Zwei Jahre clean
„Wir sind jetzt zwei Jahre clean", sagt Frau S. und meint damit, dass es seit zwei Jahren nicht mehr zu Vorfällen häuslicher Gewalt gekommen ist. Warum sie einen Begriff aus dem Drogenkontext benutzt, das weiß sie nicht. Drogen oder Alkohol waren nie Thema, weder bei ihr noch bei ihrem Mann. „Ich glaube mein Vater hatte ein kleines Alkoholproblem" sagt sie „aber meine Mutter spricht nicht darüber".
Die SPFH für Familie S ist zwar beendet aber die Kinder oder Frau S und einmal die ganze Familie kam zu den offenen Angeboten, die in diesem Jahr - mit Einschränkungen - wieder stattfinden durften. Der nächste Müttertreff ist am 26. November, zwei Tage vor dem Tag gegen Gewalt gegen Frauen. Ich habe das Thema häusliche Gewalt als Gesprächsthema vorgeschlagen und Frau S gefragt, ob sie etwas über ihre Erfahrung erzählen mag. Sie war sofort einverstanden und wir verabredeten ein Vorbereitungstreffen. Das kann ich zwar nicht abrechnen, weil die Hilfe ja beendet ist, aber es ist mir eine Herzensangelegenheit das Thema aus der Tabuzone zu holen.
Außerdem läuft gerade die Kampagne der Kinderschutzzentren: „wenn meine Eltern sich schlagen, treffen sie mich". Zur Partnerschaftsgewalt und ihre Auswirkungen auf Kinder gibt es Infos für Fachkräfte, Infos für Eltern und im podcast „#hört auf" berichtet eine Frauenhausmitarbeiterin darüber was ihr die Kinder erzählen. Frau S sagt:„ich dachte ja auch, dass die Kinder nichts mitkriegen. Wobei, wenn ich ehrlich bin, habe ich es mir eingeredet. Eigentlich war es ein Glück, dass damals die Kinder zuhause waren, als die Polizei kam. Denn so wurde das Jugendamt informiert und wir haben die Familienhilfe bekommen. Ich habe mich so geschämt, als Sie die ersten Male zu uns kamen, aber dann war ich erleichtert".
Frau S hat sich verändert. Sie wirkt fröhlicher und die Kinder haben erzählt, dass die Mama sogar wieder singt. Familie S ist besonders. Ja, ich weiß, das sage ich bei jeder Familie und es stimmt auch. Jede Familie ist besonders und die Arbeit ist nie genau gleich. Familie S ist deshalb besonders, weil sich Herr S ganz ernsthaft mit seiner Gewaltproblematik auseinandersetzt. Das sollte normal sein aber in den Familienhilfen habe ich das so noch nicht erlebt. Die meisten Väter gehen nicht mal zur Beratung gegen Männergewalt. Herr S schon, und dann hat er sogar eine Therapie angefangen.
Pädagogischen Bedarf gab es kaum und die SPFH konnte nach relativ kurzer Zeit schon wieder beendet werden. So ist das immer, wenn die Probleme gelöst sind, dürfen wir gehen. Deshalb freue ich mich ja so, wenn die Ehemaligen immer wieder mal reinschauen und ich würde gern viel öfter mit den Familien und den Ehemaligen gemeinsame Veranstaltungen ausrichten und ich möchte, dass die Erfolgsgeschichten aus der SPFH geteilt werden. Vielleicht habe ich ja doch den falschen Job, denn hier ist das nicht möglich, es sei denn ich mache es „ehrenamtlich". Das kann ich mir aber nicht leisten. Die Lebenshaltungskosten steigen auch bei mir – im Gegensatz zu meinem Gehalt. Da muss ich immer wieder verhandeln und das nervt.
Frau S findet übrigens den Begriff Partnerschaftsgewalt besser als die Bezeichnung häusliche Gewalt, weil es um Gewalt zwischen Erwachsenen geht und nicht um Gewalt in der Wohnung. Wenn ich die Situation der Kinder, die diese Situation miterleben und zwischen Vater und Mutter stehen, so wie auf dem Foto, auf dem das Kind sich die Ohren zuhält „#hört auf", auch als Gewaltakt verstehe, dann ist die Partnerschaftsgewalt gleichzeitig auch Gewalt gegen Kinder. Also Familiengewalt? Ich bin schon gespannt auf die Diskussion beim Müttertreff und frage mich, was die Frauen so alles unter Gewalt verstehen. Ob sie bei Gewalt zuerst an schlagen, treten, würgen denken? Ob beleidigen, anschreien und beschimpfen auch als Gewalt verstanden wird und vor allem was unter dem Begriff Demütigung verstanden wird.
Ihre Katja Änderlich