Die Große Lösung – Warten auf Godot?

von Kerstin Landua
05.01.2015 | Kinder-/Jugendhilfe, Behinderung & Inklusion | Nachrichten

- Ein Tagungsbericht -

Am 18./19. September 2014 fand die Tagung „Warten auf die Große Lösung. Hilfen und Unterstützung aus einer Hand - Anforderungen aus der Praxis an die Umsetzung“ im Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin statt. Ziel der Tagung war es, den kommunalen Vertreter/innen eine Plattform zu bieten, zum Mitreden, Mitgestalten und zum Übermitteln von Vorschlägen an den Gesetzgeber. Die Tagung begann mit einer Podiumsdiskussion zum Thema: „(Fach)Politische Schritte, Positionierungen und Empfehlungen auf dem Weg zur Großen Lösung“, die von Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Wiesner, Freie Universität Berlin, moderiert wurde und in eine intensive Plenumsdiskussion mündete. Ein Bundesteilhabegesetz muss die Große Lösung im SGB VIII mit im Blick haben. Harald Diehl, Leiter des Referats für Grundsatzfragen der beruflichen Teilhabe, der Eingliederungshilfe und des Schwerbehindertenrechts, Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Demografie des Landes Rheinland-Pfalz, Mainz, sprach aus Sicht der interkonferenziellen Arbeitsgruppe über deren Empfehlungen an die Politik zur Umsetzung in der Praxis. Herr Diehl berichtete über den Stand der Beratungen zum sogenannten Bundesteilhabegesetz, mit dem die behinderten Menschen aus dem Fürsorgesystem herausgeführt werden und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwickelt werden soll. Unabhängig davon ist in den letzten Jahren das Thema „Große Lösung“ wieder aufgegriffen worden, also die Zusammenführung der Leistungen zur Förderung der Entwicklung junger Menschen, die bisher auf verschiedene Systeme verteilt sind. Die Kinder- und Jugendhilfe als das Leistungssystem für die Lebenslage Kindheit und Jugend war dabei schon immer beteiligt und hat deshalb bereits große Erfahrungen im Schnittstellenmanagement. „Die Sozialhilfe“ habe bisher häufig „nur“ gezahlt, nun setze sich bei den Akteuren aber die Erkenntnis durch, dass Fallmanagement und Angebotssteuerung auch entsprechendes Personal mit verschiedenen fachlichen Qualifikation erfordern, das nicht zum Nulltarif zu haben ist. Die interkonferenzielle AG habe sich mehrheitlich für die Große Lösung im SGB VIII und dort für eine Zusammenführung der Hilfe zur Erziehung mit der Eingliederungshilfe ausgesprochen (Einführung eines Leistungstatbestandes „Hilfe zur Entwicklung und Teilhabe“). Dabei sind aber noch verschiedene Fragen zu lösen, etwa die des Anspruchsinhabers, aber auch, ob der Anspruch eine wesentliche Behinderung voraussetzt wie gegenwärtig zwar im SGB XII, nicht aber im SGB VIII. Schließlich müssen auch noch die unterschiedlichen Systeme der Kostenheranziehung (im SGB XII und im SGB VIII) harmonisiert werden. Nun verkompliziert sich dadurch die Situation, dass gleichzeitig bzw. unter zeitlichem Druck die gesamte Eingliederungshilfe im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes auf den Prüfstand kommt. Was das für die Große Lösung heißt, bleibt dabei offen. „Verschiebebahnhöfe“ und „schwarze Löcher“ beseitigen Aus Sicht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend positionierte sich Dr. Heike Schmid-Obkirchner, Leiterin des Referates Rechtsfragen der Kinder- und Jugendhilfe im BMFSFJ, unter Bezugnahme auf den 13. und 14. Kinder- und Jugendbericht. Sie sagte in ihrem Statement, dass das BMFSFJ das Ziel einer „Großen Lösung im SGB VIII“ unterstütze, auch damit die bereits im 13. Kinder- und Jugendbericht kritisierten Definitions- und Abgrenzungsprobleme, aus denen letztlich „Verschiebebahnhöfe“ bzw. „schwarze Löcher“ in der Hilfegewährung für Kinder und Jugendliche mit Behinderung und deren Familien resultierten, beseitigt würden. Wichtig sei, dass das Thema „Große Lösung im SGB VIII“ auch bei den Überlegungen zur Entwicklung eines Bundesteilhabegesetzes berücksichtigt werde. Das BMFSFJ setze sich für die Umsetzung der „Großen Lösung“ ein. Es prüfe aktuell die noch offenen Fragen aus dem Abschlussbericht der AG „Inklusion von jungen Menschen mit Behinderungen“. Als wichtigste klärungsbedürftige inhaltliche Punkte nannte Frau Dr. Schmid-Obkirchner:
  • die Kostenbeteiligung,
  • die Ausgestaltung des Leistungskatalogs,
  • die Festlegung der Altersgrenzen
  • die Gestaltung der Übergänge und
  • die Frühförderung im Kontext der Großen Lösung.
Außerdem sollen die Umsetzungskosten, soweit wie möglich ermittelt werden, um die Auswirkungen der „Großen Lösung im SGB VIII“ für alle Beteiligten transparent und kalkulierbar zu machen. Eine Zusammenführung der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe hätte Auswirkungen auf die gesamte Kinder- und Jugendhilfe und damit auch den gesamten Leistungsbereich des SGB VIII. Wegen des engen inhaltlichen Zusammenhangs zwischen der Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes und der Umsetzung der „Großen Lösung im SGB VIII“ werde im Januar 2015 auch eine Sitzung der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zur „Großen Lösung“ stattfinden. Das BMFSFJ bereite diese Sitzung als das für die „Große Lösung“ federführende Bundesressort vor. Zu dieser Sitzung sollen auch Vertreter der „Jugendhilfeseite“ eingeladen werden. Die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen und Prüfungen sowie deren Umsetzung wird das BMFSFJ mit allen Beteiligten diskutieren. Zentral für das Gelingen der Umsetzung der „Großen Lösung“ ist ein Konsens unter allen Beteiligten und eine enge Zusammenarbeit bei den anstehenden einzelnen Schritten der Umsetzung. Die Große Lösung light – ein Weg? Verena Göppert vertrat in dieser Podiumsdiskussion als Beigeordnete und Leiterin des Dezernats Arbeit, Jugend, Gesundheit und Soziales die Sicht des Deutschen Städtetages (DST). Man dürfe keine Angst davor haben, jetzt über Veränderungen im SGB VIII zu sprechen und damit auch über Geld. Es dauere nur noch ca. 1,5 Jahre, bis das Gesetzgebungsverfahren für das Bundesteilhabegesetz beginnt. Dieses Gesetzgebungsverfahren „verkompliziert“ auch die Große Lösung. Der DST hat keine festgelegte Position, ob behinderte Kinder und Jugendliche eher in das SGB VIII oder SGB XII aufgenommen werden sollen. Die anderen beiden kommunalen Spitzenverbände (der Deutsche Landkreistag, der Deutsche Städte- und Gemeindebund) tendieren zum SGB XII. Die Liste der offenen Fragen wird durch das Bundesteilhabegesetz noch länger. Erst wenn diese geklärt sind, ist eine wirkliche Entscheidung möglich, ob besser SGB VIII oder SGB XII. Viele Kommunen seien besorgt darüber, dass mit einer Großen Lösung im SGB VIII auf sie neue Aufgaben und damit neue finanzielle Lasten zukommen und die Erfahrung gezeigt hat, dass trotz des Konnexitätsprinzips keine volle Entlastung durch die Länder erfolgt. In der AG Bundesteilhabegeld des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales werde derzeit diskutiert, was durch eine bessere Kooperation geleistet werden kann, ohne die bisherigen Zuständigkeiten zu ändern. Für die Kinder- und Jugendhilfe sei es wichtig, diese Frage aktiv mit zu diskutieren. Es sind noch keine „Gelingensbedingungen“ formuliert Lorenz Bahr, Dezernent für Soziales und Integration, Landschaftsverband Rheinland (LVR), Köln, positionierte sich aus Sicht eines überörtlichen Trägers der Sozialhilfe am Beispiel des Landschaftsverbandes Rheinland. Die Haltung des LVR sei in dieser Frage noch nicht eindeutig. In Bezug auf die Große Lösung seien eher Rückschritte zu erkennen, sie sei nicht mehr als wichtige Aufgabe im Koalitionsvertrag verankert, es gebe eine große Skepsis der Bundesregierung und einen Konsens erst dann, wenn alle Fragen geklärt sind. Mit den im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes veranschlagten 5 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt sei eine Entlastung der Kommunen über die Neuregelung der Eingliederungshilfen geplant. Derzeit gebe es hier eine unüberschaubare Gemengelage. Für die im Januar 2015 geplante Sitzung der AG Bundesteilhabegeld sei die Agenda übervoll mit Fragen. Im Laufe des Jahres 2015 soll es den Referentenentwurf für das Bundesteilhabegesetz geben. Eine Bereinigung der Schnittstellen zwischen SGB VIII und SGB XII wird in diesem Kontext zwar für erforderlich gehalten, eine Große Lösung hingegen nicht. Es wird gewarnt, vor einer Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen. Auch die Ministerien in Nordrhein-Westfalen stehen einer Großen Lösung skeptisch gegenüber. Herr Bahr listete ein Pro und Kontra der Bedenken auf: Für eine Eingliederung ins SGB XII spricht, dass altersunabhängige Hilfen gewährt werden können, Übergänge damit besser steuerbar sind und mit dem Bundesteilhabegesetz in vollem Umfang erfasst werden. Dagegen spricht, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen mit allen Formen der Behinderung dann (vollständig) zu den Sozialämtern „verschoben“ werden und es dort wenig Einrichtungen und Kompetenzen für Kinder und Jugendliche gibt. Zudem sei ein gewisser Stigmatisierungseffekt von Kindern und Jugendlichen in Spezialeinrichtungen zu befürchten. Für eine Große Lösung im SGB VIII hingegen spricht der Inklusionsgedanke: Kinder mit Behinderung sind in erster Linie Kinder. Spezielle Einrichtungen und Kompetenzen hierfür sind in der Kinder- und Jugendhilfe vorhanden und es gebe keine unterschiedliche Kostenbelastung für die Eltern mehr. Nordrhein-Westfalen habe mit 192, auch vielen kleinen, Jugendämtern noch eine besondere Situation. Von dieser nordrhein-westfälischen Strukturentscheidung dürfe aber eine Bundesentscheidung nicht abhängig gemacht werden. Die Beförderung einer Großen Lösung im SGB VIII kranke daran, dass es bisher keinen Gesetzentwurf gebe, den man diskutieren kann und damit auch keine formulierten Gelingensbedingungen. Wenn nicht jetzt, wann dann? In der Plenumsdiskussion kam von den Teilnehmenden eine unterschiedliche Resonanz, zum Teil auch viel Unverständnis darüber, dass sich auf politischer Ebene so wenig bewegt und so unverbindliche Erklärungen kommen. Es wurde u.a. die Frage gestellt, ob „Experimentierklauseln“ möglich und Modellprojekte geplant sind. Auf diese Weise könnten bereits jetzt einzelne Kooperationsformen erprobt und Inklusionsprojekte in den Hilfen zur Erziehung oder in der Kooperation mit der Schule initiiert und begleitet werden. Ebenso wurde eine Sammlung und Auswertung von best-practice-Beispielen, z.B. in der Familienpflege oder praktizierte „Poollösungen“, angeregt. Modellprojekte hätten auch einen symbolischen Charakter und zeigen nicht nur, was praktisch möglich ist, sondern auch, wie wichtig der Politik dieses Thema ist. Träger, die sich mit dieser Thematik befassen, brauchen Planungs- und Koordinationsunterstützung. Das Konzipieren und Umsetzen solcher Projekte brauche Arbeit, Zeit und Energie und damit auch Ressourcen. Die Gesprächspartner/innen der Podiumsdiskussion plädierten dafür, die Chancen zu nutzen, die sich durch das neue Bundesteilhabegesetz ergeben. Eine Große Lösung, so wie sie bisher diskutiert wurde, werde nur schwer umsetzbar sein, aber die Kooperation der Systeme miteinander könnte verbessert werden. Es werde mit dem Bundesteilhabegesetz kein neues SGB VIII geben. Die Große Lösung sei aber nicht nur als programmatische Erklärung zu verstehen, es müsse ein Mittelweg gefunden werden. Vor allem sei wichtig, vom Kind aus zu denken, dessen Rechte in den Mittelpunkt zu stellen und daran im Sinne eines Qualitätsentwicklungsdialogs die Hilfen zur Erziehung auszurichten. Die Große Lösung sei kein Projekt, das irgendwann zu Ende ist, sondern eine Daueraufgabe. Diese Tagung sollte als Initialzündung für die gesetzgeberischen Tätigkeiten genutzt werden. Die fachpolitischen Forderungen sind eindeutig. Die Große Lösung werde es auf einen Schlag nicht geben. Die Debatte kranke daran, dass die Kinder- und Jugendhilfe selbst zu wenig (ihre) Schnittstellen beschrieben und Lösungen angeboten hat. Große Lösung: keine Träume, sondern gute Gründe? Prof. Dr. Jörg M. Fegert, Ärztlicher Direktor, Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm, legte aus seiner beruflichen Sicht den Finger in verschiedene Wunden. In Bezug auf die Große Lösung gebe es viele Spannungsfelder und Lobbyebenen. Er ging u.a. auf die Klagen der Jugendhilfe darüber ein, dass diese immer nur als Ausfallbürge gelte. Die Jugendhilfe müsse selber aktiv werden, besser kooperieren, „Entwicklungen“ nicht mehr nur passiv erdulden, sondern sich konzeptionell an dem Prozess beteiligen. Auch Prof. Fegert nahm, wie verschiedene andere vor ihm, den Aspekt in den Blick, dass zunächst mit „Experimentierklauseln“ und Modellprojekten begonnen werden sollte, wenn eine umfassende Lösung nicht in Sicht sei. Mit derartigen Übergangslösungen könne die Praxis Erfahrungen sammeln und dokumentieren: „Wir brauchen deshalb Daten, Praxisbeispiele und Modellprojekte.“. Vielleicht gibt es dann keine schwierigen Träume mehr, sondern gute Gründe für die Große Lösung. Eingliederungshilfen und erzieherische Hilfen im Einklang zu gewähren (SGB VIII), sei eine bewährte Lösung. Er machte außerdem darauf aufmerksam, dass seiner Meinung nach in der Inklusionsdebatte derzeit die Kindeswohlperspektive fehle und es erforderlich sei, den gesellschaftlichen Anspruch auf Inklusion gegen die Rechte der Kinder zu stellen und zu prüfen. Schulbegleiter z.B. sei quasi schon ein neues Berufsbild. Hier komme die Große Lösung quasi „durch die kalte Küche“. Die Kinder- und Jugendhilfe redet nicht so richtig mit und baut keinen Orientierungsrahmen, so dass klarer wäre: Welches Kind in welche Schule? Was kann eine Kommune finanzieren? Besondere Schulen für besondere Kinder? Was ist richtig, was hilft? Es sei ausgesprochen wichtig, Praxiswissen zu sammeln und Verlaufsprognosen und Entwicklungsperspektiven der Kinder einzubeziehen. D.h., nicht nur Leistungsgewährung, sondern auch Hilfeplanung erhält einen größeren Stellenwert: Was kann er/sie selbst? Dann klagen Sie doch! Vom Umgang mit inklusiven Problemlagen Gila Schindler, Anwältin, Sojura – Kanzlei für soziale Sicherheit Heidelberg, unterstützt als Anwältin Familien mit behinderten Kindern, die die ihnen zustehende Förderung und Unterstützung unterschiedlicher Art zu erhalten. In ihrem Vortrag „Dann klagen Sie doch!“ stellte sie exemplarisch 4 anonymisierte Einzelfälle aus Sicht betroffener Familien vor. An diesen Einzelfällen verdeutlichte sie drastisch, dass die Sozialhilfe als erklärter Experte für die Eingliederungshilfe die spezifischen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen, von Eltern und deren Kindern in der Regel nicht im Blick hat. Man dürfe es nicht darauf ankommen lassen, im Einzelfall über gerichtliche Klagen zu versuchen, diese Bedarfe der Kinder und Jugendlichen und deren Eltern zu decken. Sie nahm Bezug auf die Empfehlungen der Arbeitsgruppe zur Großen Lösung im SGB VIII und stellte fest, dass diese vor dem Hintergrund der Entwicklung zu einem Bundesleistungsgesetz vorläufigen Charakter erhalten. Die Aussicht auf die vermeintlich kurz bevorstehende Gesamtverantwortung der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen führe in der Praxis zu einer „ganz oder gar nicht“-Haltung. Könnte hier ein Blick auf die realen Bedingungen von Kindern mit Behinderung Perspektiven öffnen? Auf bestehender rechtlicher Grundlage ließe sich grundsätzlich sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen die Hilfen erhalten, die sie zur Teilhabe und für eine positive Entwicklung benötigen. Das setzt allerdings voraus, dass sich jemand für die Durchsetzung dieser Rechte stark macht. Wir haben keine Zeit mehr zu warten, die Probleme sind zu groß! Thema des zweiten Tages war: Was können wir schon heute aus der Praxis lernen? Wo gibt es Settings, die beide Bedarfe im Blick haben – den klassischen Bedarf den die Jugendhilfe zu decken verpflichtet ist (Hilfe zur Erziehung) und den Bedarf der Eingliederung von Kindern mit seelischer, aber auch mit körperlicher und geistiger Behinderung? Wo werden diese Aspekte schon in Hilfeplanverfahren einbezogen, um damit zu einer gemeinsam abgestimmten Hilfesteuerung zu kommen? Wo gibt es Rahmenvereinbarungen, die beide Leistungssysteme schon zusammenzuführen versuchen? Nach einer inhaltlichen Einführung hierzu von Prof. Dr. Reinhard Wiesner wurde in sechs Arbeitsgruppen darüber diskutiert. Eine dieser Arbeitsgruppen wurde von Guy Walther, Jugendamt Frankfurt/Main, gestaltet, der die Kooperationsvereinbarung von Jugendamt und Sozialhilfe in der Stadt Frankfurt/Main vorstellte. Seiner Meinung nach sei keine Zeit mehr, um zu warten, die Probleme der Familien und der Sozialhilfeträger sind zu groß. Und der Satz „Ich bin nicht zuständig.“ sei nicht hilfreich. „Wir“ können schon jetzt loslegen und Maßnahmen treffen, Leistungen aus einer Hand zu gestalten. Hierzu stellte er drei unterschiedliche Beispiele aus der Stadt Jena, dem Landkreis Gießen und der Stadt Frankfurt/Main vor, die intensiv diskutiert wurden. Dass es darüber hinaus weitere Modelle, z.B. in Bautzen oder Gießen gibt, die an einem Erfahrungsaustausch interessiert sind, wurde schnell deutlich. Es sei wichtig, das jetzige Fahrwasser für Inklusion zu nutzen.  Inklusionsgedanke und Kindeswohl Den Schlussvortrag hielt Prof. Dr. Michael Winkler, Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik und Theorie der Sozialpädagogik, Friedrich-Schiller-Universität Jena, zum Thema: „Inklusion: Nachdenkliches zum Verhältnis pädagogischer Professionalität und politischer Utopie“. Er formulierte in seinen Ausführungen die Sorge, dass der Erziehungsbegriff auf der Strecke bleibt, wenn die medizinisch-therapeutische Sichtweise dominiere. Diese sei „wirkmächtig“. Die Wirkung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes als pädagogisches Gesetz breche dann weg. Deshalb müsse im Kontext aller Inklusionsbemühungen die Frage nach dem Kindeswohl demokratisch entschieden werden bzw. der Kinderschutz gemäß § 8a SGB VIII im Vordergrund stehen. Auch in der UN-Konvention sei der Verweis auf das Kindeswohl vorrangig. Große Lösung bedeute, der junge Mensch in seiner subjektiven Lebenslage ist Ausgangspunkt für Hilfen. Noch fehlen konkrete „Phantasien“ für die Realisierung und damit für den Umbau des Rechtssystems. Inklusion im Sinne von Teilnahme, nicht „nur Teilhabe“, habe dann eine Chance, wenn nicht nur formale Kategorisierungen stattfinden („Schubladendenken“), wenn nicht nur strukturell gedacht wird, sondern mit Bezug auf Entwicklungs- und Lebensprozesse und Zeit. Inklusion trete das Erbe der Aufklärung an: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Wobei letzteres dann eher im Sinne von Solidarität zu verstehen und der Weg dahin noch weit sei. Ein Fazit? Es ist Zeit, aktiv(er) zu werden und besser, Praxiswissen zu sammeln als Bedenken. Autorin
Kerstin Landua
Leiterin der Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe
im Deutschen Institut für Urbanistik, Berlin
Kontakt: landua@difu.de