3. IBB-Netzwerkkongress: Zugewanderte besser in den Blick nehmen

 „Wir brauchen eine bundesweite Vernetzung und einen engen Austausch" lautete der Ruf auf dem dritten Netzwerkkongress Inklud:Mi, zu dem das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk (IBB) nach Dortmund eingeladen hatte. Erste Netzwerkaktivitäten für die Arbeit mit Zugewanderten mit Behinderung waren bereits aus dem Projekt [Inklud:Mi] - Inklusion von Migranten und Migrantinnen mit Behinderung oder psychischer Erkrankung, entstanden. Es war vom IBB in den Jahren 2014 und 2015 umgesetzt worden.

 „Die Arbeit mit der sehr heterogenen Gruppen der Zugewanderten mit Behinderungen oder psychischen Beeinträchtigungen erfordert eine besondere Sorgfalt, Zeit und ein differenziertes kultursensibles Hintergrundwissen", zog Hildegard Azimi-Boedecker, Leiterin des Fachbereichs Beruf international und Migration im IBB  am Ende des Kongresses Bilanz. Diese besonders schutzbedürftige Zielgruppe werde an vielen Stellen im deutschen Hilfesystem noch immer nicht mitgedacht, heißt es in einer Presseerklärung zum Kongress. Spezielle Hilfsangebote und Best-Practice-Modelle müssten unter Fachkräften und Ehrenamtlichen besser bekannt gemacht werden.

In seinem Grußwort ermutigte Michael Taranczewski, stellvertretender Vorsitzender des Integrationsrates der Stadt Dortmund, auch immer wieder politische Forderungen zu formulieren. „Als Vorsitzender des Sozialausschusses kann ich nur betonen, dass Ratsmitglieder für aktuelle Informationen dankbar sind." Dr. Susanne Schwalgin von Handicap International in Berlin berichtete über eine aktuell noch laufende Bedarfsanalyse unter Zugewanderten in Berlin, Brandenburg und Bayern.

„Was besonders alarmierend ist: Flüchtlinge mit einer Behinderung profitieren nicht von Integrationsangeboten", sagte Dr. Schwalgin. Geeignete und passende Unterstützungsangebote ließen sich häufig nur mit großem personellen Aufwand finden. „Wir können das aber nicht für jeden leisten."

Die Familientherapeutin Cornelia Kaiser-Kauczor aus Essen widmete sich besonders der Situation von Kindern und Jugendlichen mit Flucht- oder Zuwanderungsgeschichte und warb für eine kultursensible Differentialdiagnostik. „Sprachbarrieren, traumatische Fluchterfahrungen, fehlendes Vertrauen und falsche Vorinformationen über das deutsche Hilfssystem können die Kommunikation zwischen Zugewanderten und Fachkräften erschweren und zu Fehldiagnosen führen, die ganze Lebensläufe verändern", so Kaiser-Kauczor. Ihr Fazit: „Wir brauchen Strukturen, die uns die Arbeit leichter machen."

Best-Practice-Beispiele rückten in der Workshop-Arbeit am Nachmittag in den Mittelpunkt. Die Lebenshilfe in Dortmund stellte ihre neue kultursensible Beratungsstelle vor. Seit April 2017 stehen zwei Mitarbeiterinnen speziell für Fragen von Zugewanderten mit Behinderung oder psychischer Beeinträchtigung zur Verfügung. Die Diakonie Michaelshoven bietet einmal wöchentlich sogenannte Workshops für Sehbehinderte, Blinde und geistig behinderte Zugewanderte an. Ziel sei es, zunächst einmal Bedarfe zu ermitteln.

Auf die kaum beachtete Gruppe der gehörlosen Geflüchteten lenkte schließlich Christine Tschuschner, Flüchtlingsbeauftragte des Landesverbandes der Gehörlosen NRW, den Blick: „Gehörlose fühlen sich nicht als Behinderte, sondern sind stolz auf das, was sie erreicht haben", sagte sie in Gebärdensprache. In den Notunterkünften seien die gehörlosen Zugewanderten häufig lange Zeit unauffällig und daher regelrecht unsichtbar. Der Landesverband NRW betreue im Rahmen des Projekts „Deaf Refugees Welcome" zurzeit 100 gehörlose Geflüchtete. Bundesweit seien 900 gehörlose Geflüchtete bekannt.Integrationskurse für Hörende können Gehörlose jedoch nicht nutzen. Sie brauchen stattdessen spezielle Sprachkurse, wie sie die Sprachschule Heesch aus Düsseldorf an mehreren Standorten anbietet, die ihre Dienstleistung vorstellte.

„Ziel unserer Netzwerktreffen ist es, vorhandene Hilfsangebote für die unterschiedlichen Bedarfe untereinander bekannt zu machen, Lücken im Hilfenetz zu erkennen und auch neue Angebote in möglichst breiter Kooperation zu entwickeln", sagte Hildegard Azimi-Boedecker vom IBB. Genau diese Vernetzung war von den beiden Bundesbeauftragten für Behinderung bzw. Integration, Verena Bentele und Aydan Özoğuz, unlängst gefordert worden.


Quelle: Presseinformation des IBB Dortmund vom 6. Juli 2017