Zwischen Revolte und Repression: Frauenbewegungen in der Türkei
In der Türkei sind die Frauenbewegungen eine tragende Kraft für den gesellschaftlichen Wandel. Eine Studie von Forscherinnen der Universität Bremen gibt nun einen Einblick.
Wie die verschiedenen Frauenbewegungen in der Türkei trotz ihrer Unterschiede zusammenarbeiten und welche gemeinsamen Ziele sie verfolgen, haben Wissenschaftlerinnen am Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Bremen seit 2014 in intensiven Feldstudien untersucht. Dafür nahmen Charlotte Binder und Aslı Polatdemir an machtvollen Veranstaltungen zum Weltfrauentag am 8. März teil und interviewten zahlreiche Aktivistinnen. „In den deutschen Medien herrscht oft ein Opferdiskurs über die muslimische türkeistämmige Migrantin vor. Ebenso fokussiert die Forschung über feministische Debatten und Bewegungen in der Türkei häufig auf die Defizite. Uns war es daher wichtig, die Aktivitäten und Debatten von Frauenbewegungen sichtbar zu machen, die gesellschaftliche Alternativen entwickeln und mitgestalten", erläutert Projektleiterin Professorin Yasemin Karakaşoğlu ihr Forschungsanliegen.
Das Team um die Erziehungswissenschaftlerin konnte vor allem eines zeigen: Die Frauenbewegungen in der Türkei funktionieren trotz bestehender Differenzen zwischen verschiedenen Gruppen über die meisten ideologischen Grenzen hinweg als starkes Bündnis, wenn es um den Kampf gegen Gewalt an Frauen geht, um Zugangsrechte zu Arbeit und Bildung. Sie ist somit ein wichtiger Akteur in der Zivilgesellschaft im Kampf um soziale Veränderung. Aber auch Grenzen eines gemeinsamen Verständnisses werden deutlich: So seien Teile der religiös-konservativen Frauenbewegung inzwischen so eng mit der Regierungspartei AKP verbunden, dass sie von vielen feministischen Aktivistinnen nicht als ihre Bündnispartnerinnen gesehen werden. Auch trennten unterschiedliche Vorstellungen von einer geschlechtergerechten Gesellschaft die Aktivistinnen der links-feministischen und religiös-konservativen Frauenbewegungen, so. die Wissenschaftlerinnen.
Kooperationpartnerinnen in der Türkei gefährdet
Karakaşoğlu ist es wichtig, mit ihrer Forschung auf einen bitteren Umstand hinzuweisen: Einige ihrer Kooperationspartnerinnen an den Universitäten Ankara und Istanbul werden inzwischen massiv an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert oder wurden sogar inhaftiert, viele der untersuchten Einrichtungen und Vereine wurden aufgelöst, ihre Mitglieder kriminalisiert. "Wer sich in der Türkei für Frauenrechte einsetzt, muss aktuell mit Unterdrückung oder Verhaftung rechnen", so Karakaşoğlu.
Dem Bremer Wissenschaftsteam war es aus Anlass des Weltfrauentages Anliegen, auf dieses Unrecht aufmerksam zu machen, die Arbeit von Aktiven im Bereich der Frauenarbeit und Geschlechterforschung bekannt zu machen und den Austausch mit ihnen auch unter schwierigen Bedingungen aufrecht zu erhalten.
Hintergrund
Das Projekt „Frauenbewegungen im innertürkischen Vergleich" wurde von der Stiftung Mercator als eines von fünf Projekten des Programms „Blickwechsel. Studien zur zeitgenössischen Türkei" gefördert. Der Ergebnisbericht ist jetzt in den vier Sprachen Deutsch, Englisch, Türkisch und Kurdisch online erschienen.
Mehr Informationen unter www.fb12.uni-bremen.de/de/interkulturelle-bildung/forschung/frauenbewegungen-im-innertuerkischen-vergleich/forschungsergebnisse.html
Quelle: Medieninformation der Universität Bremen vom 2. März 2018