"Vergaberecht für Kita-Bau lockern, mehr Fachkräfte gewinnen – Rechtsanspruch ist trotz großer Anstrengungen nicht überall zu erfüllen"

Deutscher Städtetag schlägt Maßnahmenbündel zur Kinderbetreuung vor

Die Städte wollen in den kommenden Monaten den Ausbau der Kinderbetreuung mit ganzer Kraft weiter vorantreiben, um möglichst viele zusätzliche Plätze in Kindertagesstätten und der Tagespflege zu schaffen. Der Deutsche Städtetag erwartet dennoch, dass der Rechtsanspruch auf Betreuung für Kinder unter drei Jahren ab dem 1. August 2013 nicht überall voll erfüllt werden kann. Vor diesem Hintergrund schlagen die Städte ein Maßnahmenbündel vor – vor allem eine befristete Lockerung des Vergaberechts für den Bau von Kitas und eine Offensive, um kurzfristig mehr Fachkräfte zu gewinnen. Der Spitzenverband der Städte fordert Bund und Länder als Urheber des Rechtsanspruchs auf, weitere Lösungen für eine Übergangszeit bis zur vollen Deckung des Betreuungsbedarfs zu suchen. Vor wenigen Tagen hatte das Statistische Bundesamt die Zahl der bundesweit noch fehlenden Betreuungsplätze auf 220.000 beziffert. Der Präsident des Deutschen Städtetages, der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, sagte heute nach Sitzungen von Präsidium und Hauptausschuss in der Landeshauptstadt Saarbrücken: "Die Kommunen haben in den vergangenen Jahren riesige Fortschritte beim Ausbau der Betreuung für Kinder unter drei Jahren erreicht. Seit 2006 hat sich die Zahl der betreuten Kinder in Kindertagesstätten und der Tagespflege fast verdoppelt und ist um mehr als 270.000 gestiegen. Tatsache ist aber auch, dass mit der von Bund und Ländern zugrunde gelegten durchschnittlichen Versorgungsquote von 35 Prozent der unter Dreijährigen der Rechtsanspruch gar nicht überall erfüllt werden kann – auch nicht mit den inzwischen angenommenen 39 Prozent. Vor allem in einer Reihe von großen Städten suchen viel mehr Eltern Betreuung für ihre Kinder, der Bedarf liegt hier häufig zwischen 40 und 50 Prozent, zum Teil sogar über 60 Prozent. Darauf weist der Deutsche Städtetag seit langem beharrlich hin." Inzwischen stehe fest: Der Rechtsanspruch könne trotz immenser Fortschritte und weiter bevorstehender Anstrengungen in einem Teil der Großstädte objektiv nicht in vollem Umfang sichergestellt werden – weil dort der Bedarf so hoch ist, weil Finanzmittel in den vergangenen Jahren vor allem von den Ländern nicht rasch genug flossen, weil zu wenig Fachkräfte ausgebildet wurden und weil vor Ort inzwischen Grundstücke für Kita-Neubauten fehlen. "Die Städte werden den Ausbau weiterhin intensiv fortsetzen. Sie haben konkrete Vorschläge und Forderungen, um den Ausbau in nächster Zeit zu erleichtern. Sie erwarten aber auch, dass Bund und Länder gemeinsam mit den Kommunen Lösungen für eine Übergangszeit suchen, bis der volle Bedarf gedeckt werden kann", so Ude. Die öffentlichen Ausgaben für die Kinderbetreuung haben sich in den vergangenen Jahren um mehrere Milliarden Euro erhöht. Trotz der großen Fortschritte beim Ausbau der Betreuung rechnen beispielsweise folgende Städte damit, dass sie den Rechtsanspruch am 1. August 2013 nicht vollständig erfüllen können: Bonn, Essen, Frankfurt am Main, Göttingen, Karlsruhe, Kiel, Lübeck, Münster, Oldenburg, Osnabrück, Stuttgart. Sämtliche dieser Städte werden die bestehende hohe Nachfrage nach Plätzen im Sommer 2013 voraussichtlich nicht vollständig abdecken können, obwohl sie bereits Enormes für den Ausbau geleistet haben: Die Versorgungsquote in diesen Städten liegt aktuell bereits bei mindestens 30 Prozent, wird sich in allen Städten in den nächsten Monaten noch weiter erhöhen und fast überall die ursprünglich vom Bund genannte Versorgungsquote von 35 Prozent übertreffen. "Der Deutsche Städtetag sieht Bund und Länder in der Mitverantwortung, wenn es mit Inkrafttreten des Rechtsanspruchs zu Klagen gegen die Kommunen kommen sollte. Dann wird es notwendig werden, dass diese Mitverantwortung auch beim Ausgleich möglicher Schadenersatzforderungen zum Ausdruck kommt", sagte Präsident Ude. Nach Inkrafttreten des Rechtsanspruchs werde der Ausbau der Betreuung weiterhin auf der Tagesordnung bleiben, zumal der Betreuungsbedarf seit dem Gesetzesbeschluss 2007 weiter wachse. Für den Ausbau werde dann auch über 2013 hinaus finanzielle Unterstützung durch Bund und Länder benötigt.

Kommunen müssen unbürokratischer agieren können

Der stellvertretende Städtetagspräsident, Oberbürgermeister Helmut Himmelsbach aus Heilbronn, betonte: "Bis zum Sommer 2013 bleibt nicht viel Zeit. Die Kommunen müssen deshalb unbürokratischer agieren können, um für möglichst viele Eltern mit unter dreijährigen Kindern möglichst schnell weitere Betreuungsangebote oder konkrete Hilfen anbieten zu können. Die Städte selbst haben bereits aktiv damit begonnen, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um zusätzliche Plätze bereitzustellen, zum Beispiel, indem sie Plätze teilen, Betriebs-Kitas fördern und die Tagespflege ausweiten." Aus Sicht der Städte sind auch Bund und Länder gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Der Deutsche Städtetag hat vor allem folgende Vorschläge, um kurzfristig bürokratische Hindernisse beim Ausbau der Betreuung abzubauen:
  • Um den Bau von Kindertagesstätten zu beschleunigen, sollte das Vergaberecht in diesem Bereich übergangsweise gelockert werden, ähnlich wie dies bei den Konjunkturpaketen bereits der Fall war.
  • In den Ländern sollten Standards für Kitas überprüft und möglichst so flexibel angewendet werden, dass der Ausbau der Betreuung gefördert wird. Flexible Lösungen müssen dabei immer auch mit dem Kindeswohl und der Sicherheit zu vereinbaren sein. Beispielsweise sollten für Kinder unter drei Jahren keine zu großen Außenflächen für Kindertagesstätten verlangt werden, da dies in Innenstädten oft ein Problem darstellt. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel ist in dieser Frage der Standard in pädagogisch verantwortbarer Weise flexibilisiert worden.
  • Die Verfahren zur Zertifizierung der Fachschulen für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern sind zu bürokratisch. Sie sollten bei öffentlichen Schulen entfallen oder zumindest deutlich vereinfacht werden.
  • Die Städte begrüßen, dass Bund und Länder die bis August 2013 befristete Ausnahmeregelung, die Tagesmüttern und -vätern eine kostenlose Krankenversicherung über die Familienversicherung erlaubt, verlängern wollen. Damit wird ein Hindernis für den Ausbau der Tagespflege beseitigt.

Kurzfristig mehr Fachkräfte gewinnen

Die Städte bauen mit Hochdruck Kindertageseinrichtungen, sie haben aber kaum Einfluss auf die Steigerung des Fachkräftepotentials bei Erzieherinnen und Erziehern und in der Kindertagespflege. Hier sieht der Deutsche Städtetag die Länder stärker in der Pflicht:
  • Die Länder sollten ausländische Berufsabschlüsse von Erziehern/-innen leichter anerkennen und dafür Qualifizierungsangebote anbieten.
  • Der berufliche Quereinstieg muss erleichtert und gefördert werden.
  • Die Qualifizierung von Tagespflegepersonen sollten die Länder als Kernaufgabe begreifen und finanziell fördern.
"Bund und Länder haben mit dem Rechtsanspruch sehr hohe Erwartungen geweckt, gleichzeitig aber den zeitlichen Rahmen extrem knapp bemessen und bürokratische Hindernisse noch nicht ausgeräumt. Jetzt brauchen die Städte Lösungen, die den qualitativen Anforderungen an Bildung, Betreuung und Versorgung der unter dreijährigen Kinder gerecht werden, gleichzeitig aber einen zügigen Ausbau ermöglichen", sagte der stellvertretende Städtetagspräsident Helmut Himmelsbach.

Quelle: Pressemitteilung des Deutschen Städtetages vom 14.11.2012
www.staedtetag.de