Reformkonzept für den Übergang Schule-Beruf: Ausbildungsgarantie in Deutschland ist finanzierbar
Jeder Schulabgänger soll ohne Zeitverlust eine Berufsausbildung aufnehmen können – Studie: Mehrkosten von jährlich 1,5 Milliarden Euro tragen sich selbst
Die Bertelsmann Stiftung hat gemeinsam mit neun Bundesländern und der Bundesagentur für Arbeit ein Konzept erarbeitet, wie der unübersichtliche und ineffektive Übergangsbereich zwischen Schule und Beruf grundlegend neu gestaltet werden kann. Kern des Konzepts ist eine Ausbildungsgarantie für jeden Schulabgänger. Wer keine Lehrstelle im dualen System findet, soll trotzdem einen qualifizierten Berufsabschluss erwerben können. Aus einer aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung geht hervor, dass eine solche Ausbildungsgarantie den Staat jährlich 1,5 Milliarden Euro kostet – Geld, das laut Bildungsökonom Klaus Klemm gut investiert ist, weil der Staat dadurch an anderen Stellen Ausgaben sparen könnte und der deutschen Wirtschaft pro Jahr bis zu 150.000 Fachkräfte zusätzlich zur Verfügung stünden. Da sie zunächst keine Lehrstelle fanden, begannen im vergangenen Jahr nahezu 300.000 Jugendliche eine der zahlreichen berufsvorbereitenden Übergangsmaßnahmen. Dahinter verbirgt sich so allerlei: Das geht vom Bewerbungstraining über Wiederholung von Schulstoff bis hin zu ersten praktischen Erfahrungen. "Alles prinzipiell hilfreich, aber für viele Jugendliche bedeuten diese Maßnahmen nichts als verlorene Zeit in der Warteschleife, denn: Ein Berufsabschluss kann im heutigen Übergangsbereich nicht erworben werden", kritisiert Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, der von einem "teuren Maßnahmendschungel" spricht. Dieser Übergangsbereich verursacht jährlich Kosten von etwa 4,3 Milliarden Euro. Dennoch bleiben jedes Jahr 150.000 Jugendliche dauerhaft ohne Berufsabschluss und haben als Ungelernte geringe Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Die Bertelsmann Stiftung benennt als Reformziel, dass jeder Schulabgänger ohne Zeitverlust eine Berufsausbildung aufnehmen kann. Neben einer besseren Berufsorientierung in den Schulen sei ein wichtiger Hebel dafür eine staatliche Ausbildungsgarantie. "Damit wäre klar: Jeder ausbildungsfähige Jugendliche erhält einen Ausbildungsplatz – idealerweise im dualen System, denn das ist und bleibt der Königsweg", sagt Dräger. Da die Anzahl der ausbildenden Betriebe aber zurückgehe, brauche es staatlich geförderte Ausbildungsplätze für alle, die keine Lehrstelle in einem Betrieb finden. Übergangsmaßnahmen sollen nach dem Reformkonzept nur noch diejenigen beginnen, die noch nicht in der Lage sind, einen Beruf zu erlernen. Gerade diese Jugendlichen werden nach Drägers Überzeugung durch eine Ausbildungsgarantie stärker als bislang motiviert, denn es gelte dann die Zusage: Wer die Maßnahme erfolgreich bestreitet, erhält einen Ausbildungsplatz. Eine Ausbildungsgarantie bedeutet, dass der Staat denjenigen Jugendlichen, die keine Lehrstelle in einem Betrieb gefunden haben, einen betriebsnahen Ausbildungsplatz zusichert. Eine betriebsnahe Ausbildung findet entweder in der Berufsschule oder bei einem Bildungsträger statt, enthält regelmäßige Praktika in Betrieben und schließt ebenfalls mit der Kammerprüfung ab. Zum Nulltarif wäre eine solche Reform nicht zu haben, wie Klemm in seiner neuen Studie errechnet: zusätzlich zu den Kosten des heutigen Übergangsbereichs entstehen Ausgaben in Höhe von jährlich 1,5 Milliarden Euro. Bildungsökonom Klemm errechnet in seiner Studie, dass der Staat für jeden, der erst aufgrund der Ausbildungsgarantie eine Ausbildung erhält, etwa 11.000 Euro zusätzlich aufwenden muss. Dem gegenüber stehen 22.000 Euro, die der Staat gewinnt: durch höhere Einnahmen wie Lohnsteuern und Beiträge zur Arbeitslosenversicherung ebenso wie durch sinkende Ausgaben für Arbeitslosengeld sowie Sozialleistungen. Die Erträge einer Ausbildungsgarantie sind für die Gesellschaft insgesamt und für jeden Einzelnen noch weit höher. Denn der Abbau des Fachkräftemangels steigert gleichzeitig das Wirtschaftswachstum, die individuellen Einkommenserwartungen und die Möglichkeiten zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Klemm weist in seiner Studie darauf hin, dass eine Bildungskarriere von der Grundschule bis zum Abschluss einer öffentlich geförderten Ausbildung 85.000 Euro kostet. Von einer solchen Ausbildung profitieren vor allem benachteiligte Jugendliche. Das ist noch deutlich günstiger als die 120.000 Euro, die für eine Bildungskarriere bis zum Universitätsabschluss anfallen. Eine Ausbildungsgarantie ist somit nicht nur ein rentables Instrument zur Sicherung des Fachkräftebedarfs, sondern auch ein wichtiger Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit. "Das deutsche duale System gehört zu den besten Ausbildungssystemen der Welt, aber Bildungsverlierer haben davon wenig, weil sie kaum den Einstieg finden", sagt Dräger. "Diesen jungen Menschen müssen wir bessere Perspektiven geben. Das liegt auch im Interesse der Gesellschaft insgesamt." Mit der Bundesagentur für Arbeit und den Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Schleswig-Holstein arbeitet die Bertelsmann Stiftung seit drei Jahren in der Initiative "Übergänge mit System" zusammen. Das Reformkonzept der Initiative befindet sich in der Umsetzungsphase. So erfahren in Nordrhein-Westfalen alle Schüler ab Klasse 8 künftig eine standardisierte Berufs- und Studienorientierung. Berufsvorbereitende Angebote werden neu strukturiert. In Ergänzung zum dualen System gibt es bedarfsgerecht vollzeitschulische Ausbildungsplätze mit Praktika und Kammerabschluss. Mit der Berufsqualifizierung im Hamburger Ausbildungsmodell erhalten ausbildungsreife Jugendliche ohne Lehrstelle die Garantie zum Übergang in eine betriebliche oder staatlich geförderte Ausbildung und müssen keine Warteschleifen mehr drehen.Quelle: Pressemitteilung der Bertelsmann Stiftung vom 20.09.2012
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