60 Jahre Lebenshilfe - Jubiläumsversammlung in Marburg
Morgen und übermorgen werden rund 500 Delegierte in Marburg zu einer besonderen Mitgliederversammlung zusammenkommen: Die Lebenshilfe wird 60 Jahre alt. Ein Blick auf die vergangenen Jahrzehnte zeigt, dass sich bereits sehr viel bewegt hat. Doch noch immer gibt es zahlreiche Benachteiligungen im Alltag von Menschen mit Behinderung.
„60 Jahre Lebenshilfe sind eine wahre Erfolgsgeschichte.“ Das sagt Ulla Schmidt, Vorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe, Bundestagsabgeordnete und frühere Bundesgesundheitsministerin. Als die Bundesvereinigung Lebenshilfe am 23. November 1958 in Marburg gegründet wurde, gab es in ganz Deutschland so gut wie keine Unterstützung für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung. Sie galten als bildungsunfähig. Zudem standen die Familien noch unter dem Schock der „Euthanasie“-Morde in der Nazi-Zeit. Erst der niederländische Pädagoge Tom Mutters machte den Eltern Mut, sich für ein menschenwürdiges Leben ihrer behinderten Kinder einzusetzen. Sie sollten in ihren Familien, mitten in der Gemeinde aufwachsen können und nicht in der abgeschlossen Welt einer Anstalt verwahrt werden.
Nach 1958 bildeten sich überall in Deutschland örtliche Lebenshilfe-Vereine, heute sind es mehr als 500 mit rund 125.000 Mitgliedern. Es entstanden Kindergärten und Schulen, Frühförderstellen und Familienentlastende Dienste, Wohn- und Werkstätten und vieles mehr. Als 1989 die Mauer fiel, wurden innerhalb nur eines Jahres 120 neue Lebenshilfen in Ostdeutschland gegründet, in der ehemaligen DDR waren solche Initiativen verboten.
Aktuell setzt sich die Lebenshilfe mit aller Kraft für das Wahlrecht für alle ein. Bundesvorsitzende Ulla Schmidt: „Wir haben erreicht, dass die Wahlrechtsausschlüsse von Menschen unter Vollbetreuung in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurden und abgeschafft werden sollen. Jetzt muss das Parlament zügig entscheiden.“ Wie zahlreiche Abgeordnete unterstützt die Lebenshilfe die Forderung nach einer Grundsatzdebatte im Deutschen Bundestag über die gesellschaftlichen und ethischen Folgen von vorgeburtlichen Bluttests. Die Lebenshilfe befürchtet, dass die Bluttests zur Regel-Untersuchung in der Schwangerschaft werden könnten und so Ärzte flächendeckend nach dem Down-Syndrom und anderen Chromosomen-Veränderungen fahnden.
Sorgen bereiten der Bundesvereinigung Lebenshilfe auch die fast überall rasant steigenden Miet- und Immobilienpreise. Für die Lebenshilfen vor Ort wird es immer schwieriger, bezahlbare Wohnungen für Menschen mit Behinderung zu finden oder selbst Wohnraum zu schaffen.* Ulla Schmidt: „Diese Entwicklung ist Gift für eine inklusive Gesellschaft. Hier muss der Staat wirksam gegensteuern.“
Neben der großartigen Arbeit für und mit Menschen mit Behinderung bleiben somit genügend Herausforderungen - auch und vor allem auf politischem Parkett -, um den zahlreichen Erfolgskapiteln der vergangenen 60 Jahre weitere hinzuzufügen.
Quelle: Pressemitteilung der Bundesvereinigung Lebenshilfe vom 12.11.2018