BAGüS-Forderung nach diskriminierungsfreien Zugang zur Pflegeversicherung

Die Bundesarbeitsgemeinschaft überörtlicher Sozialhilfeträger (BAGüS) macht Front gegen geltende Gesetzesregelungen, die in stationären Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe lebende Menschen mit Behinderung diskriminiere. Die Leistung der Pflegeversicherung muss sich an der Bedürftigkeit der Person orientieren, aber genau dies verhindere die aktuelle Fassung des Paragraf 43a des Sozialgesetzbuches (SGB) XI, so die BAGüS. Leben die Anspruchsberechtigten in stationären Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe, schreibe dieser die Zuwendungen pauschal auf 266 Euro pro Monat fest. Die überörtlichen Sozialhilfeträger vergleichen: Behinderte Menschen mit der Pflegstufe II beziehen, wenn sie nicht in so einer stationären Wohneinrichtung, sondern in einem Pflegeheim leben, Leistungen in Höhe von 1.330 Euro. Das ist das Fünffache des im Paragraphen 43a SGB XI festgeschriebenen Betrages und stehe im klaren Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention. Nach BAGüS-Auffassung verstößt die Regelung darüber hinaus gegen das Diskriminierungsverbot Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes.  Sie beruft sich auf ein Gutachten von Prof. Dr. Felix Welti. Der Rechtswissenschaftler kommt zu dem Schluss, dass gleich mehrere Regelungen des SGB XI und XII gegen das grundgesetzlich garantierte Benachteiligungsverbot, den allgemeinen Gleichheitssatz und das Recht auf Freizügigkeit verstoßen. Darüber hinaus sieht er das in der UN-Behindertenrechtskonvention verankerte Diskriminierungsverbot, das Recht auf unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft und das Recht auf Gesundheit verletzt. All das stehe im Widerspruch zu den politischen Absichten, behinderte Menschen so weit wie möglich gleichzustellen. Von deutschlandweit etwa 200.000 Menschen mit Behinderung in stationären Wohneinrichtungen sind derzeit laut BAGüS etwa 80.000 auch pflegebedürftig, erhalten aber nur die gedeckelte Leistung der Pflegeversicherung. Ab 1. Januar 2017 werde diese Zahl durch den neuen Pflegebegriff auf etwa 140.000 steigen.

Bundestag und Bundesrat beraten derzeit das Gesetz zur Reform der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung (Bundesteilhabegesetz - BTHG) und das Dritte Pflegestärkungsgesetz (PSG III), mit dem der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff auch in der Sozialhilfe eingeführt werden soll. Vorgesehen ist, dass beide Gesetze bis zum Jahresende 2016 verabschiedet werden. Die bisher bekannten Gesetzentwürfe sehen aber nicht nur ein Festhalten an der diskriminierenden Regelung des Paragrafen 43a SGB XI vor, schlimmer noch, so die BAGüS: Es muss eine Ausweitung des Anwendungsbereiches auf ambulante Wohngruppen für Menschen mit Behinderung befürchtet werden.

Die BAGüS, unterstützt durch die kommunalen Spitzenverbände, fordert daher den Gesetzgeber auf, die Bestimmungen so zu ändern, dass auch Menschen mit Behinderung, egal wo sie leben, einen gleichberechtigten Zugang zu den Leistungen der Pflegeversicherung haben. Der Gesetzgeber sollte die laufenden Gesetzgebungsverfahren nutzen, um die seit Jahrzehnten bestehende Benachteiligung pflegebedürftiger Menschen mit Behinderungen endlich aufzuheben.


Quelle: BAGüS-Pressemitteilung vom 20. September 2016