Beschwer(d)en willkommen?

von Kerstin Landua
06.06.2013 | Kinder-/Jugendhilfe | Nachrichten

Bericht zur Veranstaltung "Beschwerdemanagement und Ombudschaft - eine Qualitätsstrategie für die Jugendämter? - Fachtagung, Berlin, 25.-26.04.2013

„Guten Morgen, Sie Mutigen …“

Am 25./26. April 2013 hat eine Veranstaltung der Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe mit dem Titel „Beschwerdemanagement und Ombudschaft – eine Qualitätsstrategie für die Jugendämter?“ In Berlin stattgefunden. Johannes Horn, Leiter des Jugendamtes Düsseldorf, begrüßte die Teilnehmer/innen mit den oben genannten Worten. Er moderierte diese Tagung und sagte zu Beginn, für ihn das Spannende sei, „wie wir dieses Thema auf die kommunale Ebene bringen wollen und damit auch transparenter machen“. Alle in der Kinder- und Jugendhilfe tätigen Fachkräfte wissen aus Erfahrung, dass eine Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien an sozialpädagogischen Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, nicht immer konfliktfrei ist. Deshalb sind geeignete Verfahren, mit deren Unterstützung die Entscheidungskriterien der Jugendämter für eine bestimmte Hilfe gemeinsam hinterfragt werden können, wichtig. Die Einrichtung eines internen Beschwerdemanagements in Jugendämtern sowie kommunaler Ombudschaftsstellen bieten sich hier an. Ziel ist es, Qualität zu sichern, aus Fehlern zu lernen und in der Folge entsprechende Änderungen in der Organisation(skultur) im Jugendamt vorzunehmen. Die §§ 79/79a SGB VIII bieten hierfür die gesetzliche Grundlage.

„Sind Beschwerden im Jugendamt willkommen?“

Das Einführungsreferat zum Thema: „§ 79a SGB VIII – Dimensionen der Qualitätsentwicklung im Jugendamt“ hielt Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Wiesner, Ministerialrat a.D., Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin. Er verwies auf die lange Vorgeschichte des Paragraphen im Bundeskinderschutzgesetz und damit auch auf die lange fachliche Diskussion und erinnerte an die Runden Tische zur Heimerziehung und zum Sexuellen Kindesmissbrauch sowie an den Dormagener Qualitätskatalog. Das Bundeskinderschutzgesetz nimmt die Qualitätsentwicklung in allen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe in den Blick, dies sei kein einfacher Auftrag für die Jugendämter. Das Jugendamt solle „mit der ganzen Welt“ zusammenarbeiten, aber wo ist geregelt, dass „die Welt“ mit dem Jugendamt zusammenarbeiten muss? Qualitätsentwicklung sei ein kontinuierlicher Prozess und insbesondere auch für den Jugendhilfeausschuss mit Blick auf dessen Aufgaben ein strategisches Thema, auch wenn Beschwerdemanagement und Ombudschaft nicht explizit im Gesetz genannt werden. Die Umsetzung der §§ 79/79a SGB VIII sei eine große Herausforderung für die Jugendämter, eingeschlossen die Frage, ob Beschwerden im Jugendamt und auch bei den freien Trägern willkommen sind. Die Kinderschutzdebatte habe hier neue Impulse gesetzt und es brauche nun eine Kultur des Dialogs, unter Beachtung der „strukturellen Machtasymmetrie zwischen Fachkräften und Klienten“ (Urban-Stahl). Das bedeute, dass nicht zu „erwachsenenlastig“ agiert werden darf. Am Anfang standen Fragen von Kindern und deren Hilflosigkeit gegenüber dem „Apparat“. Mit dem Wechsel in die Kinderperspektive ließen sich auch leichter Haltungsfragen der Fachkräfte diskutieren. In Bezug auf die gesetzliche Verankerung von „Qualitätsentwicklung“ gab es in der Vergangenheit sehr unterschiedliche Reaktionen, die von uneingeschränkter Zustimmung bis zur totalen Ablehnung reichen, geäußert wurde auch die Sorge vor Bürokratisierung und überhöhten Steuerungserwartungen. Dies zeigte sich auch in der nachfolgenden Diskussion. Der Zugang der Bürger/innen zu Beschwerden sei universell geworden und damit werden Absprachen zwischen den Beteiligten immer schwieriger. In der Realität beschwere sich „der aufgebrachte Bürger“ immer über konkrete Mitarbeiter/innen und damit sei man dann wieder bei der Kultur der Auseinandersetzung in konfliktbeladenen Situationen, die es zu überdenken gilt. Mit den gewachsenen Ansprüchen an die Jugendämter geht vermehrt auch Kritik an den Fachkräften einher, die teilweise nicht (mehr) über die notwendigen (personellen) Ressourcen verfügen, diese Ansprüche auch qualitativ gut zu erfüllen.

„Mit kleinen Schritten anfangen, nicht gleich den großen Wurf planen“.

Beispiele strategischer Implementierung von Beschwerdemanagement im Jugendamt wurden von Dr. Detlev Klaus, Jugendamtsleiter in Magdeburg, sowie von Jana Frädrich, Kinderbeauftragte im Jugendamt München, und Dr. Maria Kurz-Adam, Leiterin des Jugendamtes München, vorgestellt. Herr Dr. Klaus sagte, für ihn habe das Thema Qualitätsentwicklung und dies konkret bezogen auf Beschwerdemanagement etwas von einem „Scheinriesen“, je dichter man an das Thema komme, desto weniger bedrohlicher sei es. Im Jugendamt Magdeburg sei der Wunsch nach Einrichtung eines Beschwerdemanagements von den Mitarbeiter/innen selbst gekommen. Ihnen geht es aber nicht nur um Beschwerden, sondern auch um die Diskussion von Ideen, wie damit professionell im Jugendamt umgegangen werden kann. Die Prämisse hierbei sei: Beschwerden sind normal, Mitarbeiter/innen müssen darauf vorbereitet sein und wissen, wie sie sich verhalten sollen. Ebenso muss es eine klare Verfahrensregelung geben, wer mit wem spricht etc., damit es z.B. nicht zu einer „Entscheidungsmeidung“ komme.
Frau Frädrich und Frau Dr. Kurz-Adam vertraten die Auffassung, dass Partizipation, Beschwerdemanagement und Ombudschaft als Strategie ganzheitlich gedacht werden sollten (P-B-O-Strategie). Denn wirkungsvoll und ernsthaft können Kinderrechte im Alltag von Kindern und Jugendlichen nur dann umgesetzt werden, wenn sich in allen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe der Dreiklang P-B-O abbildet. Als Hauptelemente der – mit aktiver Beteiligung von Kindern und Jugendlichen entstandenen – P-B-O-Strategie wurden genannt:
  • „Zwei-Säulen-Modell“ für ein Beschwerdemanagement: in den Einrichtungen (intern) und eine unabhängige, stadtweite Beschwerdestelle (extern),
  • Unabhängige Ombudsperson für Kinder und Jugendliche entsprechend Bundeskinderschutzgesetz – als „Verbundlösung“,
  • Angedacht: „peer to peer“: Geschulte Kinder und Jugendliche fungieren in Einrichtungen als „Lotsen“.
Die Münchener Erfahrungen zeigen: „mit kleinen Schritten anfangen, nicht gleich den großen Wurf planen“. Offene Fragen gibt es hier natürlich auch, z.B. wo die bestmögliche Ansiedlung der stadtweiten Beschwerde- und Ombudstelle ist, wie Parallelstrukturen, zum Beispiel mit der Heimaufsicht, verhindert werden können oder wie die Abgrenzung zu laufenden Beschwerdeprozessen im Jugendamt und bei der Hilfeerbringung erfolgen kann. Diese und natürlich viele weitere offene Fragen wurden im Anschluss in Arbeitsgruppen diskutiert, die von Prof. Dr. Reinhart Wolff, Kronberger Kreis für Dialogische Qualitätsentwicklung e.V., Berlin, Dr. Detlev Klaus und Jana Frädrich inhaltlich gestaltet und moderiert wurden.

Was ist wenn … (Fachkräfte von) Jugendämter(n) Fehler machen?

Am zweiten Tag der Veranstaltung stand das Thema „Ombudschaft“ im Fokus der Diskussion. Prof. Dr. Peter Schruth, Hochschule Magdeburg-Stendal, Magdeburg, hielt das Einführungsreferat. Er begann mit einem Blick zurück und verwies auf die Gründung des Berliner Rechtshilfefonds aus Empörung über die Berliner Sparpolitik in der Kinder- und Jugendhilfe vor genau 10 Jahren. Er stellte zunächst die Frage in die Runde „Ombudschaft, was ist das?“ - kritisierte Fachlichkeit, verdeckte Fachaufsicht oder Legitimation für etwas, das wir sowieso nicht ändern können? Was ist der Auftrag von Ombudschaft? Eine Stelle, „die es wissen muss“, die motiviert, ein Mindestmaß an Mitwirkung ihrer Klienten voraussetzt und für Einzelfallgerechtigkeit sorgt. Ombudschaft ist Aufklärung, Partizipation und Widerspruch. Viele Klienten haben erfahren, dass Vertrauen in das Amt allein nicht ausreicht, es braucht geeignete Verfahren, die weiterhelfen, wenn Klienten nicht in der Lage sind, den Diskurs mit den Fachkräften allein zu führen. Wenn geeignete Verfahren gefunden werden, sind Klienten keine Objekte (mehr), sondern Beteiligte. Dies sei die Grundlage für Erfolg. Da, wo Sprache fehle, sei der Beistand durch Dritte eine wichtige Stärkung Betroffener. Zu fragen sei in diesem Kontext, ob betroffene Eltern und Kinder zu wenig an für sie wichtigen Entscheidungen beteiligt werden und genügend Anerkennung und Wertschätzung durch die Fachkräfte von Jugendämtern bei der Bewältigung oftmals schwieriger Lebenslagen erfahren. Niemals sollte der Eindruck entstehen, dass wegen „Haushaltsfragen“ (Kostendruck) Kinder und Jugendliche mit ihren Problemen im Stich gelassen werden. Bei Ombudschaft dürfe deshalb nie außer Acht gelassen werden, welche „Begründungsanker“ maßgeblich für diese Tätigkeit sind: in erster Linie kinderrechtliche und sozialökonomische Aspekte. Notwendig sei die Entwicklung einer niedrigschwelligen Beratungsmethodik und die Bildung von Netzwerken zum Erfahrungsaustausch.

„Können Sie mir helfen?“

Anschließend stellten vier Initiativen ihre Arbeitsweise und ihre bisherigen Erfahrungen mit Ombudschaften in der Kinder- und Jugendhilfe vor. Mit dabei waren:
  • die Initiative „Habakuk“, Baden Württemberg, vertreten durch Michaela Günter, Projektleiterin, Erzdiözese Freiburg,
  • der Kinder- und Jugendhilferechtsverein e.V., Sachsen, vertreten durch Prof. Ullrich Gintzel, Dresden,
  • der Berliner Rechtshilfefond Jugendhilfe e.V. (BRJ), Berlin, vertreten durch Ursula Fritschle, Stellvertretende Vorstandsvorsitzende, Dozentin an der Fachschule für Sozialpädagogik des Pestalozzi-Fröbel-Hauses, Berlin,
  • die Ombudschaft Jugendhilfe NRW, vertreten durch Bernd Hemker, Geschäftsführer, Ombudschaft Jugendhilfe NRW, Unna.

Was war, was ist das Verbindende?

Oft beginnend mit der Frage: „Können Sie mir helfen?“ werden Einzelfälle an die Initiativen herangetragen. Die Klienten sind Herr des Verfahrens. Beratung zu begründetem und unerfülltem Jugendhilfebedarf von Kindern und Jugendlichen wird angeboten. Die Initiativen übernehmen eine Dolmetscherfunktion zwischen den „Parteien“ und bei Bedarf wird eine Begleitung bei Behördengängen angeboten sowie rechtsanwaltlicher Beistand vermittelt.

Was war, was ist das Schwierige?

Die Betroffenen verbinden mit den Ombudsstellen die „Verheißung“, zum Erfolg zu kommen. Z.B. Umgangsberatung sowie Fragen zu Trennung und Scheidung können aber nicht geleistet werden, da sie nicht zu den Aufgaben von Ombudsstellen gehören. Auch Leistungskongruenzen (z.B. mit Jobcentern) können nicht geregelt werden. Umstrittene Akzeptanz in der Jugendhilfelandschaft.

Was sind die Zukunftsaufgaben?

Wie gehen wir in der Kinder- und Jugendhilfe konstruktiv mit Kritik von Adressaten um? Hilft Ombudschaft der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe tatsächlich, ihre Qualität zu verbessern? Wie sollte eine Beschwerdekultur in der Kinder- und Jugendhilfe entwickelt werden und wie kann eine Einbindung in die Jugendhilfestrukturen aussehen? Was kann das Jugendamt aus Beschwerden lernen und was muss in der Organisation(skultur) verändert werden? Was bedeutet Beteiligung vom Kind aus gedacht?

Da war niemand, dem sie es sagen konnten …

Zum Abschluss der Tagung fand eine offene Abschlussdiskussion statt. Jörg Freese, Deutscher Landkreistag, Berlin, erinnerte in seinem Statement zunächst an die Erkenntnis des Runden Tisches Heimerziehung, dass neben vielem anderen die Ohnmacht eine besonders schlimme Erfahrung für die ehemaligen Heimkinder war. Auch heute sei es oft noch schwer für Kinder und Jugendliche, die in Einrichtungen leben, sich an jemanden zu wenden, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Insofern sei ein System der Beschwerde- und Ombudschaft für Kinder und Jugendliche wichtig und notwendig. Auf dieser Tagung habe er aber erfahren, wie sehr sich das Verständnis von Ombudschaft gewandelt habe und mehr die Interessen von Eltern im Vordergrund stehen und nicht die „Stimmen der Kinder“ gehört werden. Er bekannte, mit dieser Art von Ombudschaft als Regelsystem wenig anfangen zu können. Auch für Dr. Maria Kurz-Adam, Leiterin des Jugendamtes München, habe sich nach diesen beiden Veranstaltungstagen ihre durchaus offene Einstellung zum Thema „Ombudschaft“ ein wenig relativiert. Sie stellte fest, wenn Ombudschaftsstellen einen Beitrag zur Qualitätsentwicklung in der örtlichen Zusammenarbeit zwischen freien Trägern und dem Jugendamt, zwischen den Fachkräften und insbesondere zum Nutzen der Kinder und Jugendlichen leisten sollen, sei eine etwas andere Konstruktion als die, die in den letzten Stunden beschrieben wurde, notwendig. Die vorgestellten Initiativen vermittelten (zu sehr) den Eindruck, es ginge weniger um Zusammenarbeit als um Durchsetzung von Elterninteressen und um missverstandene Parteilichkeit. Das sei mit zu bedenken, auch vor dem Hintergrund der Herausforderungen, die die Kolleginnen und Kollegen gerade im ASD oder in der Bezirkssozialarbeit täglich bewältigen. Sie sei sehr einig mit Jörg Freese, dass es unabdingbar sei, sich zu vergewissern, wo die Kinder und Jugendlichen in den Konzepten bleiben, die vorgestellt wurden. Bernd Hemker, Fachberater für Hilfen zur Erziehung, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Landesverband NRW e.V., Unna, stellte die grundsätzliche Frage nach Verantwortung und Änderungspotenzialen: „Was ist meine Verantwortung? Wo habe ich etwas nicht richtig gemacht?“. Diese Fragen seien mit einer Grundhaltung im Rahmen von Partizipation verbunden. Wenn wir diese ernst nehmen, müssen wir uns nicht nur individuell als Profi, sondern insgesamt als Institution diesen Fragen stellen. Ombudschaft sei innerhalb der Kinder- und Jugendhilfe ein kleiner, aber bedeutender Baustein, der nicht überschätzt und überhöht werden sollte, denn es könne mit ihm nicht das gesamte Thema „Kinderschutz“ abgearbeitet werden. Ombudschaft ersetze auch nicht den öffentlichen Jugendhilfeträger und die Angebotsvielfalt freier Träger vor Ort.
Und nun? Es war ein hochsensibles Thema und Jörg Freese wagte (mit Blick auf die Entwicklung der Fallzahlen und Kosten in den Hilfen zur Erziehung) die auch aus seiner Sicht nicht allzu gewagte These, dass die Zukunft diesbezüglich aussehen werde wie die jüngste Vergangenheit. Und ich füge aus meiner Perspektive an: Im Prinzip ja, wenn da nicht noch die Perspektive gemeinsamen Lernens wäre. Autorin
Kerstin Landua
Leiterin der Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe
im Deutschen Institut für Urbanistik
Kontakt: landua@difu.de