Auf gute Kitas folgen starke Familien
Geht es nach den Namen der sozial- und familienpolitischen Gesetze der Großen Koalition, ist Deutschland das wahre Paradies für Kinder und Familien. Wer die Praxis kennt, weiß, dass das nicht stimmt. Das „Starke-Familien-Gesetz" bringt zwar speziell für einkommensschwache Familien Verbesserungen, doch unter „starken Familien“ stellt man sich doch noch ein bisschen mehr vor.
Wer auch immer die sozialdemokratisch geführten Bundesministerien in Sachen wording berät: Sie oder er ist Expert*in auf dem Gebiet des Pygmalion-Effekts. Dieser besagt, dass Menschen, denen von Seiten einer Autorität positive Eigenschaften oder Fähigkeiten zugeschrieben werden, diese durch die Suggestion der Autorität letztlich auch erlangen. Praktisch: Eine Lehrerin, der von einer Autorität suggeriert wird, eine bestimmte Schülerin sei besonders begabt, sorgt durch besondere Zuwendung, Lob und Aufmerksamkeit dafür, dass sich die Suggestion letztlich „bewahrheitet".
Der Gesetzentwurf zum „Starke-Familien-Gesetz"
Doch zunächst zu dem, was die Bundesregierung mit ihrem „Starke-Familien-Gesetz" gestern auf den Weg gebracht hat:
- Der Kinderzuschlag wird neu gestaltet und ausgeweitet. Die Bundesregierung verspricht, dass insgesamt künftig 2 Millionen Kinder profitieren werden.
- Für Kinder, deren Eltern den Kinderzuschlag erhalten, entfällt der KiTa-Beitrag. Außerdem können für alle betroffenen Kinder Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets bezogen werden.
- Für Geringverdiener soll sich durch die finanzielle Anpassung der Anreiz zur Aufnahme einer Arbeit erhöhen. Auch soll sich die Zahl der „Aufstocker", also derjenigen, die trotz eines Arbeitsplatzes SGB II-Leistungen beziehen, reduzieren.
- Die Leistungen des Schulstarterpakets erhöhen sich von 100 € auf 150 €. Zudem wird der Anspruch auf Lernförderung auch für Kinder ausgeweitet, denen nicht unmittelbar das Sitzenbleiben droht. Nicht zuletzt entfällt für die Eltern der Eigenanteil für das Schulmittagessen und die Schüler*innenbeförderung.
- Die Änderungen beim Kinderzuschlag treten in zwei Schritten zum 1.7.2019 und 1.1.2020 in Kraft. Die erweiterten Leistungen aus dem BuT-Paket können ab dem 1.8.2019 abgerufen werden.
Reaktionen
Der Deutsche Caritasverband (DCV) sieht mehr Licht als Schatten: „Die Neugestaltung des Kinderzuschlags ist eine echte Verbesserung", erklärt DCV-Präsident Peter Neher. Auch die Änderungen hinsichtlich des BuT-Pakets sorgen bei ihm für Zufriedenheit, vor allem mit Blick auf das von der Bundesregierung angekündigte vereinfachte Verfahren: „Die geplante Vereinfachung der Antragsstellung, die zukünftig bei den meisten Leistungen keine getrennten Anträge mehr vorsieht, ist eine deutliche Entlastung für die betroffenen Familien. Ich bin froh, dass anspruchsberechtigte Kinder hierdurch zukünftig deutlich besser erreicht werden."
Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, bewertet den Gesetzentwurf weniger positiv. Für sie verfehle er gar „vollständig sein Ziel", denn die Entlastungen gingen nicht weit genug: „Durch die Veränderungen der Leistungen für Bildung und Teilhabe werden Familien mit kleinem Einkommen und auch viele Alleinerziehende nicht ausreichend entlastet. Das Existenzminimum von Kindern und damit die Höhe des Kinderzuschlags von 183 €- wie er im Referentenwurf bis 2020 festgeschrieben werden soll - wurde wieder nicht realistisch ermittelt, sondern aus Ausgabepositionen ärmster Haushalte abgeleitet."
Der Pygmalion-Effekt wird nicht eintreten
Kitas werden nicht besser, weil man ein Gesetz „Gute-Kita-Gesetz" nennt, Familien werden nicht stärker, weil man ein Gesetz „Starke-Familien-Gesetz" nennt. Einkommensschwache Familien können sich über Verbesserungen freuen, doch „stark" werden sie hierdurch nicht. Denn Stärke ist, wie so vieles im Leben, relativ. Der vorgelegte Entwurf federt lediglich ein wenig von dem ab, was die Gesellschaft in den letzten Jahren wie kaum etwas anderes gespalten hat: eine spürbar gewachsene soziale Ungleichheit. Aus dieser Perspektive sind die profitierenden Familien ab dem 1.7. etwas weniger schwach - nicht mehr und nicht weniger.