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Studie zur Sexarbeit in Corona-Pandemie: Mehr als die Hälfte der Sexarbeiter:innen entwickelte Angststörungen und Depressionen

Sexarbeiter:innen in Deutschland leiden gesundheitlich während der Corona-Pandemie besonders. Durch die sozialen und finanziellen Einschränkungen aufgrund des Berufsverbots entwickelten viele von ihnen Angststörungen und Depressionen. Das zeigt eine Studie der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho). Die Politik müsse Sexarbeiter:innen stärker unterstützen, um dem hohen psychosozialen Unterstützungsbedarf gerecht zu werden, fordern die Expert:innen.

Viele der Teilnehmer:innen der katho-Studie „Psychische Gesundheit von Sexarbeiter:innen in der Covid-19-Pandemie (GESA)“ klagen wegen der finanziellen Notlage über Arbeitslosigkeit, Schulden und Umzüge in kleinere Wohnungen. Durch das lange Verbot der Prostitution mussten sich viele Sexarbeiter:innen berufliche Alternativen suchen: Sie arbeiten nun online oder nahmen eine andere Erwerbstätigkeit auf. Für Daniel Deimel, Professor für Klinische Sozialarbeit an der katho am Standort Aachen, ist diese existenzielle Unsicherheit der Grund für negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Betroffenen, die an Angststörungen und Depressionen leiden: „Einige Studienteilnehmer:innen berichten von großen Belastungen, hervorgerufen durch wegfallende soziale Kontakte, Einsamkeit sowie finanzielle Schwierigkeiten während der Covid-19-Pandemie.“ Deimel leitete die online-basierte Studie, die auf Initiative einiger Studierenden des Studiengangs Soziale Arbeit am katho-Standort Aachen und mit Unterstützung durch den Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V. (BesD), durch den ira e.V. und der Aidshilfe NRW entstand.

Die Studienergebnisse zur psychischen Gesundheit der Sexarbeiter:innen in der Corona-Pandemie sind im Vergleich zum Durchschnitt der Bundesbürger auffällig: 52 Prozent der befragten 50 Sexarbeiter:innen gaben an, eine generalisierte Angststörung entwickelt zu haben (bundesweit: fünf Prozent), 40 Prozent erkrankten an einer mittelgradigen Depression (bundesweit: acht Prozent), 20 Prozent an mittelgradigen somatischen Beschwerden (bundesweit: neun Prozent) und 16 Prozent haben ein erhöhtes Suizidrisiko (bundesweit: sechs Prozent).

Besonders stigmatisierend erlebten die Sexarbeiter:innen die fehlende staatliche Unterstützung und den Wegfall gesellschaftlicher Teilhabe in der Pandemie. „Keine andere Berufsgruppe war so stark einer Ausgrenzung ausgesetzt und hat solch große finanzielle Einschränkungen erlebt wie die Sexarbeiter:innen“, fasst Anna Mühlen, Sozialarbeiterin und Mitinitiatorin der GESA-Studie, zusammen. So gab jede:r Vierte an, aufgrund der Pandemie Schulden gemacht zu haben. Knapp die Hälfte aller Befragten (44 Prozent) erwirtschaftet ihre finanzielle Lebensgrundlage aus einer Zweittätigkeit. Jede:r Dritte lebte von Ersparnissen, und gut 20 Prozent waren auf finanzielle Hilfe durch Angehörige oder Freunde angewiesen. Zudem bezogen 58 Prozent aller Befragten zusätzlich staatliche Transferleitungen wie Arbeitslosengeld II oder Krankengeld.

„Die Politik muss Sexarbeiter:innen stärker in den Fokus rücken und diese – wie andere Berufsgruppen auch – unterstützen“, fordert Deimel, „dazu gehören spezifische Angebote durch psychosoziale Beratungsstellen und Soziale Arbeit, um dem hohen psychosozialen Unterstützungsbedarf gerecht zu werden.“ Viele Sexarbeiter:innen haben den Eindruck, in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft zu leben. So gab eine Studienteilnehmerin an: „Die einen sind es wert, Hilfe zu erfahren, die anderen nicht. Die einen sind es wert, den schnellen Rückgang der Berufsverbote zu erfahren, andere nicht. Diese ewige Stigmatisierung ist menschenunwürdig, und das Grundgesetz gilt für alle Menschen, nicht nur für bestimmte Berufsgruppen.“ Die Sozialarbeiterin und Master-Studierende Janette Rudy, die auch an der Studie mitgearbeitet hat, ergänzt: „Viele Sexarbeiter:innen beschrieben die Einschränkungen als sehr belastend, auch weil es nur schleppend mit den Unterstützungen vorangeht. Viele sind mit ihren Nerven am Ende, viele verfallen dem Alkohol und enden in einer Depression – das sind Erfahrungen, denen wir als Sozialarbeiter:innen mit konkreten Unterstützungsangeboten entgegenwirken könnten.“


Quelle: Pressemitteilung der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen vom 22.06.2021