirkungsorientiertem Mittelzugang umzugestalten. Dies ließe sich z.B. durch die Einführung einer Innovationsklausel in § 17 SGB I relativ leicht verwirklichen.“ Markus Beckmann und Steven Ney, Professoren für Social Entrepreneurship an der Leuphana Universität Lüneburg und der Jacobs University Bremen: „Wir müssen den Diskurs zwischen Sozialunternehmern und etablierten Wohlfahrtsorganisationen intensivieren. Unproduktive Verteilungskonflikte um finanzielle Ressourcen können z.B. dann vermieden werden, wenn Wohlfahrtsorganisationen Förderanträge gemeinsam mit Sozialunternehmern stellen. Wichtig ist zudem eine stärkere Vernetzung der Akteure auf lokaler und thematischer Ebene, beispielsweise in sogenannten Social Hubs.“ Rafael Ziegler von der sozial-ökologischen Forschungsgruppe GETIDOS an der Universität Greifswald: „Social Marketing ist ein unterschätztes Instrument für Sozialunternehmertum. Es fokussiert Sozialunternehmer auf eine Schlüsselfrage, nämlich die angestrebte Verhaltensänderung.“ Der Mercator Forscherverbund besteht aus vier Teilprojekten an insgesamt acht deutschen Universitäten und Forschungsinstituten und vereinigt knapp 30 Wissenschaftler. Beteiligt sind die Zeppelin Universität in Friedrichshafen, die Technische Universität München, das Centrum für soziale Investitionen und Innovationen (CSI) an der Universität Heidelberg, die Ruhr-Universität Bochum, die Jacobs University Bremen, die Leuphana Universität Lüneburg, die Universität Greifswald und das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung in Berlin. Kooperationspartner sind Ashoka Deutschland und die Schwab Foundation for Social Entrepreneurship. Weitere Informationen und die Handlungsempfehlungen zum Download: www.stiftung-mercator.de/seQuelle: Pressemitteilung der Stiftung Mercator vom 29.06.2012
www.stiftung-mercator.de