Neufassung der Aufnahmerichtlinie für Asylsuchende ist inhuman und durch nichts zu rechtfertigen

Berlin (Diakonie, Pro Asyl) Deutschland und andere EU-Staaten treiben die exzessive Ausweitung der Inhaftierung von Flüchtlingen voran. Europaweit droht die flächendeckende und systematische Inhaftierung von Schutzsuchenden. Die geplante Neufassung der sogenannten "Aufnahmerichtlinie" ermöglicht, dass künftig jeder Asylsuchende in Europa jederzeit und an jedem Ort inhaftiert werden kann.

Der Richtlinienentwurf umfasst sechs Haftgründe, die aus Sicht von Diakonie und PRO ASYL die systematische Inhaftierung von Asylsuchenden erlauben. Über den Richtlinienentwurf wird in diesen Tagen zwischen dem Europäischen Parlament, der EU-Kommission und dem Europäischen Rat verhandelt. Dem Richtlinienentwurf zufolge sollen Asylsuchende künftig zum Zwecke der Identitätsfeststellung, zur Beweissicherung, zur Überprüfung des Einreiserechts, aufgrund verspäteter Asylantragstellung, bei vermuteter Gefahr des Untertauchens oder auch einfach nur zur Wahrung der „nationalen Sicherheit und Ordnung“ inhaftiert werden können. „Man muss sich fragen, ob es angesichts dieser teils völlig unbestimmten Inhaftierungsregeln einen einzigen Asylsuchenden in der ganzen Union gibt, den man mit diesen Regeln nicht inhaftieren kann“, so Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. „Dieser Richtlinienentwurf macht den Weg frei zur völligen Entrechtung von Flüchtlingen“. Auch die Inhaftierung von Minderjährigen soll explizit erlaubt werden. Gegen ein Verbot der Inhaftierung von Minderjährigen hatte sich insbesondere das deutsche Innenministerium eingesetzt. Selbst der Vorschlag der EU-Kommission bei der Reform der Dublin-II- Verordnung, dass unbegleitete Minderjährige nie inhaftiert werden sollten, steht in den aktuellen Verhandlungen zur Disposition. Deutschland und andere Mitgliedsstaaten fordern die Streichung dieses Passus. „Diese kinderfeindliche Position ist beschämend“, so Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL PRO ASYL wendet sich deshalb unter dem Motto „Flucht ist kein Verbrechen!“ mit einer Kampagne an Vertreter des EU-Parlaments und fordert die Beendigung der Inhaftierung von Flüchtlingen. „Flüchtlinge sind keine Kriminellen. Sie brauchen Schutz und Unterstützung“, so Burkhardt.

Bereits heute werden in europäischen Ländern wie Ungarn, Malta oder Griechenland Flüchtlinge unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert. Allein an der griechisch-türkischen Grenze wurden im Jahr 2011 55 000 Menschen unter meist menschenunwürdigen Bedingungen in Flüchtlingshaftlager gesperrt. „Das Unrecht, das den Flüchtlingen dort widerfährt, will man jetzt offenbar in Rechtsform gießen“, so Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL. Während die menschenrechtswidrigen Zustände in Griechenland hinlänglich bekannt sind, wird die exzessive Inhaftierungspraxis in Ungarn in der deutschen und europäischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Schutzsuchende werden in Ungarn bis zu zwölf Monate lang inhaftiert. Misshandlungen durch Polizeikräfte sind in den Hafteinrichtungen an der Tagesordnung. PRO ASYL fordert daher einen sofortigen Stopp der Abschiebungen nach Ungarn. Recherchen von PRO ASYL haben ergeben, dass auch aus Deutschland Abgeschobene in Ungarn inhaftiert werden und ihnen dort ein faires Asylverfahren verweigert wurde. Asylanträge von Abgeschobenen werden in Ungarn nicht mehr geprüft, da ihr Asylgesuch nach der Rückkehr als Folgeantrag gewertet wird. Die ursprünglichen Fluchtgründe werden dann nicht mehr berücksichtigt. Auch schützen Folgeanträge in Ungarn nicht vor Abschiebung. Die betroffenen Flüchtlinge müssen fürchten, abgeschoben zu werden, obwohl ihr Asylantrag in keinem EU-Staat abschließend geprüft wurde. Da Ungarn Serbien als sicheren Drittstaat ansieht und Serbien seinerseits die Türkei für einen sicheren Drittstaat hält, droht ihnen die Kettenabschiebung. Die Türkei gewährt nicht-europäischen Flüchtlingen keinen dauerhaften Schutz. Dass Flüchtlingen, die aus Deutschland etwa nach Ungarn oder in andere EU- Staaten abgeschobenen werden, erst am Tag der Abschiebung überraschend der Bescheid übergeben wird, ist nicht hinnehmbar. „Mit einem solchen Vorgehen wird der Rechtsstaat ausgehebelt“, kritisiert Katharina Stamm vom Diakonischen Werk der EKD. „Auch in sogenannten Dublin-Verfahren müssen Gerichte die Möglichkeit haben, im Eilverfahren Abschiebungen in andere EU-Länder zu stoppen, in denen kein ausreichender Schutz gewährt wird“, forderte Stamm. Das deutsche Gesetz schließe jedoch den Eilrechtsschutz im Dublin-Verfahren aus. Dies widerspricht jedoch aus Sicht von Diakonie und PRO ASYL eindeutig dem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. Dezember 2011. Dieser hat entschieden, dass es im Rahmen der europäischen Zuständigkeitsregelung für Asylverfahren (Dublin II-Verordnung) keine Abschiebungen in denjenigen Staat geben darf, der formal für die Prüfung von Asylanträgen zuständig ist, wenn es dort systemische Mängel im Asylverfahren und bei den Aufnahmebedingungen gibt. Ein blindes Vertrauen in die Sicherheit anderer EU Staaten darf es nicht mehr geben.

Quelle: Pressemitteilung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V. vom 13.06.2012
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