"Perfektion"
In Detmold produzieren Menschen mit Behinderung für den Weltmarkt
Detmold (lwl). Eines nach dem anderen nimmt Monika Dämmrich die grünen Kunststoffteile aus der Kiste, konstant und ruhig. Im Hintergrund ist Radiomusik zu hören. Die 53-Jährige greift nach ein paar silbernen Schräubchen, die sie auf dem Tisch bereitgelegt hat, dreht sie in die eine Gehäusehälfte, fügt anschließend die zweite hinzu. Das fertige Teil legt sie in einen weiteren Behälter. Dann rückt sie ihren Stuhl zurecht und nimmt das nächste hellgrüne Gehäuse in die Hand. Weiter geht's. Gehäuse zusammenbauen ist nur eine von vielen Tätigkeiten, die Monika Dämmrich bei der Arbeitsgemeinschaft Arbeit (AGA) am Westrand von Detmold beherrscht - einem Integrationsunternehmen, das der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) fördert. AGA ist eines von 85 Integrationsunternehmen und -abteilungen, die sich am 22. März bei der LWL-Messe der Integrationsunternehmen in der Halle Münsterland in Münster präsentieren."Der Druck ist hier anders"
Monika Dämmrich ist schon seit 1989 in der Industriemontage beschäftigt, klebt dort mit ihren rund 40 Kollegen Etiketten, konfektioniert Kabel für Schaltschränke, baut Gehäuse zusammen - zumeist für den international tätigen Elektrotechnik-Konzern Phönix Contact, der seinen Hauptsitz im benachbarten, ostwestfälischen Blomberg hat. "Als ich hier anfing, waren wir gerade mal 25 Kollegen", erinnert sie sich. "Das hat sich ganz schön verändert." Trotzdem fühlt sie sich immer noch wohl. "Der Druck ist hier anders als ich das aus meinem früheren Job kannte. Wir müssen zwar auch unsere Leistung bringen, aber wir wissen genau, dass wir das auch schaffen." Die gebürtige Detmolderin machte ihre Lehre als Bekleidungsfertigerin bei einem Textilunternehmen, arbeitete dort im Akkord. Sie bekam einen schweren Bandscheibenvorfall, später litt sie unter Depressionen und unter Morbus Crohn, entwickelte eine Neurodermitis. Monika Dämmrich wurde Frührentnerin. "Das Geld reicht aber nach so wenigen Arbeitsjahren nicht aus, deswegen wollte ich gerne noch etwas dazuverdienen", sagt die zweitdienstälteste AGA-Mitarbeiterin. "Außerdem möchte ich auch für meine Selbstbestätigung arbeiten." Die Chance dazu hat sie bei der AGA, bei der 35 Menschen mit Behinderung angestellt sind. Daneben arbeiten rund 50 weitere Kollegen für den Recyclinghof, der für die Sperrmüllabfuhr im gesamten Kreis Lippe zuständig ist, und im Betriebsbereich Umweltprojekte, der zum Beispiel bei der Renaturierung von Gewässern hilft. Das vielfältige Profil ist über die Jahre gewachsen. Die AGA wurde 1987 von sozial engagierten Personen aus der Behindertenarbeit und Angehörigen von psychisch erkrankten Menschen als Verein gegründet. Ziel war und ist es bis heute, Jugendliche und Erwachsene in Arbeit zu bringen, die ansonsten kaum eine Chance auf einen Arbeitsplatz hätten - wegen Behinderung zum Beispiel, psychischer Probleme, aber auch nach Langzeitarbeitslosigkeit. "Mit der Übernahme der Sperrmüllentsorgung Mitte der 90er Jahre hatte die AGA plötzlich 350.000 neue Kunden in ihrer Kartei. So eine große Aufgabe war natürlich nicht mehr unter dem Dach eines ehrenamtlich geführten Vereins zu bewältigen", sagt Jens Fillies, Geschäftsführer der AGA.LWL unterstützt neue Struktur
Eine neue Struktur musste her, die es ermöglichte, weiter gesund zu wachsen. Die Ausgliederung der Vereinsaufgaben in ein selbständiges Unternehmen war der logische Schluss. Im Jahr 2000 entstand eine gemeinnützige GmbH mit dem Verein als einzigem Gesellschafter. Unterstützt wurde die Gründung durch Mittel aus der Ausgleichsabgabe. Diese Mittel zahlt der LWL Integrationsunternehmen, die einen hohen Anteil von Mitarbeitern mit Behinderung beschäftigen, zudem finanzierte die Agentur für Arbeit mit. Jens Fillies selbst ist seit 2001 dabei. Der Beamte der Stadt Detmold war damals bei den Städtischen Betrieben beschäftigt. Er zögerte nicht lange, als er gefragt wurde, ob er sich eine Abordnung von seinem Job in das Unternehmen vorstellen könne. "Das Spannende ist, dass wir hier in der freien Wirtschaft arbeiten." Dazu gehört auch, die Unternehmensbereiche dauerhaft fit für die Zukunft zu machen. Als gemeinnützige GmbH investiert die AGA sämtliche Einnahmen zurück ins Unternehmen, auf diese Weise lassen sich die Arbeitsplätze dauerhaft finanzieren."Produkte müssen perfekt sein"
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Die Qualität. "Auch wenn Phönix Contact bekannt dafür ist, dass das Unternehmen sich sozial engagiert, können wir uns keinen Schlendrian erlauben. Die Produkte müssen immer perfekt sein", sagt der Geschäftsführer, der sein Büro im Haupthaus eines ehemaligen Bauernhofes hat. In den Hallen drum herum, die im Laufe der Jahre gebaut wurden, und in den anderen Gebäuden des Hofes legen die Teamleiter daher viel Wert darauf, dass die Mitarbeiter konzentriert bei der Sache sind. Alle Bauteile, die zum Kunden gehen, werden akribisch kontrolliert. Die Bedeutung seiner Arbeit ist auch Heinz Kerner vollkommen klar, der seit 1996 bei der AGA tätig ist. Der 43-Jährige baut ebenfalls Gehäuse in der Industriemontage zusammen und hat seinen Platz gefunden, wie er betont. "Ich habe eine Lehre im Gartenbau angefangen, aber kurz vor Schluss abgebrochen. Danach habe ich im Lager gearbeitet, bin aber nie so richtig zurechtgekommen", erzählt er. "Das liegt, wie mir heute klar ist, an meiner Krankheit." Kerner leidet an einer Persönlichkeitsstörung. "Es war immer schwer für mich, Fuß zu fassen." Auf dem Arbeitsmarkt sah er für sich keine Chance mehr, "ich war wirklich verzweifelt". Bis er über den vom LWL finanzierten Integrationsfachdienst Detmold von der AGA hörte. Er machte ein Praktikum, bekam dann einen festen Vertrag. Und ist zufrieden, mit dem Job, den Kollegen, auch den Chefs, wie er lächelnd sagt. " Hier komme ich gerne zur Arbeit."Hintergrund
In 113 Integrationsunternehmen in Westfalen-Lippe arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Die Firmen sorgen für Inklusion im Arbeitsleben, müssen sich auf dem freien Markt beweisen - und sind im Schnitt um die Hälfte kostengünstiger als die Plätze in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen. 85 dieser Firmen, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) bei ihrer Arbeit unterstützt, präsentieren sich am 22. März bei der LWL-Messe der Integrationsunternehmen in der Halle Münsterland in Münster. Unter dem Motto "Unternehmen tun Gutes! - inklusiv arbeiten" zeigen die Aussteller, was sie leisten. Die Integrationsbetriebe arbeiten in Industrie, Handwerk und Handel - mit einer erstaunlichen Vielfalt an Produkten und Dienstleistungen. Supermärkte, Gartenbaubetriebe, Hotels, Cafés, Radstationen und ein Golfplatz werden von Belegschaften betrieben, in denen Menschen mit Behinderungen arbeiten. Und sogar eine Brauerei. Workshops, Vorträge und Gesprächsrunden ergänzen die Leistungsschau. Dort können sich auch interessierte Industrie-Unternehmen, Handwerksbetriebe und Gründer informieren, wie sie Arbeitsplätze für Menschen mit einem Handicap schaffen können und wer ihnen dabei hilft. Die Messe steht allen Interessierten von 9 bis 18 Uhr offen, der Eintritt ist frei.Der LWL im Überblick
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 13.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 17 Museen und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, den ein Parlament mit 101 Mitgliedern aus den Kommunen kontrolliert.Quelle: Pressemitteilung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) vom 14.03.2012
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