14. contec Forum "Pflege und Vernetzung" positionierte sich zwischen Wagnis, Reformen und Digitalisierung
Unter dem Motto „Brandherd Pflege - Betreiber zwischen Wagnis, Reformen und digitaler Revolution" präsentierten und diskutierten Vertreter und Vertreterinnen aus der Pflegeszene auf dem 14. contec-Forum die „heißen" Themen der Branche: Unternehmerlohn und -wagnis, Personalbemessung, Neustrukturierung der Pflegeversicherung, die neue Rolle der Kommunen sowie den Megatrend Digitalisierung und was dieser für die Geschäftsmodelle der Pflege bedeutet.
Kontroversen Diskussionen und Vorträge folgten konkrete Forderungen an Politik und Branche, wie die Gesellschaft für Organisationsentwicklung berichet.
Unternehmerwagnis: Absicherung mit bundesweit einheitlichem Verhandlungskorridor entwickeln
Die Forderung nach bundeseinheitlichen Personalschlüsseln, die Verbesserung der Bezahlung der Pflegenden und die damit einhergehende Notwendigkeit der Neujustierung der Vergütung des Unternehmerrisikos führten zu steigenden Kosten in der Pflege. Um die Investitionsbereitschaft in neue Versorgungsstrukturen aufrechtzuerhalten, wurde das Unternehmerwagnis erstmalig durch eine wissenschaftliche Studie beziffert. Zwischen 4,82 und 5,64 Prozent liegen die errechneten Wagnisse, die nicht in bürokratischen Einzelverhandlungen, sondern durch bundesweite Rahmenvereinbarungen festgelegt werden sollten. Ein solcher Rahmen für einen bundesweit gültigen Verhandlungskorridor sollte mit Kassen, Kommunen und Trägern gemeinsam entwickelt werden, um späteren Detailstreitereien in den Regionen vorzubeugen.
Mehr Pflegepersonal: Statt Sofortprogrammen Entwicklung einer Gesamtstrategie
Der Personalmangel in der Pflege werde nicht durch eine Begutachtung des Ist-Standes und Mindeststandards gelöst, heißt es. Gebraucht werde eine langfristig angelegte Gesamtstrategie, um dem Personal- und Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Das aktuell laufende Gutachten zu einem bundesweit einheitlichen Personalbemessungsverfahren wurde als ein erster Schritt hin zu einer fachlich fundierten Bewertung des Personalbedarfs in der Pflege gewertet, löse aber nicht das Problem des fehlenden Personals. Die Branchenvertreter und -vertreterinnen sind aufgefordert, nicht bis 2020 zu warten, sondern einen offensiven Beitrag zur Debatte zu liefern, eigene Vorschläge zur Personalbemessung und zur Personalisierung in der Pflege zu entwickeln, um die Versorgungsoptimierung voranzutreiben. Die Branche muss sich einbringen und mitwirken, denn sie weiß, wo der Schuh drückt.
Pflegeversicherung: Zeit für eine Neustrukturierung
Die Pflegeversicherung habe vor vielen Jahren Pflegende „aus der Sozialhilfe geholt" und ihnen mehr Selbstbestimmung und Würde zurückgegeben. Durch steigende Pflegekosten und stagnierende Alterseinkommen sei diese Erfolgsstory wieder in Gefahr, weil immer mehr Pflegebedürftige Leistungen der Sozialhilfeträger in Anspruch nehmen müssen. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff wolle mehr Selbstbestimmung und Teilhabe fördern. Auch diese Leistungsentwicklung führe in mehr Abhängigkeit von der Sozialhilfe.
Experten forderten, dass sich nach knapp 25 Jahren die Pflegeversicherung in ihren Grundstrukturen neu ausrichten solle. Die derzeit gültige Teilkaskostruktur gerate bei dem Risiko der Pflegebedürftigkeit an Grenzen. Ein Sockel-Spitze-Tausch, der den Versicherten einen pauschalen, gesetzlich festgelegten Eigenanteil ermöglicht und alles darüber hinaus die Pflegekassen finanzieren lässt, sei dringend geboten. Pflegebedürftigkeit dürfe nicht wieder für viele Menschen der Weg in die Altersarmut sein.
Das Forum thematisierte auch die Frage: Warum müssen Pflegebedürftige den steigenden Ausbildungsbedarf in der Pflege zahlen, während im Krankenhaus die Krankenversicherungen die Ausbildungskosten finanzieren? Dies hatte bereits ein Initiative zur Pflegeversicherung des Kuratoriums Deutsche Altershilfe seinerzeit thematisiert. Mit der Initiative pro Pflegereform als ein Zusammenschluss aus Branchenvertretererinnen und -vertretern werde ein neuer Wurf aufgelegt.
Fachkräfte im Wettbewerb: Mehr Selbstbewusstsein für die Pflege
Mann müsse sich beim allgegenwärtigen Thema des Fachkräftemangels bewusst sein: Pflege konkurriert nicht nur mit den Mitbewerbern der Branche um Fachkräfte, sondern auch im branchenübergreifenden Wettbewerb. Handwerk, Medizin und andere Wirtschaftssektoren ringen genauso um Nachwuchs.
Trotz aller belastenden Probleme, die Pflege habe viel zu bieten: Qualität, Leistung, Engagement, Kreativität sowie innovative Versorgungsleistungen sollten die Branche ermutigen, ihre Interessen selbstbewusst, stolz und konsequent zu vertreten: Gerade jetzt!
Pflegethema: Sozialpolitische Grenzen überwinden
Um die gegenwärtig brennenden Themen der Pflegebranche zu bearbeiten, brauche es mehr als das Wohlwollen der Sozialpolitiker und -politikerinnen. Die Politik muüsse endlich den großen Zusammenhang zwischen der Sozialpolitik, der Wirtschafts- und der Finanzpolitik anerkennen und entsprechend handeln, wird betont.
Wie groß ist beispielsweise die Belastung ökonomischer Art für Unternehmen, wenn Mitarbeitende sich krankmelden, weil sie die Pflege Zuhause nicht mehr stemmen können? Ein direkter Zusammenhang bestehe zwischen bedarfsgerechter Pflegeversorgung und ökonomischem Erfolg eines Unternehmens. Weil Pflege heute kein Minderheitenthema mehr sei, ist die Branche selbst gefragt, ihre Interessen offensiv auch dort zu vertreten, wo der Beifall nicht sicher ist, wo man mit Argumenten und Fakten überzeugen muss.
Quelle: contec-Presseinformation der contec - Gesellschaft für Organisationsentwicklung vom 31. Januar 2018