Deutscher Ethikrat positioniert sich zum Einsatz von Robotern in der Pflege
Die Vorstellung, im Falle schwerer Krankheit oder Pflegebedürftigkeit von einem Roboter gepflegt zu werden, löst sehr unterschiedliche Reaktionen aus. Die Diskussion um diese Frage wird emotional geführt. Nun hat sich auch der Deutsche Ethikrat positioniert.
In seiner Stellungnahme zeichnet der Deutsche Ethikrat, dem renommierte Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Disziplinen angehören, genau nach, welche Chancen und Risiken der Einsatz von Robotik in der Pflege mit sich bringt. Das zugrunde liegende Dilemma ist klar und vieldiskutiert: Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen ist aufgrund der erfreulichen demographischen Entwicklung gestiegen, während die Anzahl der Pflegekräfte - die Gründe sind bekannt - nicht in ausreichendem Maße gewachsen ist. Obwohl die Politik mittlerweile verstanden hat, dass qualifiizierte Pflegekräfte gut bezahlt werden müssen und angemessene Arbeitsbedingungen vorfinden sollten, damit sie sich nicht für ein anderes Berufsfeld entscheiden, ist absehbar, dass das vorhandene Arbeitskräftepotenzial nicht ausreichen wird, um die Unterdeckung auszugleichen.
Robotik in der Pflege: Entwürdigend oder Würde ermöglichend?
Es ist also naheliegend, neben Überlegungen zu einer gezielten Fachkräftezuwanderung auch das Thema Robotik in mögliche Problemlösungsstrategien einzubeziehen. Mit anderen Worten: Bestimmte pflegerische und/oder betreuende Tätigkeiten sollen künftig (auch) von Robotern übernommen werden. Dass der Einbezug von Robotik in Deutschland nur noch eine Frage des wie ist, und nicht mehr des ob, dokumentiert die klare Positionierung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung: Robotischen Systemen werde "das Potenzial zugeschrieben, durch situationsangepasste Unterstützungsleistungen zur Entlastung im pflegerischen Alltag beizutragen." Die hiermit eingergehenden Sorgen liegen auf der Hand: Roboter können die menschliche Interaktion zwischen Pfleger*in und Patient*in nicht simulieren - und schon gar nicht ersetzen. Auch wird befürchtet, dass der Einzug der Roboter in die Pflege die 'Büchse der Pandora' öffnet und Pflegeeinrichtungen implizit unter Druck gesetzt werden, auf die mittel- bis langfristig kostengünstigere Technologie zu setzen. Auf der anderen Seite sind jedoch auch Stimmen zu vernehmen, die es begrüßen würden, gerade nicht von Menschen im Intimbereich gewaschen oder beim Toliettengang unterstützt zu werden. Für sie überwiegt die Wahrung ihrer individuell empfundenen Würde, so dass für sie der Einsatz von Pflegerobotern sogar eine freiheitsermöglichende Wirkung entfalten würde.
Drei Ebenen der Verantwortung beim Einsatz von Robotik
Der Ethikrat betont, dass der Einsatz von Pflegerobotern auf unterschiedlichen Verantwortungsebenen abzuwägen ist. Auf der Mikroebene geht es um die Interaktion zwischen Pfleger*in und pflegebedürftigem Menschen. Soweit möglich sollte in gemeinsamer Verantwortung zwischen beiden vereinbart werden, inwieweit Robotik eingesetzt werden darf und in welchen Bereichen auf gar keinen Fall. Im Mittelpunkt müsse in jedem Fall das Wohl der zu pflegenden Person stehen. Hierbei sei gerade nicht nur der kurzfristige Nutzen der Kompensation bestimmter Defizite zu berücksichtigen. Vielmehr gehe es darum, auch "die Fokussierung auf Möglichkeiten der Wiederherstellung, Erhaltung und Steigerung von Lebensqualität durch rehabilitative Maßnahmen" im Blick zu behalten. Hierbei müsse den Betroffenen immer eine Mitwirkungs- und Mitsprachemöglichkeit eingeräumt werden, da die Gefahr bestehe, dass Menschen die Wirk- und Funktionsweise der Techniksysteme "entweder als unverständlich oder aber als nicht kontrollierbar erleben".
Auf der Mesoebene geht es für Organisationen und Einrichtungen darum, dass der Einsatz von Robotik sich am tatsächlichen Bedarf orientiert und nicht an dem, was technisch möglich ist. Im Klartext: Nur weil es technisch möglich wäre, allen Bewohner*innen eines Seniorenheims mittels Robotertechnik Nahrung ins Zimmer zu bringen, darf dies nicht dazu führen, dass das gemeisame Mittagessen als soziales Erlebnis und unter Beteiligung von Pfleger*innen nicht mehr stattfindet. Organisationen haben in ihrer Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass weiterhin an der menschlichen Beziehung orientierte, situative Einschätzungen von Fachkräften ausschlaggebend sein müssen. Auch dürften Pflegebedürftige nicht zu 'Testpersonen' im Rahmen von Deep Learning- Programmen werden.
Schließlich müssen auf der Makroebene intensive Abwägungsberatungen stattfinden, um auch auf politischer Ebene einen ethisch angemessenen Umgang mit dem Thema zu finden. Der Ethikrat stellt hierbei u.a. den Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit in den Fokus. So dürfe es nicht dazu kommen, dass bestimmte Personengruppen von vorteilhaften Assistenzsystemen profitieren könnten, andere hingegen nicht. Auf politischer Ebene müsse daher dafür Sorge getragen werden, dass eine flächendeckende Finanzierung allgemein nutzenbringender Systeme sichergestellt ist. Darüber hinaus müssen auch datenschutzrechtliche Fragen geklärt sein, da digitale Vernetzung immer auch zu einem Mehr an Datenaustausch führt. Es müsse sichergestellt sein, dass die höchst sensiblen personenbezogenen Daten der Pflegebedürftigen nicht in falsche Hände geraten. Dies gelte aus ethischer Sicht insbesondere vor dem Hintergrund, dass viele Pflegebedürftige nicht informiert in die Speicherung und Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten einwilligen können.
Der Einsatz von Robotik in der Pflege bietet, wie so vieles im Zuge der Digitalisierung, vor einigen Jahren nicht für möglich gehaltene Optionen für pflegebedürftige Menschen. Doch ist auch die Gefahr einer schleichenden ökonomischen 'Ausbeutung' der neuen Möglichkeiten auf dem Rücken der zu pflegenden Menschen nicht von der Hand zu weisen. Die Ausführungen des Deutschen Etihikrates (hier geht es zur vollständigen Stellungnahme) bieten einen informativen und hilfreichen Überblick über alle wesentlichen ethischen Fragen, die das Thema Robotik in der Pflege mit sich bringt.
Sebastian Hempel