Wo der Spaß aufhört …

Cybermobbing nur ein Ausschnitt von Online-Konflikten, die Jugendliche erleben - Zweite Teilstudie der 5. Konvergenzstudie "Das Internet als Rezeptions- und Präsentationsplattform Jugendlicher"

Wie Jugendliche mit zwischenmenschlichen Konflikten in Online-Communitys wie Facebook umgehen, zeigt eine neue, durch das JFF – Institut für Medienpädagogik durchgeführte Studie „Wo der Spaß aufhört ... Jugendliche und ihre Perspektive auf Konflikte in Sozialen Netzwerkdiensten“. Im
Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) befragte das JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis Jugendliche selbst und gelangte zu interessanten und auch überraschenden Ergebnissen. Zum Safer Internet Day am 07.02.2012 wurde die Studie in der BLM der Öffentlichkeit präsentiert. Den Kern der Ergebnisse fasst Dr. Ulrike Wagner, Direktorin des JFF, folgendermaßen zusammen: „Mit Cybermobbing wird häufig nur ein Ausschnitt der Konflikte betrachtet, die Jugendliche online erfahren. Zudem bleibt verborgen, dass Jugendliche durchaus auch Konflikte lösen.“ Entsprechend müsste das ganze Spektrum an Online-Konflikten thematisiert werden, um Jugendliche in Konfliktsituationen zu unterstützen und insbesondere Cybermobbing vorzubeugen. Der Präsident der BLM, Siegfried Schneider, betonte die Relevanz der Studie für die medienpädagogische Arbeit: „Da soziale Netzwerkdienste für Jugendliche eine große Rolle spielen, ist es naheliegend, dass sie dort auch Konflikte austragen. Uns interessiert besonders, wie diese Online-Konflikte strukturiert sind und welche Empfehlungen sich aus diesen Erkenntnissen für Eltern, Lehrer und medienpädagogische Projekte ableiten lassen.“ Jugendliche haben einen sehr differenzierten Blick auf Online-Konflikte. Die Bandbreite von Konflikten ist aus ihrer Sicht viel größer als Formen des Cybermobbings. Sie unterscheiden zwischen ‚Spaß-Streits‘, Meinungsverschiedenheiten, Streitereien und Mobbing. Dahinter liegt ein komplexes System aus Regeln, wie man bei welchem Konflikt reagieren kann. Wer diese Konfliktformen und Regeln nicht kennt, kann auch keine Hilfe geben. Für die meisten Erwachsenen trifft dies aus Sicht der Jugendlichen zu. Aber auch Jugendliche sind immer wieder überfordert.

Konflikte entstehen vor allem mit den ‚Freundesfreunden‘

Konflikte in Sozialen Netzwerkdiensten werden meist für andere sichtbar. Alle „Freunde“ auf der Plattform können mitlesen. Am häufigsten erleben die Befragten der Studie Konflikte dabei mit den Freunden von Freunden. Mit diesen ‚Freundesfreunden‘ würden die Jugendlichen offline – also im direkten Austausch – nicht unbedingt kommunizieren. In Online-Communitys ist dies aber durchaus üblich. Gerade mit den Freundesfreunden entsteht zum
Beispiel aus einem ‚Spaß-Streit‘ besonders schnell ein echter Konflikt, da man sich nicht so gut kennt. Missverständnisse sind eine häufige Ursache für Konflikte in Online-Communitys.

Jugendliche sehen sich und andere nicht als Opfer und Täter

Jugendliche akzeptieren Zuschreibungen wie ‚Täter‘ und ‚Opfer‘ nur in stark eskalierten Konflikten. Dagegen formulieren sie den Anspruch an sich und andere, Konflikte selbstbestimmt zu lösen. Deshalb wirkt es von außen betrachtet teilweise so, als ob Jugendliche miterlebte Konflikte zwischen anderen Personen ignorieren. Aus ihrer Sicht respektieren sie dagegen die Souveränität der Konfliktparteien. Darin ist durchaus eine Orientierung an
gesellschaftlichen Werten wie Selbständigkeit und Durchsetzungsfähigkeit zu erkennen. Doch mitunter sind Jugendliche damit auch überfordert. Und auch den Jugendlichen fällt schwer, Konfliktsituationen einzuschätzen und damit auch zu erkennen, wann es notwendig wäre einzuschreiten. Selbst in einen Konflikt verwickelt, erscheint ihnen mitunter das ‚Ignorieren einer Beleidigung‘ als einziger Weg. Dies kann ein ‚Aushalten der Anfeindung‘ aber auch ein
souveränes ‚Über der Anfeindung stehen‘ bedeuten. Von außen ist das nicht eindeutig zu bewerten.

Unterstützung suchen und erhalten die Jugendlichen unter sich

Konflikte in Online-Communitys können Jugendliche vor Probleme stellen, mit denen sie nur schwer zurechtkommen. Insbesondere wenn sie auf sich alleine gestellt sind. Dass sich Freunde gegenseitig helfen, wenn sie gefragt werden, ist gängige Alltagspraxis. Erwachsene werden dagegen nur dann hinzugezogen, wenn die Jugendlichen ihnen vertrauen und wenn sie glauben, dass die Erwachsenen die komplexen Mechanismen und Regeln von Online-
Konflikten ebenfalls verstehen. Informationsseiten im Internet stehen die Befragten insgesamt skeptisch gegenüber. Die Meldefunktion von Online-Plattformen erscheint für sie nur relevant, wenn sie Spam oder anderweitig Unerwünschtes von Fremden erhalten. Die Studie „Wo der Spaß aufhört ... Jugendliche und ihre Perspektive auf Konflikte in Sozialen Netzwerkdiensten“ formuliert auf den Ergebnissen aufbauend Leitlinien für die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen:

  • Wo der Spaß aufhört, erschließt sich erst dann, wenn man einen differenzierten Blick auf die verschiedenartigen Konfliktformen wirft. Nur wer die Perspektive der Jugendlichen aufgreift, kann beurteilen, wo Jugendliche Unterstützung benötigen. Unverzichtbar ist, die unterschiedlichen Konfliktformen in ihrer Bandbreite mit Jugendlichen zu thematisieren und mit ihnen gemeinsam Handlungsmöglichkeiten zu diskutieren.
  • Wo der Spaß aufhört, liegt nicht allein im Ermessen der Streitenden. Auch gesellschaftlich geprägte Werteorientierungen spielen eine entscheidende Rolle im Aushandeln von Online-Konflikten. Das Spannungsverhältnis zwischen Erfahrungen aus der eigenen Lebenswelt und gesellschaftlich akzeptierten Normen und Werten (z.B. Selbstbestimmung und solidarisches Helfen) muss in der pädagogischen Praxis gemeinsam mit den Jugendlichen aufgegriffen werden.
  • Wo der Spaß aufhört, gibt es Klärungsbedarf. Nicht Konflikte an sich, sondern eskalierendes Konflikthandeln sollten in der pädagogischen Arbeit abgelehnt werden. In der Arbeit mit Jugendlichen gilt es, konstruktive Wege zum Handeln in Online-Konflikten zu erarbeiten und zu diskutieren. Zudem gilt zu klären, wie und wann andere in Online-Konflikten unterstützt werden können und sollten.

Eckdaten zur zweiten Teilstudie

Wagner, Ulrike; Brüggen, Niels; Gerlicher, Peter; Schemmerling, Mareike (2012): Wo der Spaß aufhört ... Jugendliche und ihre Perspektive auf Konflikte in Sozialen Netzwerkdiensten. Zweite Teilstudie im Projekt „Das Internet als Rezeptions- und Präsentationsplattform für Jugendliche“ im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM). München: JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Finanzierung: Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) im Rahmen der fünften  Konvergenzstudie „Das Internet als Rezeptions- und Präsentationsplattform für Jugendliche“ (Gesamtlaufzeit 2009 – 2012) Anlage der Teilstudie:

  • Befragung mit qualitativen Gruppenerhebungsverfahren
  • 61 Jugendliche im Alter von 13 bis 16 Jahren, davon 30 Jugendliche mit formal niedrigerem Bildungsniveau (Hauptschule) und 31 Jugendliche mit formal höherem Bildungsniveau (Realschule, Gymnasium)
  • Durchführung der Erhebungen im Sommer 2011 an Münchner Schulen

Der Ergebnisbericht zur Teilstudie ist online verfügbar unter www.jff.de/studie_onlinekonflikte und unter www.blm.de.


Quelle: Pressemitteilung des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis vom 07.02.2012