Allein erziehend bin ich nicht!
„Ich bin nicht allein erziehend“, sagt Frau Kampe. Sie lebt mit ihrer 7-jährigen Tochter Kyra in einer Wohngemeinschaft mit einer weiteren Mutter und deren 5-jährigen Sohn.
„Ich bin allein verantwortlich, aber das war ich auch schon als ich noch mit dem Vater von Kyra zusammen gewesen bin. Mein Ex war beruflich viel unterwegs und ich musste mich sowieso um alles alleine kümmern. Eigentlich war ich damals viel mehr alleinerziehend als ich es jetzt bin. Denn jetzt ist meine Mitbewohnerin ja da, und ich kann mich immer mit ihr austauschen. Nur diesen Stempel, den habe ich jetzt: Alleinerziehend. Das hört sich an, als ob etwas fehlt. In der Müttergruppe nennen sie sich Einelternfamilien. Das klingt aber auch komisch, denn jedes Kind hat ja zwei Elternteile, was wiederum auch nicht ganz stimmt, denn es gibt leibliche Eltern und soziale Eltern und zahlende Eltern und wie heißt das, wenn homosexuelle Paare Eltern werden, entsteht dann eine Mehrelternfamilie oder eine Vielelternfamilie?“
Frau Kampe redet und redet und ich höre zu.
„Mein Kind verbringt tagsüber mehr Zeit in der Schule und im Hort als zu Hause und die Lehrerinnen und die Erzieherinnen und der Hortbetreuer erziehen ja auch mit. Meine Mutter leider auch, aber das werde ich ihr noch abgewöhnen. Und Sie? Werden Sie jetzt auch mit erziehen, damit ich nicht so allein bin?“
Worum geht es hier eigentlich? Frau Kampe und ich sind in der Startphase einer sozialpädagogischen Familienhilfe. In vier Wochen soll ich ein Arbeitskonzept vorlegen, mit Zielen und mit Handlungsschritten. Ziele finde ich okay, aber die Handlungsschritte kann man doch immer nur im Prozess entwickeln. Es ist ja nicht so, wie bei einer Leiter, die man Sprosse für Sprosse hinaufsteigt, sondern eher wie eine Wanderung, bei der man nie so genau weiß, was einen hinter dem nächsten Hügel erwartet.
Ich denke: „Frau Kampe hat einen passenden Begriff für die Familienform, die sie lebt, gefunden, eine Bezeichnung, mit der sie sich identifiziert“. Ob ich das als Ziel formuliere? Und welche Handlungsschritte wären erforderlich? Ich denke, Frau Kampe würde diese Zielformulierung gefallen, aber so kreativ darf die SPFH dann wohl doch nicht umgesetzt werden.
Anlass für die SPFH waren Verhaltensauffälligkeiten von Kyra in der Schule, die im Zusammenhang mit Konflikten und Unregelmäßigkeiten bei den Umgängen zwischen Vater und Kind diskutiert wurden. Jetzt möchte Frau Kampe das alleinige Sorgerecht und der Vater möchte das gemeinsame Sorgerecht beibehalten. Und das Jugendamt möchte, dass ich die Eltern dabei unterstütze eine gute Lösung zu finden. Eigentlich wäre das eine Sache für die Umgangsberatung aber die SPFH kann ja alles. Und ehrlich gesagt, ich habe auch Lust auf diesen Auftrag und ich mag die Frau Kampe. Ärgerlich ist, dass ich diesen Fall allein übernehmen soll. Aber - wer weiß – wahrscheinlich komme ich bei meinem Arbeitskonzept zu dem Ergebnis, dass ein, vorzugsweise, männlicher Co gebraucht wird, weil ja auch Gespräche mit dem Vater anstehen. Das müsste ich dann nur noch etwas genauer begründen und ausformulieren.
„Wissen Sie was?“ Frau Kampe guckt mich an. „Am meisten ärgert es mich, dass ich als sogenannte Alleinerziehende ständig irgendwelchen Unterschriften des abwesenden Vaters hinterher rennen muss.“
*Die Namen sind natürlich geändert
Ihre Katja Änderlich