Neue Zahlen zur Kinderarmut: Corona-Krise verschlimmert Situation
Die Bertelsmann-Stiftung hat neue Zahlen zur Kinderarmut veröffentlicht. Im Osten hat sich die Lage etwas verbessert, doch zeigen sich insgesamt große regionale Unterschiede. Besorgniserregend sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie: Die Ungleichheit zeigt sich in der Krise sehr deutlich.
Die positivste Nachricht vorneweg: In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Kinderarmut in Ostdeutschland verringert. Waren dort 2014 noch 22,1% aller Kinder auf Grundsicherungsleistungen angewiesen, lag dieser Wert 2019 'nur' noch bei 16,9%. Die positive wirtschaftliche Entwicklung vor Beginn der Corona-Krise hat sich im Osten somit positiv ausgewirkt - im Westen hat sich dieser Wert nur unwesentlich verändert und liegt bei 13%. Die nackten Zahlen sind allerdings nur bedingt aussagekräftig, denn relative Armut ergibt sich immer aus dem Verhältnis zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Teilhabechancen sind aus diesem Grund immer vor dem Hintergrund der allgemeinen Ungleichheitsverhältnisse anzusehen. Für die aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung wurden Zahlen des repräsentativen Panels Arbeitsmarkt und Soziale Sicherung (PASS) zugrunde gelegt.
Gleichheit der Lebensverhältnisse?
Ungleichheiten zeigen sich, wie auch schon in vorangegangenen Studien, seht stark bei der Frage, wo Menschen leben. So gibt es auf der einen Seite Städte, in denen 4 von 10 Kindern von Hartz IV abhängig sind, während auf der anderen Seite reiche Landkreise eine Quote von 2% aufweisen. Setzt sich diese Spreizung weiter fort, kann das, was grundgesetzlich als Gleichheit der Lebensverhältnisse angestrebt wird, mehr als erreicht gelten. Da für Kinder und Jugendliche vor allem das direkte private Umfeld besonders prägend ist, ist diese erneut zu Tage getretene Differenz alarmierend.
Die Corona-Krise legt nun plötzlich und sehr drastisch offen, was ganz konkret passiert, wenn die Schere zwischen arm und reich soweit auseinanderklafft. Während die einen die Laptops und Tablets ihrer Eltern nutzen können oder schon längst über eigene Geräte verfügen, müssen Kinder armer Eltern auf 'Almosen' von Fördervereinen oder anderen mildtätigen Organisationen hoffen. Vielerorts ist bis heute unklar, wie diesem Problem im neuen Schuljahr begegnet werden soll, falls es zu erneuten Schulschließungen kommt und Unterricht nur per 'Homeschooling' stattfinden kann: 13% der Kinder und Jugendlichen verfügen nicht einmal über einen ruhigen Ort, an dem sie ungestört lernen oder am Home-Unterricht teilnehmen können.
Hilgers: Arme Kinder drohen Anschluss zu verlieren
Die Fachverbände sehen sich in dem bestätigt, was sie seit langer Zeit monieren. Für die aktuelle Situation fordern sie eine Direkthilfe für arme Familien, um die digitale Ausstattung verbessern. Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes sagt hierzu: "Die Corona-Krise verschärft die soziale Bildungskrise massiv. Die armen Kinder drohen den Anschluss zu verlieren." Erforderlich sei daher dringend eine Neuberechnung des kindlichen Existenzminimums. Doch genau diese Idee verfolgt die Bundesregierung aktuell nicht. So spielt die aktuelle Lage in den derzeitigen Überlegungen zur Neuregelung der Regelsätze keine Rolle. „Ausgerechnet in der Corona-Krise verpasst die Bundesregierung die Chance, endlich grundlegende Veränderungen bei der Ermittlung der Regelbedarfe vorzunehmen. Leider macht sie das Gegenteil und rechnet die Regelsätze weiter klein“, beklagt Hilgers. Auch der Paritätische Gesamtverband äußerte sich sehr kritisch über die Berechnungsverfahren des Bundesarbeitsministeriums.
Für Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, zeigen die aktuellen Zahlen, dass eine generelle Reform der Kindergrundsicherung erforderlich ist. Hierzu gebe es schon seit geraumer Zeit konkrete Berechnungsmodelle, die aktuell jedoch nicht von der Bundesregierung aufgregriffen werden. Aus diesem Grund möchte die Bertelsmann-Stiftung mit der Kampagne #StopptKinderarmut auf die Lage aufmerksam machen und zu einer grundlegenden Reform verhelfen.