Halbjahresbilanz des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung: „Ziel ist ein großes gesellschaftliches Bündnis gegen sexuelle Gewalt.“
Immer mehr große gesellschaftliche Dachorganisationen unterzeichnen Vereinbarungen für einen verbesserten Schutz der Kinder vor sexueller Gewalt. Erste Befragung von zwei bundesweiten Befragungen zu Schutzkonzepten in Einrichtungen ist Anfang Juni gestartet. Kampagne soll ab Herbst Eltern, Einrichtungen und breite Öffentlichkeit weiter für einen verbesserten Kinderschutz aktivieren. Fachbeirat plant öffentliche Hearings zu Schwerpunktthemen im Bereich Verjährung, Aufarbeitung und Gesundheit.
Anlässlich der 2. Fachbeiratssitzung beim Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, zogen der Unabhängige Beauftragte und die Vorsitzende des Fachbeirats, Prof. Dr. Mechthild Wolff, heute in Berlin eine positive Bilanz ihrer Arbeit. „In einem ersten Schritt ist es gelungen, gemeinsam mit Kommunalen Spitzen, Wohlfahrtsverbänden und dem Deutschen Olympischen Sportbund Verbindlichkeit in den schwierigen Prozess der Umsetzung der Empfehlungen des Runden Tisches zu bringen“, bilanzierte Rörig. Die Gespräche und Vereinbarungen mit den großen Dachorganisationen und ihre Unterstützung bei der jetzigen Befragung in den Einrichtungen ihrer Träger zeigten, dass sie sich aktiv dazu positionierten, Kinder konsequent und nachhaltig vor sexueller Gewalt schützen zu wollen. Damit legten sie den Grundstein für ein umfassendes gesellschaftliches Bündnis gegen sexuelle Gewalt, das nun weiter aufgebaut werden müsse. Sie könnten damit auch zu wichtigen Ansprechstellen für die vielen Kinder und Jugendlichen werden, die sexuelle Gewalt in der Familie oder sexuelle Übergriffe durch andere Kinder und Jugendliche erfahren.Bundesweite Befragungen und Kampagne sollen Einrichtungen weiter aktivieren
Flankiert wird der Prozess der Umsetzung von zwei bundesweiten Befragungen zur Anwendung von Schutzkonzepten in Einrichtungen, die von dem Unabhängigen Beauftragten in den Bereichen Bildung, Erziehung, Soziales und Gesundheit durchgeführt werden. Die Befragungen sollen erfassen, wie die Empfehlungen des Runden Tisches zu Prävention und Intervention bisher umgesetzt werden, welche Planungen bestehen und welchen Entwicklungsbedarf es gibt. Die erste Befragung ist Anfang Juni in Kitas, Heimen, Internaten, Kinderkliniken sowie Jugend- und Sportverbänden gestartet, weitere Befragungen in Schulen, bei Kinder- und Jugendreisen und im kirchlichen Gemeindeleben sollen folgen. Die Ergebnisse werden im Herbst 2012 vorliegen und im Dezember 2012 auf dem Bilanztreffen des Runden Tisches vorgestellt werden. Die zweite Befragung erfolgt im Frühjahr 2013. Begleitet werden soll der Umsetzungsprozess ab Herbst von einer bundesweiten Kampagne, die insbesondere Eltern und Fachkräfte ermutigen will, Schutzkonzepte in Einrichtungen nachzufragen. „Es muss zur Selbstverständlichkeit werden, sich nach Schutzkonzepten für seine Kinder zu erkundigen, daran darf und sollte nichts peinlich sein, hier muss unsere Gesellschaft endlich sprachfähig werden“, so Rörig.Erstes öffentliches Hearing ist für Oktober geplant, Betroffene unterstützen Gremienarbeit mit ihrer Expertise
Der Fachbeirat hat beschlossen, Konzeptgruppen zu Schwerpunktthemen zu konstituieren, zu denen sich der Runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ nicht oder nicht ausreichend positioniert hat. „Es ist wichtig, dass wir uns auch mit den Themen beschäftigen, die aus Fach- und Betroffenensicht dringend der weiteren Debatte bedürfen“, betonte Beiratsvorsitzende Prof. Dr. Wolff auf der heutigen Pressekonferenz. „Als unabhängiges Gremium, das den Prozess der Umsetzung der Empfehlungen des Runden Tisches kritisch begleiten soll, werden wir sicher an der einen oder anderen Stelle unbequem sein müssen, das ist Teil unserer Aufgabe und Verantwortung gegenüber den Betroffenen.“ Gemeinsam mit dem Unabhängigen Beauftragten sollen mindestens drei öffentliche Hearings in 2012/2013 durchgeführt werden, zu denen Expertinnen und Experten aus Politik und Gesellschaft sowie Betroffene mit ihrer Expertise gehört werden sollen. Das erste Hearing soll am 19. Oktober 2012 zu Fragen der medizinischen und therapeutischen Versorgung für Betroffene stattfinden, weitere Hearings zur Aufarbeitung in Institutionen sowie zu strafrechtlichen Fragen sollen im Frühjahr bzw. Sommer 2012 folgen.Appell an Bund und Länder, das ergänzende Hilfesystem noch vor der Sommerpause auf den Weg zu bringen und die Infrastruktur von Beratungsstellen zu verbessern
„Neben dem wichtigen Anliegen, Kinder vor zukünftigen sexuellen Übergriffen zu schützen, dürfen wir die Alt- und Jetztbetroffenen nicht aus dem Fokus verlieren, die auch sieben Monate nach dem Ende des Runden Tischs vergeblich auf diese Umsetzungen warten“, betonte Ingo Fock, Stellvertretender Fachbeiratsvorsitzender und selbst Betroffener, „Betroffene erwarten, dass beide Bereiche schnell und gleichberechtigt umgesetzt werden. Rörig, Wolff und Fock appellierten an die Länder, dem Bund nachzufolgen und ebenfalls 50 Mio. Euro für das ergänzende Hilfesystem bereit zu stellen. Es sei wichtig, dass hier ein schnelles Signal gesetzt werde und es konkrete Zusagen gäbe, ab wann Betroffene mit den Hilfen rechnen können.“ Das ergänzende Hilfesystem soll auf Empfehlung des Runden Tisches für einen Zeitraum von drei Jahren errichtet werden und Leistungen der bestehenden sozialen Hilfesysteme (besonders Gesetzliche Krankenversicherung und Opferentschädigungsgesetz) ergänzen. Auch beim Ausbau der spezialisierten Beratungsstellen drängten Rörig und der Fachbeirat auf eine Verantwortungsübernahme der Länder und Kommunen. Der Bedarf sei steigend, es müssten deshalb dringend der Ausbau der Infrastruktur und eine finanzielle Absicherung der Beratungsstellen gewährleistet werden. Der Fachbeirat wird die Thematik weiter öffentlich diskutieren und die Politik hier nicht aus der Verantwortung entlassen.Quelle: Pressemitteilung des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs vom 12.06.2012
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